Schulen im Aufbruch

Ausgerechnet der Corona-Ausnahmezustand könnte dafür sorgen, dass der Unterricht moderner wird

Der Ruf der Schulen ist nicht der beste. Der Sanierungsstau ist an vielen Gebäuden unübersehbar, fast scheint es, als würden sie geradezu kaputtgespart werden. Zudem fehlen bundesweit Tausende Lehrer. Dann trafen im ersten Halbjahr die plötzlichen Schulschließungen viele Einrichtungen auf dem falschen Fuß. Der Fernunterricht funktionierte mehr schlecht als recht. Oft dauerte es Wochen, bis sich Schüler wie Lehrer mit der ungewohnten Situation arrangierten.

So wundert es nicht, dass eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom aus der vergangenen Woche ein negatives Bild der Bürger von den Schulen zeichnet. Eine Mehrheit der Befragten sah die Schulen nicht für mögliche neue Schließungen gewappnet, sollte die Zahl der Corona-Infizierten erneut in die Höhe schnellen. In Schulnoten schätzen die Befragten die Situation als gerade noch ausreichend bis mangelhaft ein. Der Digitalverband nutzte das Ergebnis der Umfrage, um Druck auf die Schulbehörden und die politischen Entscheidungsträger zu machen. Bitkom-Präsident Achim Berg forderte, die Digitalisierung der Schulen von »null auf hundert zu beschleunigen«.

Am Tag, als Bitkom seine Umfrage präsentierte, stellten die Kultusminister der 16 Bundesländer ihr gemeinsames Bildungsportal Mundo vor. Pädagogen, Schüler und Eltern können sich dort Videos und Audiodateien, Arbeitsblätter und Animationen kostenfrei herunterladen. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), sprach von einem »echten qualitativen und quantitativen Sprung für die Nutzung von Bildungsmedien in unseren Schulen«. Das Portal soll Impulse geben und ein Schritt hin zu einer digital vernetzten Schule sein. Aber Mundo alleine reicht nicht, es braucht noch viele weitere Bausteine.

Ausgerechnet jetzt, während der Corona-Pandemie, gibt es eine gesteigerte Bereitschaft dafür, Schulen zu modernisieren. Defizite werden offenbar nicht mehr einfach hingenommen, weil die schwarze Null im Haushalt gerettet werden muss, sondern die nötigen Mittel werden zur Verfügung gestellt. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat etwa angekündigt, den Lehrern Dienstcomputer zu beschaffen, was schon lange gefordert worden war. Es gibt wohl nicht viele Unternehmen, bei denen die Angestellten ihre privaten Laptops mit zur Arbeit bringen müssen, wie es in Schulen der Fall ist. Die Große Koalition hat dafür 500 Millionen Euro aus einem Coronahilfsfonds der EU vorgesehen. Karliczek will in Verhandlung mit Brüssel treten.

Die gleiche Summe hat die Bundesregierung für ein weiteres Sofortprogramm veranschlagt. Dafür sollen die Schulen Tablets und Laptops anschaffen, um sie Schülern auszuleihen, die damit im Falle erneuter Schulschließungen zu Hause lernen können. Dieses im Juli auf den Weg gebrachte Programm ist deutlich unkomplizierter als der Pakt für die Lehrer. Fünf Länder haben die Mittel inzwischen bewilligt, fünf weitere sind nah dran. Die Schulen werden aller Voraussicht nach die Geräte zeitnah geliefert bekommen.

Der im Mai 2019 verabschiedete Digitalpakt Schule, für den Bund und Länder 5,5 Milliarden Euro ausgeben wollen, läuft dagegen eher schleppend an. Bislang sind erst rund 16 Millionen Euro in Projekte geflossen, weitere 250 Millionen Euro sind aber bewilligt worden. Durch den Lockdown seien die Planungen verzögert worden, sagte Bildungsministerin Karliczek. Da habe der Fokus in den Schulen ganz auf den Sofortmaßnahmen gelegen, um die Kinder und Jugendlichen zu Hause betreuen zu können. Bis zum Jahresende aber werde sich die Zahl der bewilligten Projekte massiv erhöhen, versprach die Politikerin.

Heftige Kritik gibt es dafür von der bildungspolitischen Sprecherin der FDP, Katja Suding. »Die Mittel fließen auch deswegen so schlecht ab, weil noch immer viele Schulen und Schulträger an den bürokratischen Hürden des Digitalpakts scheitern«, lautet ihr Credo. Hintergrund ist, dass Smartboards oder schnelles Internet nicht einfach so an die Schulen vergeben werden. Diese diese müssen zunächst ein pädagogisches Konzept vorlegen, wenn sie die Mittel beantragen. Kein Medium alleine erzeugt gute Bildung, lautet die Devise der Behörden. Vielmehr sollten an vielen Schulen digitale Pilotprojekte entstehen.

Das Bildungssystem zu modernisieren, ist zweifellos eine Mammutaufgabe. Dafür braucht es Zeit, Ideen und gut ausgebildetes Personal. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert schon seit Längerem passgenaue Fortbildungen für die Lehrkräfte. »Gute pädagogische Konzepte für die digitale Welt benötigen eine sinnvolle Verschränkung analoger und digitaler Lernangebote«, sagt Ilka Hoffmann vom Vorstand der GEW. »Dies macht neue, offene und kooperative Unterrichtsformen notwendig - die müssen erlernt und erprobt werden.«

Das neue Schuljahr gerade erst begonnen, und durch die Hygieneregeln ist der Lernalltag ein besonderer. Aber genau diese außergewöhnliche Situation scheint ein Motor für Weiterentwicklung des Unterrichts zu sein. Vieles spricht dafür, dass bei neuerlichen Schulschließungen vieles besser laufen würde als noch im Frühjahr. Die schlechten Noten aus der Bitkom-Umfrage sind womöglich zu Unrecht vergeben worden.

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