• Berlin
  • Humanistischer Verband

Gewerkschaft ausgeschlossen

Humanistischer Verband will im Tarifstreit nur noch mit Betriebsräten sprechen

  • Jordi Ziour
  • Lesedauer: 3 Min.
Beschäftigte des Humanistischen Verbands protestieren vor dessen Geschäftsstelle in der Wallstraße am Mittwochmorgen.
Beschäftigte des Humanistischen Verbands protestieren vor dessen Geschäftsstelle in der Wallstraße am Mittwochmorgen.

»So eng war es noch nie, ihr müsst euch wehren, wenn ihr den Tarifvertrag haben wollt«, schallt es durch die Wallstraße in Berlin-Mitte. Vor der Geschäftsstelle des Humanistischen Verbands (HVD) versammelt sich zum Warnstreik am Mittwochmorgen mit rund 300 Mitarbeitern ein beträchtlicher Teil der insgesamt 1400 Beschäftigten des Verbands. Der Grund: Anfang September scheiterten die Tarifauseinandersetzungen, weil der Arbeitgeber den Tisch verließ. Eine Einigung ist nicht in Sicht, nicht einmal ein nächster Verhandlungstag.

Rote Brause - der Berlin-Podcast

Was war letzte Woche noch mal wichtig in Berlin? Plop und Zisch! Aufgemacht! Der Podcast „Rote Brause“ liefert dir alle wichtigen News aus der Hauptstadtregion in nur 15 Minuten. 

Ein Lkw, der als Bühne dient, blockiert die Straße vor der Geschäftsstelle, davor wedeln Streikende mit Fahnen der Gewerkschaften GEW und Verdi. Fast alle Beschäftigten tragen rote und gelbe Warnwesten. »Der Arbeitgeber hat kein Mittel und keinen Versuch ausgelassen, um die Verhandlungen zu verschleppen!«, ruft Udo Mertens, Verhandlungsführer und Leiter im Vorstandsbereich Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW. Die Beschäftigten applaudieren und trillern mit ihren Pfeifen.

Die Kernforderungen der Gewerkschaften sind die Wiedereinsetzung des Tarifvertrags, die Erhöhung der Gehälter um sechs Prozent, rückwirkend zum 1. Januar 2020, sowie die stückweise Annäherung an den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst. Verhandlungen sind aber nur möglich, wenn der HVD an den Verhandlungstisch mit den Gewerkschaften zurück kehre, meinen GEW und Verdi.

Mit denen aber will der Verband erst mal nichts zu tun haben. Er kündigte mit dem Ende der Verhandlungen Anfang September an, Entgelte - rückwirkend und zukünftig - nur noch mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Darin sehen die Gewerkschaften den Versuch der Tarifflucht. Auch das Betriebsratsmitglied Monika Eckhardt ist empört: »Der Betriebsrat soll instrumentalisiert werden für den Ausstieg aus dem Tarifvertrag«, sagt die Vertrauensperson der GEW zu »nd«. Auch der Referendar Holger Hutt hält wenig von dem Agieren des Verbands. »Der Vorstand des HVD hat die Verhandlungen einseitig abgebrochen«, findet er.

Auf Nachfrage des »nd« weist der HVD-Vorstand den Vorwurf der Tarifflucht von sich. »Unser alter Tarifvertrag wirkt nach, und wir stehen einem neuen Tarifvertrag offen gegenüber. Dieser muss für den Verband jedoch finanzierbar sein, gerade in schwierigen Zeiten«, sagt Vorstandsvorsitzende Katrin Raczynski. Der HVD hatte am 2. September erklärt, dass die Forderungen der Gewerkschaft nach einem neuen Tarifsystem den Verband in den wirtschaftlichen Ruin treiben würden. Raczynski findet den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes nicht fair, weil er unter anderem die höheren Gehaltsgruppen massiv bevorzuge.

Stattdessen fordert sie ein »differenziertes Entgeltsystem, das für alle Beschäftigten die besten Gehälter ermöglicht.« Ein solches System böte laut Raczynski für den HVD die Möglichkeit, beispielsweise Erzieher*innen in verschiedenen Einrichtungen zu verschiedenen Konditionen zu vergüten. Laut Verdi verdienen sie dabei zwischen 270 Euro und 685 Euro weniger als im öffentlichen Dienst.

In einem weiteren Statement des Verbands heißt es, ein solches Vergütungsmodell sei ohnehin die einzige Möglichkeit: »Als freier Träger wird unsere Arbeit aus Geldern des Landes Berlin finanziert. Dieser Finanzierungslogik können wir uns nicht entziehen. Wenn die Politik hier also verschiedene Vergütungen vorsieht, können wir nur im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten Anpassungen vornehmen.« Der Verband finanziere sich aus vielen Töpfen und könne immer nur so viel Gehalt zahlen, wie er auch aus Landesmitteln refinanziert bekomme (»nd« berichtete).

Das wollen die Gewerkschaften auf gar keinen Fall. Ihrer Meinung nach wird damit die Regel »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« gebrochen - so Verdi-Verhandlungsführer Ivo Grabe zu »nd«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.