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Athleten werden zu Politikern
Max und Moritz analysieren im Chat und Podcast den US-Wahlkampf
Max (Böhnel) und Moritz (Wichmann) analysieren hier regelmäßig den US-Wahlkampf. Diesmal dreht Max den Spieß um und befragt nd-Sportredakteur Oliver Kern zur jüngsten Protestwelle im US-Sport und deren Auswirkungen auf die Wahlen im November.
Hallo Oliver, im US-Sport passiert Spannendes. Profis nahmen wichtige politische Positionen ein und streikten. Was genau ist da passiert?
Alles begann vor Monaten mit dem Tod von George Floyd. Viele Profis, vor allem aus der NBA, die von schwarzen Basketballern dominiert wird, gingen zu Demonstrationen, knieten bei der Nationalhymne und forderten Gleichberechtigung auf den Trikots. Als jetzt ein weißer Polizist Jacob Blake in Kenosha in den Rücken schoss, waren die Athleten frustriert, weil die Aktionen nichts zu bringen scheinen. Also gingen die Milwaukee Bucks mitten in den Playoffs in den Streik. Andere Teams in verschiedenen Sportarten schlossen sich an. Reporter hörten mitten in den Sendungen auf zu kommentieren. Und von den Arbeitgebern gab es fast überall Unterstützung.
So etwas ist erst mal ein symbolischer Akt. Bleibt es dabei?
Die Frage treibt auch die Sportler um. Bringt ein Streik mehr als Parolen auf T-Shirts? Niemand glaubt, dass dadurch der Rassismus verschwindet. Aber in der Gesellschaft wird mehr darüber diskutiert. In kleinen Schritten geht es auch darüber hinaus. Die Basketballer fordern von ihren Klubeignern, mehr Einfluss auszuüben. Die sind oft Großspender von Republikanern. Nun werden sie von den Spielern gezwungen, sich solidarisch mit der »Black Lives Matter«-Bewegung zu zeigen. Selbst die NFL erlaubt Schwarzen jetzt Proteste. Bei Colin Kaepernick, der als erster während der Nationalhymne kniete, war das noch ganz anders.
Schon der Boxer Muhammad Ali und die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos sorgten für starke Bilder.
Bildsprache geht über Bilder hinaus, das ist nicht nur Symbolismus. Vor allem nicht jetzt. Ali, Smith, Carlos und Kaepernick blieben in ihrem Protest allein. Diesmal stehen ganze Ligen hinter den Athleten - und Schwarz und Weiß zusammen. Daran kommen auch die Fans nicht mehr vorbei, die immer sagten, Sport solle nichts mit Politik zu tun haben. Die NBA-Profis erreichten zudem, dass ihre Hallen am 3. November als Wahllokale fungieren werden. Die Bucks zwangen Wisconsins Gouverneur sogar, eine Parlamentssondersitzung einzuberufen, um über eine Polizeireform abzustimmen. Leider haben die Republikaner dort die Mehrheit und schlossen die Sitzungen nach nicht mal einer Minute ohne Abstimmung wieder.
Wie reagieren die politischen Lager auf politische Aussagen im Sport?
Die Demokraten stehen geschlossen dahinter, auch viele in der politischen Mitte kritisieren die Polizeigewalt, zum Beispiel in den umkämpften Vorstädten, wo viele Weiße aus der gebildeten Mittelschicht leben. Die ganz Rechten wollen dagegen nichts davon hören. Schon vor Jahren hieß es bei Fox News nur: »Shut up and dribble!« - »Halt die Klappe und dribbel den Ball!« Donald Trump will, dass wieder Sport im Fernsehen läuft, um Normalität vorzugaukeln. Corona soll vergessen werden. Besonders beim College-Football drängt er darauf. Der ist in den weißen Vororten sehr beliebt. Da gehen schon mal mehr als 100 000 Leute ins Stadion. Trump sucht diese Ablenkung und kann Proteste nicht gebrauchen.
Warum sieht man nie Proteste von deutschen Spitzensportlern?
Naja, selbst in den USA gab es solche Streiks noch nie. Aber in Deutschland fehlt sicher das Problembewusstsein: Polizeibrutalität oder Waffengewalt sind hier keine so großen Themen. Außerdem wird von deutschen Sportlern oft verlangt, in internationalen Konflikten Stellung zu beziehen: 2008 bei Olympia in Peking sollten sie was zur Menschenrechtslage in China sagen, 2014 in Sotschi dann zum Anti-Homosexuellengesetz in Russland. Da wollen sich Sportler nicht einmischen, wenn sich selbst Politiker nicht trauen, diese Themen bei Staatsbesuchen anzusprechen. Den Athleten drohte ja immer der Ausschluss von Olympia, worauf sie vier Jahre lang hintrainiert hatten. Auf der anderen Seite: Im Fußball und Basketball gab es in den Bundesligen Solidarität mit der US-Protestbewegung. Nach dem Tod von George Floyd knieten hier viele Mannschaften. Ganz unpolitisch ist der Sport sicher auch hier nicht mehr.
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