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Zeit, die nie vergeht
Christiane Meusel verklagt das Bundesamt für Verfassungsschutz wegen Mobbing.
Unlängst vor dem Berliner Arbeitsgericht: »5000 Euro sind zu wenig«, sagt Gregor Gysi mit Blick auf den Anwalt der Beklagten. »Darüber brauchen wir gar nicht zu reden, völlig indiskutabel.« Die Beklagte, das ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, vertreten durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten, das Anwaltsbüro Hecker-Werner-Himmelreich. Gysis Mandantin wünscht ausdrücklich, dass ihr Name in der Zeitung ausgeschrieben wird. Sie heißt Christiane Meusel und war sechs Jahre beim Bundesamt für Verfassungsschutz angestellt, in der, wenn man so will, Berliner Dependance.
Im Februar vergangenen Jahres hatte sie ihr Arbeitsverhältnis zum 31. August 2019 selbst gekündigt, um dann die Behörde auf einen höheren fünfstelligen Betrag an Schmerzensgeld zu verklagen, »aufgrund von Verletzung von Arbeitgeberfürsorgepflichten, unerlaubter Handlung und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung«. Die heute 53-jährige alleinerziehende Mutter zweier Töchter lebt mittlerweile von Erwerbsunfähigkeitsrente, etwas über 1000 Euro. Gegen die Rente habe sie sich gewehrt, sagt sie in der Verhandlungspause. Gegenüber den Behörden habe sie stets betont, dass das Nichtstun sie krank gemacht habe. Das 5000-Euro-Angebot ihres ehemaligen Arbeitgebers empfindet sie als Witz, nur ohne Pointe. Im Subtext der Offerte liest sie: Wir wollen keinen Frieden, wir wollen das vor Gericht klären. »Dann soll es so sein«, sagt sie.
Arbeit macht krank, heißt es. Und manchmal auch der Arbeitgeber. Für ihren Gesundheitszustand macht Christiane Meusel den Verfassungsschutz verantwortlich; laut Klageschrift durch mehrjährige, gezielte Nichtbeschäftigung, sogenanntes »Kaltstellen«. Zuletzt war sie als Sachbearbeiterin im Referat Berichtswesen und Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt. Was genau passiert ist, auf den Fluren und in den Büros ihres ehemaligen Arbeitgebers, darüber hält sie sich bedeckt. Im April 2016, sagt sie, sei ihr der größte Teil ihrer bestehenden Aufgaben entzogen worden. Einen Zeugen kann sie auch benennen. Ob dieser vernommen wird, bleibt abzuwarten.
Noch beim Gütetermin im Dezember 2019 hatte der Anwalt der Gegenseite den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt, da durch das Verhalten der Klägerin »eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit zu besorgen ist«. Der Richter hat den Antrag abgewiesen. Er könne nicht nachvollziehen, wodurch hier das Staatswohl gefährdet werde. Klarnamen würden keine genannt, ebenso wenig würden interne Vorgänge aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz verhandelt. Es gehe lediglich um arbeitsrechtliche Fragen. Abgesehen davon ist wenig Publikum zugegen: Familie, einige Freunde und der Autor.
Leiden unter Nichtbeschäftigung
Gut eine Stunde lang werden an diesem Tag der Richter und die zwei Schöffinnen versuchen, im Streitfall zu vermitteln. Für eine erfolgreiche Mobbingklage, sagt der Vorsitzende, hingen in Deutschland die »Trauben sehr hoch«. Rechtsanwalt Gysi aber sieht keine andere Wahl als den Prozess jetzt streitig weiterzuführen. Die für einen Vergleich angebotene Summe sei schlicht zu wenig. Und er sagt das, als gelte die Beleidigung mit den 5000 Euro auch ihm. Selbstverständlich handele es sich um Mobbing. »Was denn sonst? Meine Mandantin bekam keine Arbeit zugeteilt, durfte aber auch keinen Urlaub nehmen, nachdem sie ein Vergleichsangebot ausgeschlagen hatte.«
Die Klägerin war nicht verpflichtet, beim Verfassungsschutz auszuscheiden, hat nie eine Abmahnung oder Kündigung bekommen. Im Juli 2016 erkrankte sie wegen der Belastungen am Arbeitsplatz an Depressionen und begab sich für sechs Wochen in die ärztliche Behandlung einer Klinik für Psychosomatik. Im Entlassungsbericht heißt es, dass »im Hinblick auf den unlösbaren Arbeitsplatzkonflikt eine Rückkehr an den jetzigen Arbeitsplatz nicht zu empfehlen« sei. Ihrer Bitte um Versetzung kam der Verfassungsschutz aber nie nach. Weil sie über zwei Jahre lang, trotz ärztlicher Empfehlungen, nicht versetzt wurde, stellte sich bei Christiane Meusel irgendwann das Gefühl ein, das sei Absicht.
Dass sie unter der Nichtbeschäftigung litt, wird, so scheint es, vom Gericht nicht in Zweifel gezogen. Jeden Werktag hatte Christiane Meusel sich in ihrem Büro einzufinden - ohne Handy, ohne Laptop, mit minimalem Kontakt zu anderen Mitarbeitern. Warum man ihr nahezu sämtliche Aufgaben entzogen hat, weiß sie nicht. Nur dass die zunehmende Isolation von ihren Kollegen, ihre De-facto-Ausschaltung in der Behörde, sie in die Verzweiflung getrieben hat, wie sie erzählt. Am Schluss habe sie noch nicht einmal mehr zu einem Referat gehört. Und dafür jetzt 5000 Euro?
Nach dem Termin beim Arbeitsgericht sitzen wir im naheliegenden »Kafka«, einem Café und Restaurant, das noch dazu an der Maaßenstraße liegt. Die Ironie des Ortes gefällt ihr. Zum 50. Geburtstag habe ihr »Doktor Maaßen«, wie sie ihn immer noch respektvoll nennt, ein persönliches Glückwunschschreiben zukommen lassen, ohne dass er wirklich gewusst haben wird, an wen die Grüße gingen. Und was Kafka angeht, so weiß die Literaturfreundin, dass ihre Geschichte für einen Roman wahrscheinlich nicht reicht. Von wegen: Josef K. geht jeden Tag in die Behörde, sitzt am Schreibtisch und bekommt keine Arbeit; er darf auch nicht nach Hause gehen oder seine Memoiren auf einem privaten Notebook schreiben. - Die Geschichte der Christiane Meusel wäre keine Allegorie auf die Verhältnisse, keine Fabel über das zwischenmenschliche Miteinander, vielleicht aber ein glaubhafter Mobbingbericht aus dem Innern einer Behörde, die darum bemüht ist, nichts nach außen dringen zu lassen, die Nachrichten sammelt, aber selbst keine Nachricht sein will.
Dabei hätte es ein normaler Job sein können, mit netten Kollegen, einem guten, sicheren Gehalt und Weihnachtsgeld. Wie überall im »Öffentlichen Dienst« seien auch in ihrem Referat Geburtstage gefeiert worden. Es habe einen Geburtstagskalender gegeben, ebenso eine Geburtstagskasse, »in die selbstverständlich auch ich einzahlte«. Am Tag selbst hingen dann an der Bürotür des Geburtstagskindes Gratulationen und Luftballons. An jeder Tür. »Nur an meiner nicht.«
Vor ihrer Anstellung beim Nachrichtendienst war sie einige Jahre als Rechtsanwältin für Sozialrecht tätig. Als das Anwaltsbüro sie aus wirtschaftlichen Gründen kündigen musste, suchte sie nach anderer Arbeit. Ein Freund riet ihr zur Bewerbung beim Verfassungsschutz, mit Erfolg. Über den Charakter der Behörde habe sich Christiane Meusel zwar Gedanken gemacht, jedoch an die Rechtsstaatlichkeit des Handelns von Behörden geglaubt. Außerdem wollte sie einfach arbeiten.
Erhöhte Sicherheitsüberprüfung
Schon während der Sicherheitsüberprüfung habe man sie anders behandelt. Bei einem durchschnittlichen Bewerber würden üblicherweise etwa drei »Referenzpersonen« befragt, die Auskunft geben sollen zum Vorleben des oder der Betreffenden, um ein Sicherheitsrisiko auszuschließen. Bei ihr jedoch seien neun Menschen befragt worden. »Das sind zumindest die, von denen ich weiß.« Bei einem kurzfristig anberaumten Hausbesuch sagte man ihr im Dezember 2012: »Wir haben niemanden gefunden, der sich in irgendeiner Weise negativ über Sie geäußert hätte. Aber bitte haben Sie Verständnis, das war bei Herrn Guillaume auch der Fall.« - Gehörte dieser Spion nicht zu einem anderen Nachrichtendienst? Egal.
Vom Ministerium für Staatssicherheit war in ihrem im Arbeitsprozess tatsächlich die Rede: In der Erwiderung auf Gregor Gysis Feststellungsantrag stellte der Anwalt der Gegenseite allen Ernstes in den Raum, Meusels DDR-Vergangenheit sei für ihren jetzigen seelischen Zustand verantwortlich. Ihr Trauma stamme aus alter Zeit. Die Klägerin sei in ihrer Jugend mit dem DDR-Regime in Konflikt geraten. Das Abitur sei ihr verwehrt worden, auch sei sie zweimal von der Staatssicherheit festgenommen worden. Zudem gebe es eine 600 Seiten füllende Stasiakte über ihre Familie - eine Opferakte; Christiane Meusel war zu DDR-Zeiten in der kirchlichen Friedensbewegung aktiv.
Das Sitzungsprotokoll ist noch nicht im Büro ihres Anwalts eingetroffen. Das Gericht muss entscheiden, wie es weiter geht. Christiane Meusel hat eine Idee, wie es für sie weitergehen könnte: Sie wird ihre Wiederzulassung zur Anwaltschaft beantragen, hatte sie diese doch zurückgeben müssen, für den Job beim Verfassungsschutz.
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