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Nach den Flammen
Tausende Flüchtlinge leben seit dem Brand in Moria auf der Straße. Wir haben mit einigen von ihnen und ihren Helfern gesprochen
Ein Feuer hat das überfüllte Flüchtlingslager Moria fast vollständig zerstört. Tausende Flüchtlinge sind vor den Flammen auf die Straße geflohen, unter ihnen auch viele Kinder. Während auf der griechischen Insel Lesbos und in den europäischen Hauptstädten noch diskutiert wird, wie die Menschen, die im Feuer das Wenige verloren haben, was sie noch hatten, jetzt versorgt werden sollen und ob andere Länder Menschen in Not aufnehmen sollen, verzweifeln die Flüchtlinge auf der Straße. Wir haben mit ihnen und ihren Helfern gesprochen.
»Moria darf nicht wieder aufgebaut werden«
Azim, 41, aus Afghanistan: »Ich weiß nicht, wer das Feuer gelegt hat. Viele Flüchtlinge sagen, es waren die Faschisten. Aber es können auch verzweifelte Lagerbewohner gewesen sein. Vor allem bei den jungen Männern, die hier teilweise seit Jahren festhängen, liegen die Nerven aus Frust und Verzweiflung blank. Immer wieder kommt es zu Streit und Messerstechereien. Es sind einfach zu viel Menschen auf zu engem Raum unter zu schlimmen Bedingungen. Hinzu kommt die Angst vor Corona. Als das Feuer ausbrach, schlug die Angst vor der Krankheit in Panik um. Wir sind gerannt und wollten einfach nur so weit wie möglich weg, aber die Polizei hat uns mit Tränengas aufgehalten. Jetzt sitzen wir hier auf der Straße fest. Ich habe seit dem Feuer keine warme Mahlzeit bekommen. Ich bin mit Freunden in das abgebrannt Lager zurückgekehrt. Wir haben zwischen den niedergebrannten Zelten nach Essen gesucht. Wir haben ein paar Fladenbrote, Feta-Käse und Wasser gefunden. Aber das haben wir längst aufgegessen. Wir haben mit den anderen Flüchtlingen geteilt. Niemand von uns weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Wir Flüchtlinge müssen jetzt zusammenhalten. Moria darf nicht wiederaufgebaut werden. Denn da ist es nur eine Frage der Zeit, bis das nächste große Feuer ausbricht.«
»Ich hoffe, dass Angela Merkel Mitleid mit den Kindern hat«
Wafaa, 35, aus dem Libanon: »Als das Feuer ausbrach, schliefen wir in unserem Zelt. Mein Mann und ich haben uns unsere sechs Kinder geschnappt und sind mit ihnen gerannt. Meine Kinder sind zwölf, elf, zehn, acht, sechs und vier. Sie haben geschrien und geweint. Sie haben seit dem Feuer kaum Schlaf bekommen und sind total verängstigt. Sie haben riesige Angst, dass böse Menschen wieder ein großes Feuer legen und wir verbrennen könnten. Es bricht mir das Herz, dass ich ihnen diese Angst nicht nehmen kann. Außer den Kleidern, die wir am Leib tragen, ist fast alles verbrannt. Wir haben nichts mehr.
Ich habe noch nicht mal mehr Essen und Trinken für meine Kinder. Wir schlafen jetzt auf der Straße. Es gibt kaum Ärzte. Und viele Leute, die auf der Insel wohnen, wollen uns Flüchtlinge einfach nur noch loswerden. Moria war schon vor dem Feuer kein guter Ort für Kinder. Jetzt ist er die Hölle.
Hier sind so viele Menschen auf so engem Raum! Deshalb haben wir auch Angst vor Corona. Ich hoffe so sehr, dass Angela Merkel Mitleid hat und zumindest die Familien mit kleinen Kindern nach Deutschland kommen dürfen. Meine Kinder haben bereits in Moria angefangen, Deutsch zu lernen.«
»Niemand will uns haben.«
Mahdie, 16, aus Afghanistan: »Ich habe mit meiner Mutter und meinem kleinen Bruder im Zelt geschlafen, als ich von Schreien geweckt wurde. Ich habe noch schnell unsere Pässe, unser Handy, das Ladegerät, Seife und Zahnpasta in eine Tasche gestopft. Dann sind wir gerannt. Zunächst auf einen Hügel. Aber die Flammen kamen auch da hin. In der Panik wurden viele Familien getrennt. Ich habe einen Vater schreien hören: «Wo ist mein Sohn? Wo ist mein Sohn?» Wir wissen nicht, wer das Feuer gelegt hat. Aber viele Flüchtlinge sagen, es waren rechtsradikale Griechen, die alle Geflüchteten von der Insel vertreiben wollten. Aber wir sind noch hier. Deshalb habe ich große Angst, dass sie nicht aufhören, bis wir wirklich weg sind. Aber wo sollen wir hin? Niemand will uns haben! Als wir weglaufen wollten, hat die Polizei uns gestoppt.
Jetzt schlafen wir auf einem Lidl-Parkplatz. Wir können aber nicht reingehen und uns etwas zu essen kaufen. Wir haben kein Geld. Soldaten haben uns ein paar Bohnen zu essen gegeben. Aber es war viel zu wenig und wir wissen nicht, wann wir das nächste Mal etwas bekommen. Die Polizei lässt die Menschen, die uns helfen und versorgen wollen, nicht zu uns durch. Ich lebe seit einem Jahr in Moria. Ich habe von Leuten gehört, die es nicht mehr ausgehalten haben und sich umbrachten. Ich bin mit meiner kranken Mutter und meinem elfjährigen Bruder allein. Ich habe Angst, vergewaltigt zu werden. Wir müssen hier weg. Ich hoffe auf ein Wunder. Ich hoffe, dass ein europäisches Land mich und meine Familie aufnimmt.«
»Man kann Menschen nicht jahrelang in einem Lager einsperren.«
Eirini Spirelli, 28, aus Lesbos: »Ich bin Koordinatorin von SOS-Kinderdörfer im Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos. Es befindet sich nur wenige Minuten von Moria entfernt. Alle Bewohner von Kara Tepe wurden vor dem Feuer aus Moria umgesiedelt. Sie haben dort noch Freunde und Verwandte. Als das Feuer ausbrach, haben sich viele Menschen, die in den Flammen alles verloren, auf den Weg nach Kara Tepe gemacht. Aber die Polizei hat sie teilweise mit Tränengas aufgehalten. Wir versorgen die Menschen unter anderem mit Windeln für die Babys und Hygieneartikeln. In Kara Tepe unterstützt SOS-Kinderdörfer Kinder und Jugendliche im Bildungsbereich und bietet Familien psychosoziale Unterstützung an. Fast alle Kinder in den Flüchtlingslagern sind durch das, was sie in ihren Heimatländern, auf der Flucht und in den Lagern erlebt haben, traumatisiert.
Durch das verheerende Feuer werden die Angstzustände noch verstärkt. Ich komme von Lesbos. Für mich und meine einheimischen Helfer wird die Arbeit immer schwieriger und gefährlicher. Nach anfänglicher Hilfsbereitschaft wollen viele Bewohner die Flüchtlinge nicht mehr auf ihrer Insel haben. Auch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen werden deshalb angegriffen und beleidigt. Wir sind vorsichtig, aber setzen unsere Arbeit fort. Die Geflüchteten brauchen uns gerade jetzt besonders. Ich hoffe, dass das schlimme Feuer endlich zu einem Umdenken in der europäischen Asylpolitik führt. Man kann Menschen nicht jahrelang ohne Perspektive in einem überfüllten Lager auf einer kleinen Insel einsperren.«
Niemand kann sagen: »Das haben wir nicht gewusst.«
Alea Horst, 38, aus Deutschland: »Ich bin Fotografin und dokumentiere die unhaltbaren Zustände in Moria seit 2016. Ich war vier Mal mit der Kamera hier. Zuletzt im Juli. Jedes Mal, wenn ich kam, hatten die Verhältnisse sich dramatisch verschlechtert. Ich habe in Flüchtlingslagern in Jordanien und in Bangladesch gearbeitet und war während des Krieges in Syrien und in Slums in Afrika. Aber nirgendwo haben die Menschen unter so katastrophalen Bedingungen gelebt wie in Moria. Und das innerhalb der Europäischen Union! Das ist absolut inakzeptabel. Natürlich wussten die Verantwortlichen in Europa auch schon vor dem Feuer, wie schlimm die Verhältnisse hier waren. Bilder gab es ja genug.
Niemand kann sagen: «Das haben wir nicht gewusst.» Als ich von dem Feuer hörte, habe ich sofort beschlossen, all meine anderen Jobs aufzugeben und nach Lesbos zu fliegen. Ich bin aber nicht nur hier, um das Leid zu dokumentieren, sondern auch, um den Menschen zu helfen. Ein afghanischer Arzt, der in Moria lebt, hat mir geschrieben, was die Menschen jetzt am dringendsten brauchen. Ich habe eine Apotheke halb leer gekauft. Insulin, Blutdrucksenker, Schmerzmittel und andere Medikamente. Immerhin habe ich schon ein paar Menschen mit teilweise lebensnotwendiger Medizin versorgen können.«
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