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Montevideo bleibt links
In Uruguays Hauptstadt wehrt die Frente Amplio den Angriff der Rechten um den populären Präsidenten ab
Sonne, blauer Himmel. Frühlingslüfte am Rio de la Plata. Auf der kilometerlangen Rambla Montevideos joggen, bummeln und radeln Hauptstädter - nur vereinzelt mit Schutzmaske. Corona scheint Vergangenheit. Aber Entwarnung will die neue rechtskonservative Regierung nicht geben. Der 47-jährige Präsident Luis Lacalle Pou sonnte sich zeitweise in einem Popularitätshoch von über 80 Prozent, wegen des allseits gelobten Managements der Coronakrise.
Um die Hochburg der linken Frente Amplio (Breite Front) in Montevideo zu stürmen, reichte die Popularität von Lacalle Pou allerdings nicht aus. Seine Kandidatin Laura Raffo kam zwar am 27. September mit fast 40 Prozent auf das höchste Einzelergebnis; doch da die mit mehreren Kandidat*innen ihrer Untergruppierungen angetretene Frente Amplio 52,1 Prozent erzielte, wird deren stärkste Einzelkandidatin Carolina Cosse neue Bürgermeisterin, obwohl sie bei der Wahl mit 20,7 Prozent hinter Raffo einlief.
In Uruguay ticken indes die Uhren seit dem 1. März zum ersten Mal seit 15 Jahren politisch anders als in Montevideo. Tabaré Vazquez von der Frente Amplio legte an diesem Tag Lacalle Pou die Präsidentenschärpe um, nachdem die seit 2005 regierende Frente Amplio abgewählt worden war. Es waren kaum zwei Wochen vergangen, als der 47-jährige Spross einer Politikerdynastie und Chef einer politisch »vielfarbigen« Koalitionsregierung mit dem ersten Sars-CoV-2-Infizierten in Uruguay konfrontiert wurde. Er reagierte schnell und entschieden, verließ sich auf den Rat von Wissenschaftlern. Die Grenzen zu den Nachbarländern wurden geschlossen, Flüge suspendiert. Dicht gemacht wurden Schulen, Kirchen, Theater, Kinos, Shopping Center und die Fußballstadien. Aber es ging ohne Ausgangssperren. Der Präsident appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Uruguayer. Mit Erfolg: Bislang beklagt das Land bei 2008 Corona-Infizierten nicht mehr als 47 Todesopfer. Es ist die mit Abstand niedrigste Todesrate in der Region.
Zugute kam dabei der Regierung die geringe Bevölkerungsdichte in Uruguay. Halb si groß wie die Bundesrepublik leben dort gerade mal 3,5 Millionen Menschen. Die Hauptstadt Montevideo mit 1,3 Millionen Einwohnern lässt sich nicht mit den Betonwüsten und Armutsvierteln der Megastädte Buenos Aires oder São Paulo vergleichen. Die sozialen Gegensätze sind nicht so ausgeprägt wie in den meisten südamerikanischen Staaten.
Lacalle Pou ließ die günstige Stimmung nicht ungenutzt verstreichen und reiste nach Buenos Aires. Dort warb er ausgiebig für seine Regierung und für Investoren. Danach wurde der neoliberal orientierte Präsident bis nach Europa in der liberal-konservativen Medienlandschaft nicht nur für seine Corona-Politik als »Staatsmann« gefeiert.
Weggelassen oder nur nebenbei angemerkt wurde in vielen Berichten, dass die bislang erfolgreiche Corona-Politik Lacalles auch von den sozialen Errungenschaften der linken Vorgänger zehrt. Frente-Amplio-Regierungen weiteten die Sozialpolitik aus, drängten so die Armut zurück, investierten massiv in den Gesundheitssektor und machten ihn vor allem für alle Uruguayer zugänglich. In einigen Artikeln scheint das »funktionierende staatliche Gesundheitssystem« allerdings vom Himmel gefallen. Wenn es das nicht gäbe, wäre das kleine Land ebenso schlimm dran wie Argentinien, Brasilien, Peru, Chile und Ecuador, wo neoliberale Präsidenten brutal das Gesundheitssystem gekürzt hatten.
Überraschend kam dann für Lacalle Pou eine Nachricht aus Santiago de Chile. Die dort ansässige renommierte UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) stellte in einer Studie fest: Uruguay hat bislang nur 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts an Geldern zur Verfügung gestellt, um die Folgen der Covid-19-Pandemie abzumildern. Damit belegt das Land den drittletzten Platz in Lateinamerika! Cepal habe sich »geirrt« und »schlecht analysiert«, zeigte sich Lacalle Pou irritiert. Er forderte, die Zahlen noch einmal zu überprüfen. Die Cepal-Chefin Alicia Bárcena konterte: »Das sind nun mal die Zahlen.« Die Berechnungen basierten auf offiziellen Angaben aus Montevideo. Der Schutzschirm war nicht für alle aufgespannt. 220 Volksküchen stillten den Hunger der von der Regierung Vergessenen.
Wappnen gegen Kritik muss sich auch künftig die »vielfarbige« Koalition, die von liberal-konservativen bis rechtsextremen Parteien reicht. Wie von der Verfassung vorgesehen legte sie Ende August ihren Haushaltsentwurf für die nächsten fünf Jahre vor. »Das ist ein realistischer und optimistischer Haushalt«, meinte der Präsident. Der Entwurf ist allerdings mit offenen und verdeckten Kürzungen gespickt, im Regierungsjargon »Einsparungen« genannt. Das könnte zu »grausamen Verwüstungen« führen, fürchtet Danilo Astori, Vizepräsident und Wirtschaftsminister in den »Frente«-Regierungen. Der Entwurf droht, soziale Errungenschaften abzubauen. Kritiker rechnen mit einer Zunahme von Armut und Ungleichheit, sowie mit Lohn- und Gehaltssenkungen, auch im öffentlichen Sektor. Bereits im März kürzte Lacalle Pou per Dekret die Budgets aller Ministerien um 15 Prozent.
Sorge bereitet die wirtschaftliche Situation. Das Bruttosozialprodukt ist um 3,5 Prozent zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit hat die Zehn-Prozent-Marke übersprungen. Unverzagt sagt die Regierung in den nächsten Jahren ein Wachstum von durchschnittlich über zwei Prozent voraus. »Extrem optimistisch«, urteilte Gabriela Mordecki, Direktorin des Wirtschaftsinstituts an der staatlichen Universität in der Hauptstadt. Ein Warnsignal für Lacalle Pou war der erste 24-stündige Generalstreik des nach wie vor starken Gewerkschaftsbundes PIT-CNT am 17. September. Lacalles Popularität erhält erste Kratzer.
Aber trotz ihres Sieges in Montevideo ist auch für die Frente Amplio nicht alles eitel Sonnenschein. Vor allem im Landesinneren hat sie bei den Kommunalwahlen Stimmen und Bürgermeisterposten verloren. Ursachenforschung und Selbstkritik sind angesagt.
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