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- Pressefreiheit
Geschlagen, geschubst, bedroht
Gewerkschafter Jörg Reichel über Angriffe auf die Presse und Konsequenzen für die Berichterstattung
Auf den Querdenken711-Demonstrationen am 1. und 29. August wurden Journalist*innen angefeindet, bepöbelt, angegriffen und bespuckt. Was bedeutet das für die Arbeit von Journalist*innen?
Sie müssen künftig von den Corona-Protesten aus der Distanz berichten. Es ist nicht zu erwarten, dass die Polizei besser aufgestellt sein wird, um den Schutz der Journalist*innen auf Demonstrationen zu gewährleisten. Wenn man dann Teilnehmer*innen interviewt, muss man mit entsprechenden Reaktionen rechnen. Die Berichterstattung wird sich ein Stück weit verändern und zurückziehen müssen, räumlich.
Reichel ist Landesgeschäftsführer Berlin-Brandenburg der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union der Gewerkschaft Verdi. Aufgewachsen in der Nähe von Hamburg, war er zunächst Hafenarbeiter, studierte später in Freiburg Sozialarbeit, jobbte im Kino und politisierte sich dabei in gewerkschaftlichen Kämpfen. Heute setzt sich der 51-Jährige für den Erhalt des Kinos »Colosseum« in Prenzlauer Berg ein. Jordi Ziour sprach für »nd« mit ihm über die Arbeit von Pressevertreter*innen auf den Demonstrationen von Corona-Leugner*innen.
Wie viele Übergriffe mussten Sie verzeichnen? Welche Qualität hatten die? Und vom wem gingen die Übergriffe aus?
An den beiden Wochenenden wurden insgesamt elf TV-Teams angegriffen, die in der Regel aus zwei bis drei Personen bestehen; zwei Redaktionen bedroht, sowie 29 freie Journalist*innen, Pressefotograf*innen aber auch Videojournalist*innen. Die Textkolleg*innen, die keine Kamera dabei hatten, waren relativ unsichtbar. Und wir hatten im Nachhinein vier Behinderungen durch die Polizei, insbesondere aber auch eine Körperverletzung und einen Sachschaden. Insgesamt war alles dabei: schlagen, schubsen, bedrohen, beleidigen, anspucken, Versuche, Mund-Nasen-Schutze abzureißen, Schlag auf die Kamera, wegdrücken. Also es ging nicht um ein beiläufiges Beschimpfen als »Lügenpresse«, das haben wir gar nicht dokumentiert. Über die Dunkelziffer kann man nur spekulieren.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Am meisten schockiert hat mich, dass Journalist*innen teilweise organisiert angegriffen worden sind. Dass der Hass und die Aggression, die da auf den Demonstrationen gegenüber den Medienvertreter*innen ausgesprochen wurden, spürbar ein zentrales Thema der Demonstrationsteilnehmer*innen war. Da gab es einen Vorfall mit der Identitären Bewegung, die eine Gruppe von vier bis fünf Journalist*innen angegriffen hat. Es gab niemanden, der sich vor die betroffenen Journalist*innen gestellt hat und sie geschützt hat oder dazwischen gegangen ist. Das war ein Aggressionslevel auf einem relativ hohen Niveau. Und im Grund genommen hat nur die Anwesenheit der Polizei Schlimmeres verhindert.
Sie haben als Verdi-Gewerkschaftler davon abgeraten, die Pressebegleitung von Querdenken711 in Anspruch zu nehmen. Wieso?
Kein Journalist will eingebunden in die Strukturen desjenigen arbeiten, über den man unabhängig berichten will. Es gab in den letzten Tagen auch noch veröffentlichte Recherchen über die Zusammenarbeit zwischen Reichsbürgern und Querdenken711-Organisatoren, die unsere Einschätzung bestätigen, dass das keinen Sinn ergibt, sich in Sachen persönliche Sicherheit und Daten, in die Hände dieser Organisation zu begeben.
Im Vorhinein haben Sie an die Polizei ein Schreiben geschickt, mit der Bitte um Kooperation und Schutz der Journalist*innen. Wie hat die Polizei darauf reagiert?
Wir haben darauf keine schriftliche Antwort bekommen. Ich habe dann aber den Pressesprecher morgens zufällig getroffen und er hat mir sinngemäß mitgeteilt, dass sie noch einmal die Einsatzkräfte angewiesen haben, auf das Presserecht zu achten. Das war im Grunde genommen die Reaktion. Ich glaube, es gibt ein Primat der Polizei, dass man die Kontrolle über die Kundgebung und Demonstrationen haben will, unter dem Sicherheitsaspekt, presserechtliche Aspekte spielen da nur eine nachgeordnete Rolle. In Einzelfällen ist es so, dass Polizei zu Journalist*innen hingeschickt wurde, weil ganz klar eine Bedrängungssituation entstand.
Journalisten konnten sich für den Pressebereich hinter der großen Bühne bei der Siegessäule akkreditieren. Wieso halten Sie das für einen Angriff auf die Pressefreiheit?
Weil die Registrierung und die Reglementierung von Pressebereichen bei öffentlichen Kundgebungen nicht zulässig ist. Man musste seine Kontaktdaten, Namen und das Medium angeben, für das man arbeitet. Die Journalist*innen mussten sich am Eingang melden und dann wurde geguckt, ob man auf der Liste steht und wenn man nicht auf der Liste steht, musste man dem Pressesprecher seine Daten geben. Das sind Beschränkungen auf Demonstrationen, wo das Presserecht sagt, es ist freier Zugang zu gewähren. Der Anmelder darf den Zugang nicht einschränken.
Haben Sie versucht, die Pressefreiheit durchzusetzen?
Ich habe am 1. August hinter der Bühne versucht, die Polizei stundenlang immer wieder in Gesprächen dahin zu drücken und zu schieben, dass sie durchsetzen, dass es einen freien Zugang für Journalist*innen in den Pressebereich gibt, aber die Polizei hat das am frühen Nachmittag abgelehnt, aus Sicherheitsgründen. Auch eine Begehung vor Ort mit Thilo Cablitz, dem Pressesprecher der Polizei, musste aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. An dem zweiten Wochenende waren wir über 25 Stunden im Regierungsviertel. Am 2. Oktober sind weitere Corona-Proteste angemeldet, da werden wir wieder vor Ort sein, dokumentieren und rechtlich beraten.
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