Sportbetrug als Geschäft

In München beginnt der bislang größte Prozess nach dem Antidopinggesetz

Das Weihnachtsfest 2019 hat Mark S. schon hinter Gittern verbringen müssen. Das nächste könnte für den Erfurter Sportmediziner aber noch trauriger ausfallen. Im wichtigsten deutschen Dopingprozess seit Jahrzehnten, der an diesem Mittwoch beginnt, hat das Landgericht München II bislang 26 Verhandlungstage angesetzt. Bleiben die üblichen Verzögerungen im Rahmen, könnte am 21. Dezember alles vorbei sein. Folgt man der Anklage, müssen Mark S. und seine vier Mitangeklagten dann teilweise mit hohen Haftstrafen rechnen.

Die Anklageschrift, die dem »nd« vorliegt, umfasst 37 Seiten. Darin wird S. und seinen Helfern vorgeworfen, bei Leistungssportlern vor allem aus dem Winter- und dem Radsport gewerbs- und bandenmäßig verbotene Dopingmethoden angewendet zu haben: mit Wachstumshormon, weiteren Arzneimitteln sowie Eigenblutdoping in einer unbekannten Zahl von Fällen vor allem in Deutschland und Österreich. Die Staatsanwaltschaft gibt an, dass sie fast 200 Fälle konkretisiert habe, in denen Blut abgezapft und später wieder zugeführt worden sein soll. Die meisten Athleten kamen aus Österreich, Estland und Kroatien. Ob auch deutsche Sportler die Dienste von Mark S. in Anspruch nahmen, ist dagegen sportgerichtlich noch nicht endgültig geklärt. Zuletzt legte die hiesige Antidopingagentur Nada beim Internationalen Sportgerichtshof Beschwerde gegen einen Freispruch für Ex-Eisschnellläufer Robert Lehmann-Dolle ein.

In München hat sich nun aber kein Sportler zu verantworten. Es geht vielmehr um die Hintermänner und -frauen des Sportbetrugs. Der Erfurter Arzt wurde am 27. Februar 2019 verhaftet, der Mitangeklagte Dirk Q. einen knappen Monat später. Beide sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Die weiteren Beschuldigten Diana S., Ansgard S. und Sven M. wurden vorerst wieder frei gelassen. Im Gegensatz zu den beiden vermutlichen Haupttätern müssen sie wohl nicht mit der Hafthöchstdauer von zehn Jahren rechnen.

23 Zeugen sind geladen, dazu drei Sachverständige. Diverse Beweismittel wie Blutbeutel, Zentrifugen und Kühlschränke werden in den kommenden drei Monaten präsentiert. Hier geht es nicht darum, ob ein paar Sportler gedopt haben, sondern um das Geschäft Doping. Wer tat was, wer wusste davon, wie viel Geld ist geflossen, wer wurde betrogen und wie schwer wiegt die Schuld eines jeden Angeklagten? All diese Fragen zu beantworten, wird Zeit brauchen.

Der Fall war durch einen Bericht der ARD-Dopingredaktion im Januar 2019 ausgelöst worden. Der österreichische Skilangläufer Johannes Dürr, der während der Olympischen Spiele 2014 mit Epo erwischt worden war, hatte darin berichtet, wie er zum Doper geworden war. Ermittler in Österreich, aber auch aus Deutschland nahmen Kontakt auf, da Dürr angeblich auch in deutschen Autobahnraststätten und Hotels Blut zugeführt worden war - von Mark S. oder den Mitangeklagten. Dürr gab in der ARD den Reumütigen, gestand aber später, dass er währenddessen parallel immer noch weiter dopte. Eine lebenslange Sperre und eine 15-monatige Bewährungsstrafe folgten für den Wiederholungstäter. Andere Athleten, darunter Langläufer, die während der Ski-Weltmeisterschaften 2019 in Seefeld in flagranti erwischt worden waren, sind mittlerweile auch von Sportgerichten zu Sperren und von ordentlichen Gerichten zu Bewährungsstrafen verurteilt worden.

Nun sind die dran, die ihnen halfen. Schon die Ermittlungen zogen sich über Monate hin. Im Sommer wollte Mark S. prüfen lassen, ob ihn die lange Zeit in Untersuchungshaft in seinen Grundrechten beschneidet, doch das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Seit mehr als 17 Monaten sitzt er also hinter Gittern, da das Oberlandesgericht München eine hohe Flucht- und Verdunklungsgefahr befürchtet. »Das OLG hat gesagt, dass die Straferwartung so hoch sein soll. Über was für eine Haftdauererwartung wir überhaupt reden, mag aber keiner eine Einschätzung abgeben«, kritisierte Juri Goldstein, der Verteidiger von Mark S., gegenüber der ARD diese Entscheidung.

Da das Antidopinggesetz erst 2015 in Kraft trat, agiert das Gericht beim ersten großen Fall ohne Schablone. Wie schwer ist zu ahnden, wenn ein Arzt für mehr als 100 000 Euro Athleten in gesundheitliche Gefahr bringt? Wie strafmindernd wirkt sich hingegen seine anfängliche Kooperationsbereitschaft aus? »Es kann sein, dass eine empfindliche Gefängnisstrafe rauskommen kann«, sagte Nada-Vorstand Lars Mortsiefer. Mark S. habe »mutmaßlich an der obersten Grenze dessen agiert, was Systematik und Betrug« angeht. Da der Prozess bislang der einzige dieser Art ist, wird damit gerechnet, dass mindestens ein Beteiligter das Urteil später vor dem Bundesgerichtshof prüfen lassen wird.

Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, erhofft sich bei bewiesener Schuld harte Strafen: »Dies würde bei Drahtziehern hoffentlich genauso abschreckend wirken wie für Athleten.« Nun, besonders abschreckend schienen Strafen und Sperren auf Dopingbetrüger unter Sportlern bislang nicht gewirkt zu haben.

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