Rechte Gewalttaten passten nicht in das Weltbild von Strauß

Lange hielt sich die offizielle These, der Bombenleger von München sei ein Einzeltäter gewesen

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war am späten Abend des 26. September 1980, als inmitten der Menschenmenge am Haupteingang des Münchner Oktoberfests um 22.19 Uhr eine Bombe explodierte. Sie war in einem Papierkorb versteckt gewesen. Die Wirkung der Bombe ist furchtbar: Acht Menschen werden sofort getötet, fünf erliegen in den nächsten Tagen ihren schweren Verletzungen, mehr als 200 weitere Menschen tragen Verwundungen davon. Eine Familie verliert zwei Kinder. Ein anderes Opfer liegt ein Jahr in der Klinik und wird 16 Mal operiert.

Auch Jahrzehnte nach dem schwersten Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte ist das Geschehen bei den Betroffenen noch immer präsent. »Meine Mandaten leiden psychisch, und das verdichtet sich jedes Jahr, wenn das Oktoberfest kommt. Eine Mandantin verlässt in dieser Zeit die Stadt. Für sie ist die Wunde nicht verheilt. Sie und die anderen Mandanten wollen immer noch wissen, wem sie das zu verdanken haben, dass ihr Leben zerstört oder beeinträchtigt wurde«, erzählt Werner Dietrich, der als Rechtsanwalt einige der Opfer vertritt und sich für die Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens eingesetzt hat.

Denn die Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat werfen ein grelles Licht auf die damaligen Verhältnisse in der Bundesrepublik im Allgemeinen und in Bayern im Besonderen: Justiz und Polizei sind auf dem rechten Auge blind - eine Traditionslinie, die sich bis zu den Morden des NSU fortsetzt.

Getötet wurde bei der Bombenexplosion auch der mutmaßliche Attentäter - Gundolf Köhler, ein 21-jähriger Student der Geologie aus Donaueschingen. Er war Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann, einer neonazistischen paramilitärischen Organisation, die 1980 verboten wurde. Zunächst laufen die Ermittlungen auch in diese Richtung: Am 28. September 1980, also zwei Tage nach dem Anschlag, erklärte der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann bei einer Pressekonferenz: »Nach den bisherigen Ermittlungen kommt als Täter der 21-jährige Geologiestudent Gundolf Köhler aus Donaueschingen in Betracht. Er kam bei dem Attentat ums Leben. Wir nehmen nicht an, dass Köhler als Alleintäter gehandelt hat, die Ermittlungen haben ergeben, dass Köhler Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war.«

Ob Köhler wirklich Mitglied war, ist unklar, der Führer der Wehrsportgruppe, der Grafiker Karl-Heinz Hoffmann, bestreitet das bis heute. Sicher aber ist, dass Köhler zumindest aktiver Sympathisant der paramilitärischen Gruppe war. So gab es zwischen Köhler und Hoffmann 1976 einen Briefwechsel, in dem es auch darum ging, in Donaueschingen eine Ortsgruppe aufzubauen. Außerdem war Köhler 1977 und 1979 in der Kartei der Wehrsportgruppe als aktiver Anhänger erfasst. Laut einer Notiz von Hoffmann auf der Kartei von 1979 hatte Köhler an zwei Übungen teilgenommen.

Dennoch gehen die Ermittlungen in eine ganz andere Richtung weiter. Jetzt gilt Gundolf Köhler als Einzeltäter, der die Bombe nicht aus politischen Gründen, sondern aus Liebeskummer und Frustration gezündet habe. Diese Version behält 30 Jahre lang Gültigkeit. Zur Zeit des Attentats war Bundestagswahlkampf, und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß hatte die Hoffmann-Gruppe nach dem Verbot 1980 noch als harmlose Spinner abgetan. Strauß wollte sich in der Öffentlichkeit als Sicherheitspolitiker gegen links profilieren. Rechte Gewalttaten passten nicht in sein Weltbild.

Ermittlungen in diese Richtung unterblieben, und auch hier sind wieder die Parallelen zu den NSU-Morden zu sehen. Rechtsanwalt Werner Dietrich setzt sich bereit 1983 und 2008 für die Wiederaufnahme des Verfahrens ein, zunächst vergebens. Wichtige Beweisstücke in den Asservatenkammern gab es nicht mehr. Auch der BR-Journalist Ulrich Chaussy recherchiert jahrelang. Sein Fazit: Bis heute seien zentrale Fragen zum folgenschwersten Attentat der bundesdeutschen Geschichte ungeklärt. Gerichtsfest könne man gar nichts sagen, da die Ermittlungstätigkeit von den Behörden auf vielfältige Art und Weise blockiert worden sei, vor allem durch den bayerischen Staatsschutzchef Hans Langemann.

Erst am 30. Jahrestag des Anschlags 2010 spricht Innenminister Joachim Herrmann von einem rechtsextremen Motiv des Attentäters. Und die Staatsregierung weigert sich lange, die Opfer des Attentats umfassend finanziell zu unterstützen. Zwar hatte der Freistaat schon 1980 Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, ein Großteil der Opfer ging damals jedoch leer aus.

Aufgrund der Hartnäckigkeit von Dietrich und Chaussy nimmt die Staatsanwaltschaft schließlich 2014 erneut die Ermittlungen auf. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe werden innerhalb von fünfeinhalb Jahren an die 770 Spuren bearbeitet, mehr als 1000 Vernehmungen durchgeführt und über 300 000 Seiten in Akten gesichtet. Konkrete und strafrechtlich relevante Hinweise seien jedoch nicht gefunden worden. Im Juli diesen Jahres wurden die Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat vor 40 Jahren endgültig eingestellt.

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