Strahlende Klimastrategien

HEISSE ZEITEN: Anke Herold vom Öko-Institut über die AKW-Ausbaupläne in einigen osteuropäischen EU-Staaten

  • Anke Herold
  • Lesedauer: 3 Min.

Ende August mussten die Mitgliedstaaten der EU ihre finalen Klima- und Energiepläne einreichen, die Regierungen darstellen, wie sie ihre Klimaziele für 2030 und 2040 erreichen wollen. Diese Pläne zeigen, dass die osteuropäischen Staaten auf eine gemeinsame Strategie setzen: den Ausbau der Kernenergie. Polen hat bisher kein Atomkraftwerk, plant aber, 1,5 Gigawatt bis 2035 und 4,5 Gigawatt bis 2040 zu installieren. Der Bau des ersten Reaktors soll 2024 beginnen; er soll ab 2033 Strom liefern. Tschechien möchte den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung von gegenwärtig 29 Prozent auf 46 bis 58 Prozent im Jahr 2040 erhöhen. Nach dem tschechischen Klimaplan soll dafür die Laufzeit des Kernkraftwerks Dukovany von 40 auf 60 Jahre verlängert werden und danach ein neues AKW an diesem Standort gebaut werden. Außerdem sind neue Anlagen mit 2,5 Gigawatt Kapazität vorgesehen. Bulgarien plant zunächst, die Lebensdauer des Atomkraftwerks in Kosloduj zu verlängern und bis 2035 ein Gigawatt an zusätzliche Kapazitäten zu installieren, bis 2040 sollen es dann zwei Gigawatt sein. Ungarn möchte zwei neue Atomanlagen mit jeweils 1,2 Gigawatt Kapazität am bestehenden Standort Paks bauen.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass diese Atompläne in den anvisierten Zeiträumen realisiert werden können. Der neue Reaktor in Olkiluoto in Finnland wurde im Jahr 2000 beschlossen, ist seit 2005 im Bau und noch immer nicht in Betrieb. Während Finnland mehr als 20 Jahre braucht, möchte Polen ein erstes Kernkraftwerk in neun Jahren bauen. Wenn die geplanten Atomanlagen erst zehn Jahre später fertig werden, ist zu befürchten, dass alte Kohlekraftwerke viel länger als geplant weiterlaufen. Die europäischen Klimaziele rücken dann in weite Ferne.

Die CO2-Bilanz von Atomkraftwerken ist zwar deutlich niedriger als bei Kohle- oder Gaskraftwerken, aber auch nicht null. Wenn man die ganze Produktionskette von Atomstrom berücksichtigt, kommt man für den CO2-Ausstoß auf Werte von 3,7 bis 110 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde. Im Vergleich mit erneuerbaren Energien liegen Atomkraftwerke damit im oberen Bereich: Windkraft an Land beispielsweise erzeugt pro Kilowattstunde Strom 10 Gramm CO2-Äquivalente, Photovoltaik etwa 67 Gramm CO2-Äquivalente. Die osteuropäischen Staaten kalkulieren die Kernkraftwerke in ihren Klimaschutzplänen jedoch einfach als emissionsfrei ein.

Insbesondere die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken, die schon seit 30 oder 40 Jahren in Betrieb sind, ist zudem mit zunehmenden Risiken verbunden: Verschleiß und Materialermüdung machen die Technik störanfälliger. Bei der Planung der Anlagen waren die Sicherheitsstandards auf einem deutlich niedrigeren Niveau als heute. Viele kerntechnische Einrichtungen sind nur unzureichend gegen Erdbeben, Angriffe von außen und Extremwetterereignisse geschützt. Und letztere nehmen mit dem Klimawandel deutlich zu. Ein massiver Ausbau von Atomkraftwerken vervielfacht auch die generell mit der Kernenergie verbundenen Probleme: die Gefahr schwerer Unfälle, weitere Mengen hoch radioaktiver Abfälle und die Gefahr einer Nutzung ziviler Materialien für Kernwaffenprogramme.

Viele Umweltschützer dachten, dass mit den drastisch gesunkenen Investitionskosten für Wind- und Solarstrom die Debatte um neue Kernkraftwerke beendet ist. Aber ökonomische Vernunft hat die Finanzierung von Kernkraft noch nie geleitet. Die osteuropäischen Staaten könnten auf die Idee kommen, die vielen EU-Unterstützungsfonds für den Klimaschutz zur Nuklearfinanzierung zu nutzen. Die EU-Ministerrat hat inzwischen zwar ausgeschlossen, dass Kernenergie aus den 100 Milliarden Euro des »Gerechten Übergangsmechanismus« der EU finanziert werden kann. Polen gibt jedoch im nationalen Klimaplan an, dass es den Modernisierungsfonds unter der Emissionshandelsrichtlinie zur Atomfinanzierung nutzen möchte. Daher muss dringend auch für andere europäische Finanzierungsmechanismen ausgeschlossen werden, dass diese für den Ausbau der Atomkraft genutzt werden. Diese ist nämlich keine Lösung für die Klimakrise - auch wenn sie auf der »hidden Agenda« einiger osteuropäischer Regierungen steht.

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