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Geht gegen das CDU-Milieu vor!
Gegen den Missbrauch in der Fleischindustrie bräuchten wir eigentlich Klassenjustiz gegen die wohlhabenden Profiteure der Schlachtfabriken
Am Mittwoch rückten 800 Beamte der Bundespolizei aus, um im deutschen Schlachthof-Sumpf zu ermitteln. Wie immer geschehen solche Aktionen »in den frühen Morgenstunden«. Ein Schwerpunkt war Weißenfels in Sachsen-Anhalt, wo der Tönnies-Konzern seine zweitgrößte Schlachtfabrik unterhält. Hier werden täglich 20 000 Schweine verarbeitet. Zum Leidwesen vieler Anwohner geschieht das mitten in einem Wohngebiet. Diese Anwohner sahen auch das Elend der Wanderarbeiter, die während des Corona-Lockdowns mitunter in Autos übernachteten.
Endlich wird der Staat mal aktiv und trocknet den Schlachthof-Sumpf aus! Lange war er aufreizend untätig. Doch gegen wen genau richtet sich die staatliche Gewalt? Hier wurden Truppen in Gang gesetzt, die der Bundesinnenminister Horst Seehofer befehligt. Und der kennt offenbar nur eine Peilung: »Die Mutter aller Probleme ist die Migration.« Vielleicht war es immer schon naiv zu glauben, dass ein Rechtsstaat neutral sei. Dass ein Rechtsstaat einfach Recht und Gesetz durchsetzt und zwar ungeachtet des Ansehens und der Herkunft der Täter*innen. Dass die Exekutive ihre so Prioritäten setzt, dass vor allem besonders schwere und häufig begangene Straftaten verfolgt werden. Die CDU-Innenminister Horst Seehofer und Herbert Reul (NRW) setzen ihre Einsatzkräfte ganz offensichtlich politisch und auf medialen Effekt hin kalkuliert ein. Wenn der Staat im Fall Tönnies schon handeln muss, weil der öffentliche Druck steigt, dann gefälligst in einer Weise, die sich rechts-demagogisch ausschlachten lässt: gegen Ausländer.
Die gestrige Razzia gegen Menschenhändler im Schlachthofsumpf richtete sich gegen einen Aspekt, den die kritische Öffentlichkeit bislang wenig beachtet hat: illegale Einwanderung aus Osteuropa. Offenbar gibt es einen Schlepper-Untergrund, der Menschen aus Belarus, der Ukraine, Moldawien mit gefälschten Papieren ausstattet. Offenbar ist der Verschleiß an »Menschenmaterial« (Human Resources) von Konzernen wie Tönnies und ihren Knochenmühlen so groß, dass längst Nachschub außerhalb der EU-Ostgrenzen rekrutiert werden muss. Das ist ein erstaunlicher Befund, denn in den abgerutschten Regionen der EU-Länder Rumänien und Bulgarien dürfte es doch genug Elend geben, das die Leute an die Zerlege-Fließbänder treibt. Möglicherweise hat sich auch dort längst herum gesprochen, wie die Lage dieser kasernierten und segregierten modernen Sklaven tatsächlich ist. Zum anderen beginnen auch die Rumän*innen langsam, ihre Lage nicht mehr nur duldsam zu ertragen, sondern frech zu werden. Sie besitzen Rechte, Stolz und sie posten auf sozialen Medien Videos aus den Fabriken.
Es ist bezeichnend, dass die Bundespolizei nun ausgerechnet an einem Punkt in der Verwertungskette ansetzt, der möglichst weit unten und möglichst weit weg von dem CDU-Parteispender Clemens Tönnies und seinem Netzwerk ist. Dabei wäre es längst an der Zeit, dem Schweine-Baron Tönnies direkt ans Leder zu gehen. Tatsächlich handelte es sich bei den angeblichen Werkverträgen, die geschätzt fast 80 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse bei Tönnies ausmachten, um Schein-Werkverträge, also illegale Arbeitnehmerüberlassung. Dafür ist er direkt verantwortlich. Hinzu kommt organisierter Mietwucher, der über die Corona-Quarantäne gegen Wohnanlagen von Wanderarbeitern bereits gut dokumentiert sein müsste.
Warum wird nicht hier durchgegriffen? Weil es sich a) um deutsche Täter, Auftraggeber und Profiteure handelt - etwa ostwestfälische Hausbesitzer, die aus den letzten Schrott-Immobilien noch Profit geschlagen haben, und b) um gut vernetzte Wohlhabende bis Superreiche, die Klientel der CDU sind. Um das Gerechtigkeitsgefühl einer kritischen Öffentlichkeit ins Lot zu bringen, muss endlich von oben nach unten ermittelt werden. Clemens Tönnies würde, wenn die Behörden einigermaßen fleißig arbeiteten, wohl in den Knast wandern. Und sei es - wie damals der Chicagoer Mafia-Boss Al Capone - wegen so etwas Banalem wie Steuerhinterziehung.
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