Häuser-Kaufrausch im Zentrum

Bekannte Investoren greifen in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zu - Vorkauf wird geprüft

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen«, beschreibt die Mieterin eines Kreuzberger Hauses ihre Gefühle. Sie nennt sich Viktoria Sieg, es geht um den Moment, als sie erfahren hatte, dass es verkauft worden ist. »Gerade in Corona-Zeiten, wo das eigene Zuhause das letzte Refugium geworden, steht das letzte Quäntchen Glück auf dem Spiel. Das geht unter die Haut«, berichtet sie. Ihr Haus ist eines von fünf in Friedrichshain-Kreuzberger Milieuschutzgebieten, das von der Skjerven Group im Auftrag des schwedischen Immobilienkonzern Heimstaden Bostad AB gekauft wird. Insgesamt gehören nach nd-Informationen 16 Häuser zum Paket. Geschäftsführer Einar Skjerven hatte im Juni angekündigt, dieses Jahr in Berlin mindestens doppelt so viel wie die 25 Häuser im Jahr 2019 kaufen zu wollen.

Die fünf Milieuschutz-Häuser Lausitzer Straße 18/Reichenberger Straße 53, Bergmannstraße 94/Solmsstraße 28, Seumestraße 10, Boxhagener Str. 29, 30/Gabriel-Max-Straße 10 sowie Mühsamstraße 36 sind mit einem Gesamtkaufpreis von über 20 Millionen Euro besonders teuer. So teuer, dass der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) die Ausübung eines preislimitierenden Vorkaufsrechts prüft. »Entweder die Käufer wissen gar nichts oder sie spekulieren darauf, dass der Mietendeckel fällt«, sagt Schmidt zu »nd«. Denn 65 der zusammengenommen 115 Wohnungen in den fünf Häusern werden möbliert vermietet. Doch ab 23. November gelten mit der zweiten Stufe des Mietendeckels klare Mietobergrenzen, Zuschläge für Mobiliar oder ähnliches sind dann verboten. Schmidt sieht daher die Gefahr, dass eine Aufteilung in Eigentumswohnungen droht.

»Mir wurde vor etwa einem Jahrzehnt noch ein regulärer Mietvertrag vorgelegt. Wenn seitdem jemand ausgezogen ist, kam ein Transporter mit IKEA-Möbeln und die Wohnung wurde möbliert und befristet vermietet«, berichtet Mieterin Sieg. »Wir haben uns als Mieterschaft solidarisch zusammengetan«, erklärt sie. Denn die meisten hätten nicht ganz freiwillig die überteuerten möblierten Wohnungen mit den befristeten Verträgen angemietet. »Wer neu nach Berlin kommt, findet meist nichts anderes«, so Sieg.

»Der Vorkauf der Heimstaden-Häuser ist nicht nur zentral aufgrund der bisherigen Verweigerung des Investors, die Abwendungsvereinbarung zum Schutz der BestandsmieterInnen zu unterschreiben, sondern auch um die vielen möblierten Wohnungen wieder zu leistbarem Wohnraum umzuwandeln, sprich dauerhaft preiswert zu vermieten«, sagt Katrin Schmidberger, Mietenexpertin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. »Hier stehen die landeseigenen Wohnungsunternehmen in der Pflicht, uns dabei zu unterstützen«, fordert sie.

»Eine Aufteilung der Häuser in Eigentumswohnungen ist nicht vorgesehen. Geplant ist eine langfristige Bestandshaltung, die sich auch unter dem Mietendeckel rechnet«, teilt ein Sprecher der Skjerven Group auf nd-Anfrage mit.

In Moabit fordern die Mieter der Bugenhagener Straße 2-6 vom Bezirk Mitte die Ausübung des Vorkaufsrechts. Sie haben Angst »vor Luxussanierungen, Eigentumsumwandlungen und vor der Zerstörung familienfreundlicher Wohnungen zugunsten von Mikroappartements«, berichten sie. Seit Eröffnung der Einkaufsmall Schultheiss-Quartier sei Moabit hip und schick geworden. 35 Mietparteien vom Neugeborenen bis zur 80-Jährigen leben in dem Ensemble aus drei Aufgängen. Auch mehrere Gewerbemieter, darunter ein Geigenbauer und ein Modegeschäft, bangen um ihre Zukunft. Noch einen Monat, bis Ende September läuft die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts im Milieuschutzgebiet durch den Bezirk. Eine erste Demonstration der Mieter am vergangenen Samstag ging im Getöse der Coronaleugner-Proteste in der Wahrnehmung unter.

Nach nd-Informationen ist der Käufer der Bugenhagenstraße 2-6 der bekannte Berliner Bauunternehmer Christoph Gröner. Außerdem hat er in Mitte auch noch die Häuser Emdener Straße 2, Kameruner Straße 58 sowie Müllerstraße 131 erworben. Mit Sätzen wie »Es gibt kein Recht auf Wohnen in Kreuzberg« hat sich der Unternehmer Gröner wenig Freunde bei Mieterbewegten gemacht, genauso wie mit dem Luxuswohnprojekt Carré Sama Riga in der Rigaer Straße in Friedrichshain. Der Kauf erfolgte offenbar privat. »Da es sich bei den Objekten nicht um geschäftliche Aktivitäten der Gröner Group beziehungsweise der CG Elementum handelt, gibt es hierzu keine Informationen«, teilt eine Unternehmenssprecherin auf nd-Anfrage mit.

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