Vorwurf der Untätigkeit an Regierung in Rom
Das Auffanglager für Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa ist regelmäßig überfüllt. Abhilfe nicht in Sicht
Mehr als 500 Migranten sind am Wochenende auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa gelandet. Das dortige Auffanglager platzt bereits aus allen Nähten, die Menschen darin sind trotz Corona zusammengepfercht wie Tiere. Möglichkeiten zur Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln gibt es praktisch keine. Der Bürgermeister der Insel Salvatore Martello von den Demokraten, genannt Totò, schreit sich angesichts der Notlage die Seele aus dem Leib und verlangt von der Regierung in Rom umgehende Entlastung. Diese verspricht wieder einmal sofortige Maßnahmen, die die Lage kurzfristig etwas entspannen. Aber in wenigen Tagen fängt dann alles wieder von vorne an. Die Lage auf der kleinen Mittelmeerinsel, die näher an Tunesien als an Italien liegt, ist seit Monaten immer die gleiche und die Menschen - sowohl die Migranten wie die Einheimischen - leiden darunter.
Eine wirkliche Änderung der Situation auf Lampedusa ist nicht in Sicht. Tagtäglich landen hier kleine und größere Boote und Schiffe, die Migranten vor allem aus Tunesien abladen. Manche, die kleineren, machen an der Hafenmole fest, ohne dass sie vorher von der Küstenwache gesichtet wurden. Andere melden eine Havarie und werden dann von der Marine in den Hafen geschleppt. Wieder andere werden auf hoher See von Rettungsschiffen humanitärer Organisationen gerettet. Und einige Boote, die Zahl ist unbekannt, schaffen die Überfahrt überhaupt nicht und die Insassen, viele junge Männer, aber auch Frauen und Kinder, ertrinken. Von vielen Schicksalen wird man wahrscheinlich nie etwas Genaues erfahren.
Für die 500 Migranten vom vergangenen Wochenende ist auf Lampedusa schlicht kein Platz mehr. In der Nähe des Flughafens gibt es ein kleines Auffanglager, das eigentlich für 100 Gäste angelegt ist und in dem jetzt schon 1500 Menschen untergebracht sind. Außerdem liegen zwei sogenannte »Quarantäneschiffe« am Hafen, in denen Migranten auf das Coronavirus getestet werden und wo sie dann 14 Tage bleiben müssen, bevor man die Gesunden nach Sizilien bringen kann - aber auch die sind bereits überfüllt.
Wieder einmal hat sich Bürgermeister Totò Martello energisch zu Wort gemeldet. Er fühlt sich von der Regierung allein gelassen und droht mit einer wohl noch nie da gewesenen Maßnahme: »Ich habe bereits mit den Gewerkschaften und den Unternehmerorganisationen gesprochen: Wenn jetzt nicht etwas geschieht, dann rufe ich einen Generalstreik für die Insel aus. Wir machen die Insel zu und alles wird stillstehen.« Martello wirft der Regierung Desinteresse vor und nimmt dabei nur die parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese aus, die alles Menschenmögliche versuche. Vor allem versteht er nicht, wieso das Abkommen, das vor einem Monat mit der tunesischen Regierung unterzeichnet wurde, noch immer nicht greift. Dieses sieht vor, dass sich Tunesien verpflichtet, die Boote aufzuhalten und Italien dafür mehr Entwicklungsgelder an das nordafrikanische Land zahlt. Deshalb hat Martello nun selbst einen Brief an den tunesischen Präsidenten Kasis Saied geschrieben, in dem er um Unterstützung bittet. »Und wenn das auch nichts bringt«, sagt Lampedusas Bürgermeister, »dann werde ich mich in mein Boot setzen und selbst nach Tunesien fahren.«
Die extreme Rechte um Lega-Chef Matteo Salvini versucht, diese Situationen für eigene Zwecke zu missbrauchen. Eine Ex-Senatorin seiner Partei organisierte eine Kundgebung am Hafen von Lampedusa, zu der aber weniger als zehn Personen kamen. Für den ehemaligen Innenminister Salvini war das ein »Aufstand der Lampedusaner«, den er groß in den sozialen Medien verbreitete.
Aber Migranten landen auch an anderen Küsten Italiens. Ebenfalls am Wochenende fing ein Flüchtlingsboot vor Kalabrien Feuer. Als die Küstenwache Hilfe leiste wollte, explodierte der Benzintank. Drei Migranten starben sofort, zwei werden noch vermisst, fünf weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Auch zwei Seeleute der Küstenwache trugen Verbrennungen davon.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.