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Großer Umbruch, leicht gemacht
Für den scheidenden Parteivorsitzenden der Linken ist der gesellschaftliche Umbruch keine Sache in ferner Zukunft, wie sein Buch zeigt
Katja Kipping und Bernd Riexinger haben ihren Abschied von der Spitze der Linken angekündigt. Damit haben sie sich Zeit gelassen - bereits im Frühjahr sollte die Entscheidung fallen. Erkennen dürfte man daran, dass sie ihnen nicht leichtfiel. Und das wird seinen Grund einerseits darin haben, dass die beiden auf erfolgreiche Jahre als Parteivorsitzende blicken können, wenn man es daran misst, dass das Bild der Linken in der Öffentlichkeit sich gewandelt hat, die Partei einen selbstverständlichen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung einnimmt. Das Bild einer zerstrittenen Partei ist, nun, nicht vergessen, aber es haben die nach Meinung der öffentlichen Beobachter Richtigen den Kampf vorerst für sich entschieden, nachdem Sahra Wagenknecht sich aus der ersten Reihe zurückgezogen hat.
Andererseits haben die acht Jahre an der Parteispitze bei den Beteiligten einen Erkenntnisgewinn bewirkt, wie man an der Dichte ihrer Publikationen erkennt. Jeder Abschied fällt schwer auf dem Höhepunkt der eigenen Selbstgewissheit, wie sie aus einem Gedankengebäude erwächst, das Kipping und Riexinger sich in der gemeinsamen Zeit erarbeitet haben. Nicht nur Kipping hat in diesen Wochen ein Buch vorgelegt, mit dem sie eine Art Vermächtnis zum Ende ihrer Amtszeit verkündet. Sondern auch Bernd Riexinger wirft einen gründlichen Blick auf die Linke und die Zeiten, in denen sie sich behaupten muss. In seinem Buch »System change« plädiert er für einen linken Green New Deal. In diesem Ziel ist er sich mit seiner Kovorsitzenden einig. Der im Untertitel angekündigten Frage »Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können« geht Riexinger aber sehr gründlich nach, und die Regierungsfrage spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Sie ist eher ein Puzzlestein in einem viel größeren Konzept. Dabei gleicht Riexinger seine Vorschläge mit den Entwürfen erfolgreicher linker Parteiführer wie Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Großbritannien ab - vielleicht ein Grund, weshalb er den Titel seines Buches statt auf Deutsch modisch auf Neudeutsch, also Englisch formuliert. Möglicherweise ist dies auch ein Tribut an die immer jünger werdende Mitgliedschaft der Partei, an die er seine Erkenntnisse adressiert. Diese wird ihm auch den Fehler im Untertitel nicht übelnehmen, dem zufolge sozial gerecht zusammengeschrieben werden müsste, was nicht der Fall ist.
Auch Bernd Riexinger sieht den Erfolg der eigenen Arbeit im heutigen Zustand der Linken, acht Jahre nach seinem und Kippings Amtsantritt. Die Partei ist jünger geworden; vor allem im Westen, wie er hervorhebt, habe sie neue Mitglieder und Wähler hinzugewonnen. Dass dies gleichzeitig ein Problem ist, vor allem im Osten, wo Zuspruch und Mobilisierungsfähigkeit der Linken schwinden, fällt dabei allerdings unter den Tisch. Stabil sei die Partei und doch »in ständiger Veränderung und Erneuerung« - dieser selbstzufriedene Befund lässt kaum Wünsche offen.
Was deutlich wird: Die Zeit liegt weit, weit zurück, da Kipping und Riexinger mit dem Slogan »Fragend schreiten wir voran« sich in ihre neue Funktion aufmachten - der Hang zu eindringlichen Formulierungen zumindest war damals schon angelegt. Doch auch wenn es vor allem Katja Kippings Einfluss ist, der die gemeinsamen politischen Botschaften in Bilder einzurahmen versucht - wie das vom »historischen Möglichkeitsfenster«, das sich nach ihrer Überzeugung bei der nächsten Bundestagswahl öffnen wird - überwiegt bei Riexinger der Wille, die Dinge lückenlos in ihrem Wechselspiel zu ergründen. Die Partei ist dabei der Zenit aller Erwägungen, und das ist einem Parteivorsitzenden kaum zu verdenken, wenngleich es die Verhältnisse in der Welt zuweilen überraschend einfach veränderbar erscheinen lässt. Dinge wie der Infrastruktursozialismus, mit dem Riexinger den Kapitalismus unterwandern will, klingen - einmal ausgesprochen - nicht nur überaus vernünftig, sondern vor allem zu diesen Lebzeiten erreichbar. Ein bisschen guten Willen, die Einheit der Arbeiterklasse, der sozialen und der Klimabewegung sowie einer Linksregierung vorausgesetzt.
Bernd Riexinger erörtert ausführlich die Aspekte des von den beiden Vorsitzenden vertretenen Konzepts einer Partei in Bewegung, und der Verweis auf die in acht Jahren weiterentwickelten Mittel der Parteibildung sind ihm erkennbar wichtig. Interessierte Leser, zumal, wenn sie sich mit der Transformationsdebatte der Linken beschäftigen, finden in Riexinger einen sachkundigen Partner sowie jemanden, der alles auf einmal in den Blick nimmt, aber nicht alles auf einmal erreichen will. Das ist theoretisch anregend, lässt aber immer die Frage mitklingen, wann denn der Umbruch beginnen könnte - oder ob er etwa längst begonnen hat.
In sechs Punkten arbeitet Riexinger die Voraussetzungen des Systemwechsels ab, eines »neuen Gesellschaftsprojekts«, wie er den linken Green New Deals selbst nennt. Dabei denkt er alle Gegenargumente gleich mit, am Ende nimmt er ihnen mit einem unerschütterlichen Optimismus die Luft. Der Deal beginnt für ihn mit einem Kurswechsel in der Wirtschaft, der Schaffung und Stärkung regionaler Kreisläufe, weil das gut ist für soziale Gerechtigkeit wie für Klimaschutz. Die Eigentumsfrage stellt er ohne Schnörkel, betrachtet Enteignungen aber als Prozess, für die es neben der Regierungsmacht die Unterstützung der Vielen braucht und eine Riesenportion Mut, um sich mit dem Kapital anzulegen. Am Ende scheint alles nur eine Frage der Zeit. Und des Geldes. Denn Riexinger sagt auch, was es kosten soll: In Deutschland seien Investitionen von mindestens 1,5 bis zwei Billionen Euro über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren notwendig. »Daher fordern wir, jährlich mindestens 130 Milliarden Euro in die soziale Infrastruktur und den Klimaschutz zu investieren.« Den Einwand, dass ein solches Vorhaben Tagträumereien gleicht, entkräftet er gleich selbst: »Wir erleben, dass gewaltige Investitionsprogramme zur Wiederbelebung der u.a. wegen Corona am Boden liegenden Weltwirtschaft mobilisiert werden. Es liegt an uns und an den politischen Kräfteverhältnissen, ob es zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung über den Einsatz und die Verwendung dieser Gelder kommt.«
Riexinger will staatliche Mittel in eine grundlegende Richtungsänderung investieren, und er weiß, dass es dafür einiger Voraussetzungen bedürfte. »Ohne gestärkte Gewerkschaften, Sozialverbände, soziale und ökologische Bewegungen, die eine linke Regierung solidarisch unterstützen (und unter Druck setzen), und ohne mehrheitliche Zustimmung der Bevölkerung und eine eigene soziale und linke Gegenöffentlichkeit wäre das kaum durchhaltbar. Ebenso wenig ohne eine stärkere LINKE.« An diesem Punkt muss der geneigte Leser sich anstrengen, nicht an die Umfragen oder die letzten Wahlergebnisse der Linken zu denken. Doch irgendwann kommt er, der Tag der Richtungsänderung. Dann spätestens wird man sich Bernd Riexingers Buch erinnern müssen.
Bernd Riexinger: System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal - Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können. Eine Flugschrift, 144 Seiten, 12.00 Euro, ISBN 978-3-96488-067-3
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