Dunkle Wolken vor dem Regenbogen

Der Start der Straßenrad-WM wird von Dopingermittlungen in Frankreich überschattet

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

Es hätten wenigstens ein paar ruhige Tage sein sollen zwischen dem Ende der Tour de France am vergangenen Sonntag in Paris und dem Beginn der nach Imola verlegten Weltmeisterschaften im Straßenradsport an diesem Donnerstag. Die Nachricht von einer Razzia der französischen Polizei im Hotel der Profimannschaft Arkea Samsic sorgte dann aber dafür, dass sich die Dopingwolken über diesem Sport mal wieder verdichteten und nun einen dunklen Schatten auf die Jagd nach den berühmten Weltmeistertrikots mit dem Regenbogen werfen.

Bereits am 16. September, also kurz nach der Touretappe hinauf zum Col de la Loze, hatten Beamte der auf Dopingdelikte spezialisierten Polizeieinheit OCLAESP den kolumbianischen Mitgliedern innerhalb der französischen Equipe ihre Aufwartung gemacht. Die Zimmer der Brüder Nairo und Dayer Quintana und das ihres Landsmanns Winner Anacona wurden durchsucht. Das Trio rollte an jenem Tag mit mehr als 25 Minuten Rückstand auf den Etappensieger Miguel Ángel López über den Zielstrich. Mit dem Tourpodium hatte da schon keiner der drei mehr etwas zu tun.

In ihren Zimmern wurde offenbar auch nichts Verdächtiges gefunden - in den Räumen zweier Begleiter des Teams aber durchaus. Wie die ermittelnde Staatsanwaltschaft aus Marseille dieser Tage bekanntgegeben hat, wurden bei ihnen unter anderem Infusionsbesteck und eine Kochsalzlösung entdeckt - beides per se noch keine Beweise für Betrügereien. Die Staatsanwaltschaft sprach dennoch vom »Verdacht des Einsatzes einer Dopingmethode« und nannte als drohendes Strafmaß auch gleich bis zu fünf Jahre Haft sowie 75 000 Euro Geldbuße.

Zwei Teambegleiter wurden sogar in Untersuchungshaft genommen. Es handelt sich dabei um Mikel O., einen ehemaligen Radprofi, der Nairo Quintana schon in dessen Zeiten beim Team Movistar als Masseur begleitet hatte und jetzt offiziell bei dessen neuem Rennstall Arkea Samsic angestellt ist. Der zweite Inhaftierte soll nach Angaben französischer Medien der Arzt Fredy G. sein. Er praktiziert in Tunja, dem Heimatort der Quintanas. Mitglied des Rennstalls sei er aber nicht. Ob er dennoch zur Hygiene-Blase des Teams gehörte, ist derzeit noch nicht klar.

Rennstallchef Emanuel Hubert ging sofort auf Distanz zu den Verhafteten und bezeichnete sie als »nicht angestellt vom Team«. Beim Physiotherapeuten O. überrascht die Aussage, für den Mediziner G. trifft sie wahrscheinlich zu. Was dieser dann aber doch im eigentlich abgeschotteten Hotel zu tun hatte, bleibt rätselhaft. Genauso, ob dies für den Weltverband UCI oder den Tourveranstalter ASO einen Verstoß der angeblich so strengen Hygieneregeln darstellte. Beide Organisatoren äußerten sich bisher nicht dazu.

Aus der Deckung kam immerhin Nairo Quintana, der nach seinen Siegen beim Giro und der Vuelta bekanntere der beiden Brüder. Er bestätigte die Razzia, betonte jedoch: »In meinem Raum wurden lediglich erlaubte Vitaminpräparate beschlagnahmt. Keinerlei Dopingsubstanzen wurden gefunden.« Er erklärte auch, niemals die Dienste von Betreuern außerhalb des Teams in Anspruch genommen zu haben. »Ich habe weder während meiner Juniorenzeit, noch bei den U23, noch in meiner Profikarriere illegale Substanzen benutzt, die meine Leistung verbessern.«

Das mag man Quintana nun glauben oder nicht. Abzuwarten bleibt das Ende der Ermittlungen. Hinweise für die Razzia kamen offenbar von der - in Auflösung begriffenen - UCI-Antidopingabteilung, der CADF. Die wollte dies auf Anfrage von »nd« aber weder bestätigen noch dementieren. Eine mögliche Folge der Razzia ist der Rückzug von Quintana aus dem achtköpfigen WM-Aufgebot der Kolumbianer. Der frühere Tourzweite war allerdings auch wegen diverser Sturzverletzungen nicht in starker Form.

Favoriten beim WM-Straßenrennen sind ohnehin nicht die bei der Frankreich-Rundfahrt arg gerupften kolumbianischen Kletterer. Der Kurs in Imola am Sonntag kommt eher explosiven Fahrern wie dem Schweizer Marc Hirschi, dem Franzosen Julian Alaphilippe und dem Belgier Wout van Aert entgegen - allesamt Etappensieger bei der gerade zu Ende gegangenen Tour. Diese drei nannte auch der deutsche WM-Kapitän Maximilian Schachmann gegenüber »nd« als seine Favoriten. Gespannt darf man auch auf das slowenische Duo Primož Roglič und Tadej Pogačar sein. Mit einem WM-Sieg kurz nach dem Tourerfolg würde Pogačar dann weiter auf den Spuren des belgischen »Kannibalen« Eddy Merckx wandeln.

Im Frauenrennen am Samstag ist abzuwarten, wie die derzeit alles überragende Annemiek van Vleuten ihren Sturz beim Giro d’Italia überstanden hat. Die Favoritinnenliste hier ist lang, geht vom starken niederländischen Aufgebot mit van Vleuten, Anna van der Breggen und Marianne Vos über die Polin Katarzyna Niewiadoma und Gastgeberin Elisa Longo Borghini bis zur deutschen Kapitänin Lisa Brennauer. Die Allgäuerin gehört auch zu den Medaillenanwärterinnen beim Zeitfahren, mit dem an diesem Donnerstag die WM starten wird. Hauptrivalinnen hier sind Titelverteidigerin Chloe Dygart (USA) sowie Vos und van der Breggen.

Das Zeitfahren der Männer zieht seinen Reiz aus dem Kampf zwischen den Tourteilnehmern van Aert und Tom Dumoulin aus den Niederlanden und den Spezialisten, die sich lieber daheim auf die WM vorbereitet haben. Dies sind vor allem der Belgier Victor Campenaerts und Titelverteidiger Rohan Dennis aus Australien. Slowenien bietet hier übrigens weder Pogačar noch Roglič auf, sondern gibt dem braven Routinier Jan Tratnik - beim letzten WM-Rennen 36. - eine Chance. Im deutschen Team verzichtet der einstige Seriensieger Tony Martin. Für Jasha Sütterlin, der vor zehn Jahren immerhin mal Juniorenvizeweltmeister in dieser Disziplin wurde, wäre eine Top-10-Platzierung schon ein großer Erfolg.

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