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Keine Rüge
NETZWOCHE: Der Deutsche Presserat sieht die umstrittene taz-Kolumne von der Meinungsfreiheit gedeckt
Die grundsätzlichen Fragen, ob Polizist*innen auf die Mülldeponie gehören oder ob ein Bundesinnenminister Journalist*innen anzeigen darf, hat der Deutsche Presserat natürlich nicht beantworten können. Mit seiner Entscheidung, die satirische Taz-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah nicht zu rügen, hat er dennoch ein starkes und zugleich souveränes Zeichen gesetzt.
Denn, dass Horst Seehofer (CSU) Mitte Juni mit einer Strafanzeige gegen den*die Autor*in gedroht hatte, war äußerst irritierend – und ein beispielloser Vorgang in einem Land, das sich sonst seiner Presse- und Meinungsfreiheit rühmt. Zwar hatte Seehofer seine Drohung gegen den Text »All cops are berufsunfähig«, in dem sich Yaghoobifarah kritisch mit rassistischen Strukturen in der Polizei beschäftigt hatte, später wieder zurückgezogen. Doch die Debatte war da bereits im Fahrwasser rechter Polemik untergegangen: Beinahe 400 Beschwerden – darunter etliche von Polizeivertreter*innen selbst – waren beim Presserat eingegangen, nachdem bekannt geworden war, dass sich juristisch wohl nicht gegen die Kolumne vorgehen ließ.
Drei Monate später wurden die Beschwerden nun als »unbegründet« zurückwiesen: Der Text sei, so der Presserat, von der Meinungsfreiheit gedeckt. Ein Sieg der Presse über staatliche Kontrolle? Kaum hatte der Presserat seine Entscheidung verkündet, zeigte sich Seehofer »empört« und auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte »massives Unverständnis« – trotz ausführlicher Begründung des Rats. In einer schriftlichen Stellungnahme hatte dieser zuvor erklärt, dass sich die Polizei als Teil der Exekutive gefallen lassen müsse, von der Presse scharf kritisiert zu werden. Die Satire von Yaghoobifarah beziehe sich im Kern auf die gesellschaftliche Debatte über Probleme bei der Polizei wie Rechtsradikalismus, Gewalt und Rassismus. Der Text verstoße außerdem nicht – wie vielfach bemängelt – gegen die Menschenwürde von Polizist*innen, da sich die Kritik auf eine ganze Berufsgruppe und nicht auf Einzelpersonen beziehe. Auch das in der Debatte häufig angebrachte Argument, »würde man in den Text an Stelle von ›Polizisten‹, eine andere gesellschaftliche Gruppe setzen, wäre die Reaktion eine andere«, entkräftete der Presserat: »Die Polizei ist eine gesellschaftlich anerkannte Berufsgruppe, die nicht unter den Diskriminierungsschutz des Pressekodex fällt, anders als etwa Angehörige von religiösen oder ethnischen Minderheiten.«
Es ist eben nicht egal, wer was über wen sagt – auch weil die Realität in Deutschland (noch) allzu häufig anders aussieht, die ungleiche Verteilung von Macht und Privilegien (noch) allzu häufig festlegt, wer was überhaupt öffentlich sagen darf: Wer weiß, alt und männlich ist, kann im Bundestag sitzen und den Holocaust als »Vogelschiss der Geschichte bezeichnen« oder die frühere Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz »in Anatolien entsorgen« wollen. Ganz ohne Satire. Wer – wie der*die Autor*in – PoC, jung und weiblich oder trans* ist, soll dahingegen besser schweigen.
Die Entscheidung des Presserates wird an diesem gesellschaftlichen Ungleichgewicht wohl nichts ändern. Sie zeigt aber, wie wichtig er als Instanz ist: 1956 von fünf Verlegern und fünf Journalisten gegründet, als die westdeutsche Bundesregierung unter Konrad Adenauer (CDU) ein Bundespressegesetz plante, das eine staatliche Medienkontrolle durch die Innenminister der Länder vorsah, tritt er als freiwilliges Selbstkontrollorgan bis heute für die Einhaltung journalistisch-ethischer Standards ein: etwa indem er als Sanktion Rügen ausspricht. Den Beschwerdeausschüssen gehören vier Vertreter*innen der Verlegerverbände und vier Journalist*innen an, die von den Gewerkschaften entsandt werden. In ihren Entscheidungen richten sich die Beschwerdeausschüsse nach dem Pressekodex, den der Presserat 1973 vorgelegt hat. In 16 Abschnitten liefert dieser Richtlinien für die journalistische Arbeit: von der Achtung der Menschenwürde bis zur Unschuldsvermutung. Und der Presserat hat auch noch eine weitere Aufgabe: Er verteidigt die Pressefreiheit gegen Eingriffe von außen.
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