Würgen verboten, Peitschen erlaubt

Seit Anfang August stehen die Türen des Berliner Domina-Studios «LUX» wieder offen. Ein konkreter Hygiene-Fahrplan für die Sexarbeit liegt vor.

  • Josefine Körmeling (Text) und Doro Zinn (Fotos)
  • Lesedauer: 5 Min.

Einmal geradeaus durch und die Hände desinfizieren, bitte!« Eine weiße Tür öffnet sich im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses in Berlin-Tempelhof. Dahinter befindet sich das »Domina- und Bizarre-Studio Lux«. Die Wohnungstür führt in einen langen Flur, der erste Stopp: Ein kleines Badezimmer. Auf schmalen Regalen liegen Deodorants, Zahnbürsten, kleine Stoffhandtücher und die seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr wegzudenkenden Handdesinfektionsmittel und Einwegmasken. Eine gründliche Handreinigung zu Beginn und das Tragen einer Gesichtsmaske während des ganzen Aufenthalts sei für alle Gäste des Studios Pflicht, berichtet André Nolte. Der groß gewachsene Mittvierziger arbeitet im Lux als Dominus.

Seit Anfang August empfängt das Studio wieder Besucher - zunächst nur für erotische Dienstleistungen ohne Geschlechtsverkehr. Seit dem 1. September darf das Bordell wieder fast seine kompletten Dienste anbieten. Der Berliner Senat hatte einen stufenweisen Lockerungsplan vorgelegt, nach dem Bordelle ihre Arbeit wieder aufnehmen dürfen. Daran orientiert sich das Lux und verfolgt einen strikten Hygieneplan. Um das Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 zu minimieren gilt jetzt: Maskenpflicht, keine »gesichtsnahen« Tätigkeiten und eine noch akribischere Reinigungspolitik, als es sie eh schon gab. Außerdem müssen die Daten von allen Gästen für die Benachrichtigung bei einer Corona-Infektion gespeichert werden.

»Wir sind sehr glücklich, dass wir wieder arbeiten können«, sagt Lady Johanna. Sie ist seit über drei Jahren als Domina im Studio Lux und empfängt hier vor allem männliche Kunden, die Interesse an BDSM-Praktiken haben - also Sexualpraktiken, die vom »Spiel« mit Schmerz, Fesselung, Dominanz und Unterwerfung leben. »Dinge wie Würgegriffe und Spucken gehen jetzt halt gerade nicht. Aber Praktiken ohne Körpernähe, wie auspeitschen - das funktioniert natürlich«, sagt die zierliche Brünette und lächelt freundlich. Trotz der bestehenden Corona-Auflagen und der Kontaktdatenspeicherung nähmen die Kund*innen das Angebot gerne an, erzählt die 42-Jährige weiter. Sie sei sehr zufrieden.

Die kleine Box mit der Aufschrift »Corona-Adressen«, in der die Daten von Gästen einzeln verpackt für vier Wochen aufbewahrt werden, steht auf einem ausladenden Holztisch vor einer großen Fensterfront. Von der Decke hängen schicke Lampen in Glühbirnenoptik, die Wände sind mit hellem Rauputz gestrichen. Nur einige wenige Details wie die Peitschen an der Wand und ein Turnbarren in der Ecke unterscheiden den Ort von einem hippen Start-up-Büro in Berlin-Mitte. Der »Kursraum« befindet sich in einem der zwei Studios, die vom Lux angemietet werden. Neben dem großen Raum, in dem auch Seminare rund um die BDSM-Thematik für Sexarbeiter*innen und Interessierte angeboten werden, gibt es in der Gewerbefläche verschiedene »Spielzimmer«: Lady Johanna führt unter anderem in die »Klinik«, die einer Arztpraxis tatsächlich zum Verwechseln ähnlich sieht. Dann geht es in das »Studierzimmer« - ein Raum in goldener Samtoptik. Und schließlich gibt es noch den dunklen »Latex-Raum«, der den gängigen Vorstellungen von einem BDSM-Studio wohl am nächsten kommt. Dabei plaudert die hauptberufliche Domina aus dem Nähkästchen. Sie erzählt von ihren eigenen Vorlieben und von der Empathie, die man für die Arbeit als Domina benötigt. Diese sei zum Beispiel wichtig, um die Grenzen von Kund*innen und auch die eigenen richtig einzuschätzen. Beim Sprechen merkt man ihr die Freude an, die sie an ihrem Beruf hat. Über ihre Termine und die Preise für ihre Arbeit entscheidet Lady Johanna selbst. Das Studio bezahlen die Sexarbeiter*innen hier per Tagesmiete. Sie geben einen Teil der Einnahmen ab, um die Ausgaben für Miete und Ausstattung zu decken. Aber für Lady Johanna und ihre Kolleg*innen ist das Studio mehr als nur ein Arbeitsort. »Es ist nicht nur die Sicherheit, sondern auch der Austausch«, sagt dazu André Nolte. Das »Gruppending« mache wahnsinnig viel für die Arbeit aus.

Berlin war eines der ersten Länder, in dem nach dem Corona-Lockdown die Sexarbeit wieder erlaubt wurde. Mit Beginn der Pandemie war ein allgemein geltendes Berufsverbot für Sexarbeiter*innen erlassen worden. Auch in anderen Bundesländern wird das Arbeitsverbot nun nach und nach wieder aufgehoben. In einigen nördlichen Ländern darf ab 15. September wieder gearbeitet werden und auch in Nordrhein-Westfalen wurde die Sexarbeit auf einen Gerichtsbeschluss hin jüngst wieder erlaubt.

Die Sexarbeit sei, was die körperliche Nähe angehe, gar nicht so anders, als die in Massagesalons oder bei Kontaktsportarten, sagt Johanna Weber. Sie hat das Studio Lux mitgegründet und ist zudem politische Sprecherin des »Berufsverbandes für sexuelle und erotische Dienstleistungen e.V.« (BesD). Laut Weber gebe es in einem Bordell außerdem einen wesentlich geringeren »Durchlauf« als in einem Tanzstudio. »Man glaubt immer, jeden Tag kämen ganz viele Leute hierher. Doch so ist das nicht«, sagt Nolte. Ein Kunde in der Woche bis hin zu maximal drei am Tag pro Sexarbeiterin, das sei eher realistisch.

Dennoch würden für die Sexarbeit ganz andere Maßstäbe angelegt, sagt Weber. »Das hat nichts mehr mit Infektionsschutz zu tun, sondern da geht es einfach um moralische Entscheidungen.« Die Frage nach der Legalität von Sexarbeit ist keine neue, sondern seit Jahren ein Dauerthema. Seit 2002 ist Prostitution in Deutschland legal, seit 2017 sind Sexarbeiter*innen registrierungspflichtig. Ob das alles wirklich dem Schutz der Frauen dient, ist für Johanna Weber fraglich. Mehr Rechte für ihre Arbeit seien wichtig. »Und eine Entstigmatisierung wäre toll«, so die langjährige Sexarbeiterin. »Wenn ich mich einfach nicht dauernd schämen müsste für meinen Job.«

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