Für alle Lebenslagen

Der Cartoonist Uli Stein ist tot

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Tiere schauen dich an! Und das durchdringend heiter das Menschlich-Allzumenschliche mit dir teilend, als sei es die gleiche evolutionäre Bürde, die man zu tragen habe. Gemeinsam? Das nun nicht gerade, denn das Tier ist dem Menschen um mehr als nur eine Entwicklungsstufe voraus, es blickt nachsichtig auf uns zurück.

Wir sind mitten im Cartoon-Weltbild von Uli Stein, der eigentlich Ulrich Steinfurth hieß, 1946 in Hannover geboren wurde und nun 28. August unweit von Hannover in Wedemark starb. Der weltberühmte Zeichner war menschenscheu bis in den Tod, darum sollte die Nachricht von seinem Ableben erst verbreitet werden, wenn er im engsten Freundeskreis bereits beerdigt worden sei.

Stein hatte als Journalist begonnen, dann kamen 1982 die ersten Postkarten und Cartoons - und damit der große kommerzielle Erfolg. Seine Cartoon-Bücher verkauften sich weltweit elf Millionen Mal, die Postkarten gar 180 Millionen Mal. Es sind Sittenbilder der 80er und 90er Jahre der Bundesrepublik. Eine biedere Wohlstandswelt mit klar verteilten Rollen, er im Büro, sie in der Küche. In den gutbürgerlichen Fassaden zeigen sich deutliche Risse, die Stein wohltemperiert zum Thema machte.

Zuletzt fotografierte er viel und immer seine Freunde, die Tiere. Man kann es nicht anders sagen: Stein arbeitete pausenlos und passgenau für den Markt. Auf seine Website werden bereits die Kalender mit seinen Fotos für das Jahr 2021 angeboten, soeben auch die »Gute-Laune-Alpacas«.

Nein, subversiv im brachialen Sinne waren seine Arbeiten nicht, elitär schon gar nicht. Während Loriot die Kommunikationsselbstverhinderung biederer Knollennasen des gehobenen Dienstes präzise auf den Schmerzpunkt brachte, bot Stein eher unterhaltsame Massenware. Aber das soll keineswegs abwertend klingen. Er war ein grandioser Till Eulenspiegel, der die Leute auf dem Marktplatz damit unterhielt, dass er das wortwörtlich nahm, was sie so von sich gaben - ein Spiegel ihrer eigenen Borniertheiten. Handfeste Erfindungen machte er auch, mir gefällt darunter am besten der »mausbetriebene Akkubohrer«.

Mit den Nasen habe er immer angefangen zu zeichnen, bekannte er. Vielleicht nicht zufällig, den auch Stein hatte eine Nase für die sich anbahnenden Katastrophen im Reihenhaussiedlungsalltag. Meistens ließ er seine liebsten Alter Egos auftreten, die Mäuse oder auch Katzen und Pinguine. Da liegen dann zwei Mäuse im Ehebett und die offenbar frisch im Englischen trainierte Mäusefrau sagt: »Give me a kiss!« und der eher bodenständig-hannoveranische Mäusemann kontert unwirsch: »Hol dir doch dein Kissen selber!« Nun ja, es geht auch böser, etwa wenn sich zwei Ehepaare treffen, das eine mit Hund, das andere mit Kind an der Leine: »Wir dürfen in unserer Mietwohnung keine Haustiere halten und müssen uns mit einem Kind begnügen.«

Enttäuschte Erwartungen sind ein unerschöpfliches Reservoir für den Zeichner. Und da prallen dann schon mal Bild und Rede mit geradezu alttestamentarischer Wucht aufeinander. Ein Gast hält wortlos seine Gabel, an der kopfüber eine Ratte hängt, die er soeben vom Teller empor gehoben hat, dem Kellner entgegen. Der kaltschnäuzig: »Was hatten sie sich denn unter Rattatouille vorgestellt?«

Häufig tauchen Pinguine auf, aber manchmal auch an unerwarteter Stelle, etwa im Kühlschrank. Dort mit dem Kommentar: »Wir haben jetzt unsere eigene Heimsauna.« Am Pol zeigt Stein dann Pinguine, die ihren Frack ablegen (eigentlich nur für ein Greenpeace-Shooting, wie es heißt) und in Shorts ins Wasser steigen, als wäre es ein Pool. Die neue Kleidung gefalle ihnen gut. Die Rache der scharfschnäbeligen Wildtiere an den opportunistischen Haustieren kann grausam sein, wie ein anderer berühmter Cartoon zeigt, mit einer Katze im Aufblasgummirettungsring, die zwischen den Eischollen treibt (vielleicht als einzige Überlebende eines Schiffsuntergangs) - umringt ist sie von Pinguinen, die ihre Schnäbel wie Dolche auf das Rettungsring richten. Was sagt die Katze in solcher Lage? »Macht kein’ Scheiß, Jungs!« Das sind angesichts plötzlicher Gefahren dann die Grenzen unserer Artikulationsfähigkeit, halb Bitte, halb Drohung. Im Ganzen doch auch schon ein Schlusswort.

In die Nähe von politischer Karikatur wollte er nicht geraten, sein Humor war grundsätzlicher Natur, manchmal sogar tödlich. Er zeichnete Cartoons für wirklich alle Lebenslagen. Wie etwa kann man sich aus den Fängen der Mittelstandbürgerlangeweile zwischen Büro, Ehe und Reihenhaus befreien? Ein Cartoon zeigt einen Mann auf einem Hocker mit einer Schlinge um den Hals, ins Telefon sagend: »Du, ich muss jetzt Schluss machen!«

Das war der wohldosierte Humor von Uli Stein, der aus heutiger Sicht vielleicht etwas altbacken wirkt - oder haben sich nur die Zeiten so rapide verändert, dass ein feinsinniger Alltagshumor wie der Steins inmitten einer Flut übertourt-zynischer Rücksichtslosigkeiten fast schon harmlos wirkt?

Stein bekannte, dass er Menschen - im Unterschied zu Tieren - eigentlich gar nicht möge. Ich glaube das nicht, so rücksichtsvoll er mit Mensch und Tier gleichermaßen umging. Da liebte einer die Menschen - über den Umweg der Tiere.

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