Ein »Ländle«, in dem sich Antifaschisten trafen
Severin Holzknecht über Vorarlberg und den Spanischen Bürgerkrieg
Was um alles in der Welt hat das westlichste Bundesland Österreichs mit dem Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 zu tun, dessen Ausgang nicht nur Franco zur Diktatur verhalf, sondern auch den Weg in den 2. Weltkrieg bahnte? Diese Frage werden sich viele stellen angesichts des Titel des neuen Buches aus der Feder des österreichischen Historikers Severin Holzknecht.
Der in der örtlichen Arbeiterbewegung verankerte Autor führt seine Leser in einem Zeitsprung in das Vorarlberg der frühen 1930er Jahre zurück. Damals waren im »Ländle« zwischen Arlbergpass, Bodensee und Alpenrhein mit seinen 140 000 Einwohnern auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 17 000 Menschen erwerbslos und weitere 5000 registrierte Kurzarbeiter. Die Not radikalisierte die Arbeiterklasse und polarisierte die Gesellschaft. Nach der sogenannten Selbstausschaltung des Parlaments 1933 und dem endgültigen Triumph der österreichischen Variante des Faschismus (Austrofaschismus) 1934 waren die Arbeiterorganisationen verboten. Viele Sozialisten und Kommunisten setzten ihre politische Arbeit im Untergrund fort.
Unter den neuen politischen Verhältnissen verlieh die geografische Lage Vorarlberg eine besondere Bedeutung. Politisch Verfolgte aus ganz Österreich reisten in das »Ländle«, um von hier aus meist über die »grüne Grenze«, den Alpenrhein oder hochalpine Steige im Montafon oder Silvrettamassiv in der Schweiz Zuflucht zu finden. Der eidgenössische Staat war damals im Gegensatz zu Hitlerdeutschland und Mussolinis Italien noch eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie. Doch seine konservativen und antikommunistisch eingestellten Behörden betrachteten die Migration linker Aktivisten mit Argwohn. Die »demokratische« Schweiz kooperierte bei der Bekämpfung von Flüchtlingen und Zerschlagung des Transportnetzes zunehmend mit dem austrofaschistischen Wiener Regime, dem es jedoch nie gelang, antifaschistischen Widerstand und Schmuggel vollständig zu unterbinden.
Zu einem Treffpunkt Geflüchteter wurde ab 1934 zunehmend die grenznahe Schweizer Stadt St. Gallen. Dort wurden aber auch politische Schriften und Literatur produziert und illegal nach Vorarlberg verfrachtet, wo sie zum Zusammenhalt der Untergrundstrukturen beitrugen. Die Zahl der Arbeiteraktivisten aus ganz Österreich, denen trotz Grenzsicherung die Flucht in die Schweiz gelang, dürfte vierstellig gewesen sein. Viele jedoch, die es versuchten oder anderen geholfen haben, wurden durch Spitzel überführt und verhaftet.
Die Bedeutung Vorarlbergs als Drehkreuz für Ausreisewillige wuchs nach dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs im Juli 1936 sprunghaft an. In ganz Österreich und Europa wurden viele junge und klassenbewusste Arbeiter, Intellektuelle und Arbeitslose von einer Aufbruchsstimmung erfasst. Sie begaben sich auf den beschwerlichen Weg Richtung Iberische Halbinsel, um dort mit der Waffe in der Hand gegen die Franco-Truppen und den drohenden Faschismus zu kämpfen. Da in den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas bereits faschistische oder autoritäre rechte Regimes am Ruder waren, bot sich für Antifaschisten aus Österreich und Osteuropa faktisch nur der Korridor über Vorarlberg, die Schweiz und Frankreich an. Eine legale Ausreise wurde zunehmend unmöglich. Viele überquerten den Grenzfluss Alpenrhein, wanderten über das Fürstentum Liechtenstein in die Schweiz oder nahmen mit Hilfe bezahlter örtlicher Bergführer die Strapazen einer hochalpinen Tour über Schleichwege des Silvrettamassivs in den Schweizer Kanton Graubünden auf sich. Oftmals verpfiffen jedoch Gastwirte die ankommenden Fremden und lieferten sie so kurz vor der Grenze dem Regime aus.
Holzknecht hat die biografischen Daten vieler Akteure aus jenen Jahren gewissenhaft zusammengetragen und sie damit dem Vergessen entrissen. So etwa die vom Regime verfolgten und festgenommenen Aktivistinnen Franziska Vobr und Tilly Spiegel. Vorarlberger wie der Eisenbahner Franz Jäger oder der Schlosser Alfred Kondler schlossen sich in Spanien den Internationalen Brigaden an. Einer, der es auf eigene Faust vom Montafon nach Graubünden schaffte, war der als Tourist getarnte Wiener Kommunist Franz Petuelli. Er schloss sich alsbald im Spanischen Bürgerkrieg der XIII. Internationalen Brigade (Dabrowski-Bataillon) an, wurde 1941 im besetzten Frankreich von der Gestapo festgenommen und überlebte die Haft im Konzentrationslager Dachau bei München. Zurück in Wien wurde er KPÖ-Bezirkssekretär im Stadtteil Ottakring. Er starb 2004 im Alter von 91 Jahren.
Severin Holzknecht: »¡No pasarán!« Vorarlberg und der Spanische Bürgerkrieg. Universitätsverlag Wagner, 296 S., br., 29,90 €.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!