Das Klimaziel im Nebensatz

Die Belegschaften der Autokonzerne stehen einer ökosozialen Agenda offener gegenüber, als man vielleicht meinen könnte

  • Jörn Boewe, Stephan Krull und Johannes Schulten
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Jüngeren im Werk, sagt einer der Befragten, bevorzugten ganz grundsätzlich »ein entspannteres Reisen mit der Bahn« anstatt des Zwangs, »selbst am Steuer sitzen zu müssen«. Der Mann erzählt von einem Kollegen, der jüngst seinen Sohn quasi »zum Führerschein prügeln« musste. Der Befragte arbeitet in Sachsen bei VW. Eine Einzelbeobachtung? Auch ein Vertrauensmann der IG Metall bei Daimler in Untertürkheim sieht »ein gewandeltes Bewusstsein in der Belegschaft zum Verhältnis zum Auto (...) in den letzten zehn, 15 Jahren«: Die Nachfrage nach Jahreswagen lasse in der Belegschaft nach. Die Identifikation mit Mercedes habe abgenommen, sowohl beim eigenen Autokauf, als auch hinsichtlich der Marke selbst.

Die zitierten Einschätzungen sind nur zwei von 30 Stimmen, die wir in einer qualitativen Untersuchung im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung an der gewerkschaftlichen Basis verschiedener verkehrsmittelproduzierender Unternehmen in ganz Deutschland eingeholt haben. Aber sie sprechen für eine Tendenz, die zunächst vielleicht überraschend klingt: Belegschaften, Gewerkschaftsmitglieder und ehrenamtliche Funktionspersonen in diesen Industrien sind keine Bastion einer vorökologischen Industriepolitik. Wer sich auf eine Diskussion mit ihnen einlässt, findet Anknüpfungspunkte für eine Politik der sozial-ökologischen Mobilitätswende.

Keine Bastion vorökologischer Industriepolitik

Ganz konkret stellte sich diese Frage jüngst, als sich die SPD in der Koalition gegen staatliche Kaufanreize für Pkw mit reinem Verbrennungsmotor als Antwort auf die Corona-Krise ausgesprochen hatte. Jörg Hofmann, der Erste Vorsitzende der IG Metall, hatte diese Weigerung skandalisiert und für einen »massiven Vertrauensverlust der Beschäftigten gegenüber der Sozialdemokratie« verantwortlich gemacht. An der Basis der IG Metall haben wir einen solchen Groll aber nicht gefunden. Jene scharfe Kritik am Nichtzustandekommen einer solchen Maßnahme stieß weitgehend auf Unverständnis. Das Thema war in den Belegschaften nicht der »Aufreger«, zu dem es Hofmann und andere IG-Metall-Spitzenleute erklärten.

Tatsächlich wurde die Forderung nach einer Neuauflage der »Abwrackprämie« von 2009 eher kritisch gesehen. Zwar gab es einzelne Stimmen, die sich als »Übergangslösung« eine solche Prämie wünschten - für die modernsten und schadstoffärmsten Verbrenner. Nicht seltener aber wurde diese Idee als »rückwärtsgewandt« abgelehnt, da sie »den notwendigen Umbau der Automobilindustrie« verlangsame - einer Branche, die nach Meinung vieler Befragter schon zu viele Subventionen bekommen habe.

Zur scharfen Kritik Hofmanns an der SPD sagte ein Vertrauensmann: »Ich halte das für eine völlig kurzsichtige Haltung, die (...) davon gekennzeichnet ist, dass man die Betriebsratsfürsten der Automobilunternehmen irgendwie ruhig halten will.« Auffällig war, dass viele betrieblich Aktive von der pointierten Position ihrer Gewerkschaftsspitze überrascht wurden. Die meisten hatten davon aus den Medien erfahren. Im Vorfeld habe es weder Informationen an die regionalen IG-Metall-Geschäftsstellen noch Diskussionen in den gewerkschaftlichen Gremien gegeben. Die meisten Interviewten sahen das als Affront und Anzeichen eines ernsten Mangels an innerorganisatorischer Demokratie und Kommunikation.

Dass die Branche sich auch angesichts der Klimaprobleme verändern muss, wird von der großen Mehrheit der Befragten bejaht. Sie haben aber wenig Vertauen in diejenigen, die das umsetzen müssten, besonders in das »eigene« Management: Man traut diesem einfach nicht zu, kluge Entscheidungen zu treffen, die auch Lohn und Beschäftigung sichern. Das werde deutlich, wenn nötige Qualifizierungen wegen Produktivitätsvorgaben ausfielen. Wenig vertrauensbildend war auch der Zickzackkurs der Konzerne, etwa die 2009 eingegangene und fünf Jahre später beendete Tesla-Beteiligung von Daimler. Generell denken viele, Weichenstellungen würden verschlafen. Zugleich stößt auf Skepsis, dass nun E-Mobilität als Königsweg gelte: »Auf die Frage, was passiert, wenn die Elektrostrategie versagt, gibt es keine Antwort«, sagt ein Beschäftigter.

Viele haben Zweifel, dass in einem überschaubaren Zeitraum eine ausreichende Ladeinfrastruktur aufgebaut wird. Verbreitet wird auch auf ungelöste Umwelt- und Ressourcenprobleme der Batterieelektrik hingewiesen. Die von Unternehmen verbreiteten Visionen einer smarten, nachhaltigen und sauberen Mobilität gelten oft als unglaubwürdig. Festgemacht wird das auch an Alltagserfahrungen: Fährt nicht das mittlere und höhere Management selbst »dicke Verbrenner«? Warum fehlen auf dem Firmenparkplatz Lademöglichkeiten für E-Autos? »Bei Daimler mit seinen 9000 Beschäftigten«, sagte uns ein Belegschaftsmitglied, gebe es »fünf Ladestationen bei der Geschäftsleitung. Und wo ist die Ladestation für die Masse, die draußen parkt?« - »Beim Aldi!« - »Ja, beim Aldi. Die ganzen Fördergelder, ob das jetzt für E-Autos ist oder für Verbrenner, das sind einfach nur Gelder, die zu den Arbeitgebern geschoben werden und im Zweifelsfall in die Dividende hineingeschoben werden. Und wir alle bezahlen es. Aber was kriegen wir da dafür?«

Wie man mit der Basis spricht - und wie besser nicht

Auf der anderen Seite fehlt es aber auch der Transformationsstrategie der IG Metall an betrieblicher Verankerung und Rückkopplung. Leitlinien oder Diskussionen auf der Vorstands- oder Bezirksleitungsebene finden kaum den Weg nach unten. Auch in gut organisierten Autounternehmen fällt es auf Betriebsebene schwer, vom Management unabhängige Strategien zu entwickeln und mit der Belegschaft zu diskutieren. Als Grund nennt ein Gewerkschafter in einem Lkw-Werk in Baden-Württemberg den Druck permanenter Rationalisierungsagenden: Man könne das Transformationsthema nicht offensiv angehen, »weil wir uns permanent von der Geschäftsleitung getrieben fühlen«. Problematisiert wird dabei eine Entpolitisierung der Betriebsratsgremien im Zeichen von Co-Management. Angespielt wird auch auf generationelle Konfliktlinien um überalterte Vertretungskörper.

Häufig fühlen sich betriebliche Gremien von der IG Metall in diesen Fragen allein gelassen. Zwar werden Initiativen wie der »Transformationsatlas« von 2019 im Grundsatz begrüßt. Aber auch in diesem konkreten Beispiel gibt es Kritik an fehlender Rückkoppelung: »Ja, war keine dumme Idee prinzipiell, aber wie halt Vieles: Schön, dass man es gemacht hat. Aber was ist jetzt?«

Auch am Gewerkschaftskurs wurde eine verengte Diskussion problematisiert: »Wir gehen in die E-Mobilität und das ist die Lösung. Das sagen die Manager und das sagt auch unsere Spitze«. Diese seien, wie ein Befragter sagte, wohl noch »an dem Punkt«, dass »Mobilität oder auch gesellschaftliches Zusammenleben mehr Dezentralisierung« erfordere, »weg von dieser Stadtplanung, den Megacities und so weiter«.

Dabei haben es linke, alternative Diskussionen noch schwerer, an die Basis zu gelangen. Insbesondere Forderungen nach einer Konversion der Branche werden skeptisch gesehen. Viele bezweifeln, dass die spezialisierten Fertigungsanlagen umgestellt werden könnten; ein Umschwung zur Kollektivmobilität habe ein weitaus geringeres Beschäftigungspotenzial. Das Beispiel von Kohle und Stahl weckt Ängste vor drastischen Einkommeneinbußen. Andererseits verweist ein Kollege aus einem Werk für Stadtbusse auf den hohen Bedarf an qualifizierter Arbeit in der manufakturartigen Produktion. Ein großes Autowerk in Baden-Württemberg hatte früher Erfahrungen mit dem Bau von Schienenfahrzeugen, ein weiteres mit Fahrrädern. Hier wird aus der Belegschaft immer wieder der Wunsch geäußert, daran anzuknüpfen.

Inhaltlich offen stehen die Interviewten Konzepten eines »Green New Deal« gegenüber, wie sie jüngst aus der Linkspartei vorgebracht wurden. Zugleich sind sie skeptisch hinsichtlich der Umsetzungsperspektive sowie der Möglichkeit, größere Teile der Belegschaften hierfür zu gewinnen. Dabei wird - neben Erfahrungen mit dem real existierenden ÖPNV, der längst keine glaubwürdige Alternative darstelle - auch auf den Stil der Linken und Umweltbewegungen eingegangen. Deren Initiativen und Attitüden werden häufig als »ungeschickt«, »belehrend« und »von oben herab« empfunden.

Als Beispiel, »wie man es nicht macht«, führte ein Interviewter die Anekdote an, wie eine Parlamentarierin der Linkspartei den Betriebsrat eines Autoherstellers aufforderte, eine Kampagne gegen SUVs zu unterstützen. »Ansprachen, die mit Forderung nach einem baldigen Ende des Verbrenners oder einer Halbierung der Automobilproduktion beginnen«, meint ein Vertrauensmann aus Baden-Württemberg, hätten »keine Chance«. Besser sei es, mit einer Verbilligung und Verbesserung des ÖPNV einzusteigen und das Klima »erst im zweiten Nebensatz« zu erwähnen.

Insgesamt zeigt die Untersuchung, dass es möglich und lohnend ist, mit den Beschäftigten der Automobilindustrie - insbesondere mit der gewerkschaftlichen Basis - in produktive Diskussionen um eine sozial-ökologische Verkehrswende einzusteigen. Man muss freilich wissen, dass »dicke Bretter« zu bohren sind. Dabei müssen sich nicht nur die Auto-Beschäftigten bewegen - sondern müssen auch diejenigen, die einen »Neuen Grünen Deal« politisch verfechten, die Art und Weise ihrer politischen Interaktion und Kommunikation überdenken.

Die vollständige erscheint demnächst unter dem Titel »Wo ist die Ladestation? Beim Aldi!« auf den Seiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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