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Schleppende Ost-West-Angleichung

Bundesregierung meint, die deutsche Einheit sei längst vollzogen, Studie verweist unter anderem auf große Rentenlücke

Zum 30. Jubiläum des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland nutzen viele die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen: Wie weit ist die postulierte Einheit gediehen, wo haben sich Ost und West angeglichen, wo gibt es Unterschiede, was bleibt zu tun?

Die Große Koalition etwa segnete in ihrer Kabinettssitzung am Mittwoch den von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vorgelegten Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit ab, der am selben Tag auch vom Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), vorgestellt wurde. Für die Bundesregierung sei die Einheit in Deutschland »heute kein Ziel mehr, das irgendwann in einer nahen oder fernen Zukunft liegt. Sie besteht schon heute«, heißt es in einer Mitteilung. Zu lesen ist dort aber auch, dass es »teilweise noch erhebliche Disparitäten zwischen alten und neuen Ländern bei den Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, bei der Ausstattung mit Infrastrukturen und Angeboten der Daseinsvorsorge und bei den Wirtschaftsindikatoren« gebe. Auch Wanderwitz, der bei der Berichtsvorstellung von einer »überwiegend positiven Bilanz« sprach, betonte: »Es gibt immer noch zu tun.«

So geht aus dem Jahresbericht zum Stand der Einheit zum Beispiel hervor, dass sich die Wirtschaftskraft im Osten seit 1990 vervierfacht hat. Dennoch liege sie in den ostdeutschen Bundesländern mit Berlin aktuell nur bei 79,1 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnitts. Zudem habe noch kein östliches Flächenland das Niveau des westdeutschen Landes mit der niedrigsten Wirtschaftskraft erreicht. Bei den verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte haben laut Bericht indes zumindest Brandenburg und Sachsen mittlerweile zum Niveau des Saarlandes aufgeschlossen. Insgesamt lagen die verfügbaren Haushaltseinkommen im Osten 2018 aber weiterhin nur bei 88,3 Prozent des Bundesdurchschnitts.

Weit weniger positiv als die schwarz-rote Koalition in Berlin beurteilt die Linkspartei den Stand der Einheit: »Auch zum 30. Jahrestag stellt sich die Bundesregierung im Einheitsbericht ihr eigenes Gefälligkeitsgutachten aus. Doch die Unterschiede zwischen West und Ost sind weder wenige noch graduell«, erklärte Matthias Höhn, Beauftragter der Linksfraktion im Bundestag für Ostdeutschland.

In Ostdeutschland werde länger gearbeitet und im Durchschnitt weit weniger verdient als im Westen, so Höhn. »Die Lohnunterschiede sind seit 25 Jahren fast unverändert hoch. Das geht nicht nur auf die kleinteiligere Wirtschaftsstruktur im Osten zurück, nein, auch im gleichen Unternehmen haben ostdeutsche Beschäftigte die schlechteren Verträge als die Kolleginnen und Kollegen am Standort West.«

Dieser »ökonomischen Benachteiligung« folgt für Höhn »die soziale Bedeutungslosigkeit«. Geschätzt nur drei Prozent der Ostdeutschen seien demnach in Spitzenfunktionen in Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und in der Politik anzutreffen - bei einem Bevölkerungsanteil von 17 Prozent. »An den Standorten der Bundesbehörden im Osten und in Berlin arbeiten erwartungsgemäß viele Ostdeutsche, die Chefs kommen hingegen nach wie vor meist aus dem Westen«, so Höhn. Diese strukturelle Benachteiligung in Sachen Chancen, Status, Einkommen und Vermögensaufbau stelle »den Osten langfristig auf Zweitklassigkeit«. Auch sollten im 30. Jahr der Einheit »endlich die Ungerechtigkeiten bei der Rentenüberleitung Ost zugegeben und abgestellt werden«, fordert Höhn. Tausende ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner warteten »immer noch auf die Anerkennung ihrer Betriebsrenten oder auf eine Entschädigung«.

Mit der ungleichen Einkommenssituation älterer Menschen beschäftigt sich auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die neben einer Vielzahl anderer Analysen zum Einheitsstand am Mittwoch präsentiert wurde. Die Forscher des Instituts kommen darin zu dem Schluss, dass es nach wie vor große Unterschiede beim Alterseinkommen gebe. So erreichten ältere Menschen im Osten beim Haushaltsnettoeinkommen seit Jahrzehnten nur 80 Prozent des Westniveaus. Und nach Einschätzung des DIW wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern.

Im Osten bekämen zwar viele Rentner und Rentnerinnen mehr Geld aus der staatlichen Rentenkasse als im Westen, denn die Ostdeutschen wiesen mehr Beitragsjahre auf - vor allem Frauen. Laut DIW-Ökonom Johannes Geyer könnten die Rentner im Westen jedoch stärker von Vermögen zehren, etwa durch Immobilienbesitz, Mieteinnahmen und private Renten. »Den heutigen Rentnerinnen und Rentnern, die vor allem in der DDR erwerbstätig waren, fehlte meist die Möglichkeit, Vermögen oder private Rentenanwartschaften aufzubauen«, erklärte Studienautor Peter Haan.

Bis sich diese ungleichen Möglichkeiten der Altersvorsorge in Ost und West angleichen, wird nach Angaben von Geyer noch viel Zeit vergehen: »Wir sollten abwarten, bis sich die Einkommen stärker angeglichen haben, und dann kann man irgendwann vielleicht darüber nachdenken, dass die Lücke sich schließt«, so Geyer. »Aber ich glaube ehrlich gesagt, dass eine Generation wahrscheinlich nicht ausreichen wird.«

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