Europa muss noch sehr viel mehr tun

HEISSE ZEITEN - DIE KLIMAKOLUMNE über die erhöhten EU-Klimaziele und die Untätigkeit vieler Mitgliedstaaten

  • Anke Herold
  • Lesedauer: 3 Min.

In der vergangenen Woche hat die Europäische Kommission die Pläne für ein höheres Minderungsziel bis zum Jahr 2030 vorgestellt: Statt um 40 Prozent, wie bislang angestrebt, sollen die europäischen Treibhausgasemissionen nun um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. »Wir planen, die gleiche Menge an Emissionen in der nächsten Dekade zu sparen wie in den vergangenen 25 Jahren«, charakterisierte Frans Timmermans, der EU-Vizepräsident und Klimakommissar, den Ehrgeiz dieser Zielsetzung.

Neu ist, dass der Landnutzungssektor in das Klimaschutzziel eingerechnet wird. Begründet wird dies damit, dass beim EU-Ziel der Treibhausgasneutralität im Jahr 2050 die emissionssenkende Wirkung von Wäldern und Böden den verbleibenden Ausstoß aus der Landwirtschaft ausgleicht. Wenn man 2050 mit den Senken aus den Wäldern rechnet, sollte man das auch für 2030 tun.

Zuletzt schwanden die Kohlenstoffsenken in Wäldern stark durch verstärkte Holznutzung und durch den Klimawandel. Die Wälder in Europa speicherten im Jahr 2018 fast 40 Millionen Tonnen CO2 weniger als in der Periode von 1990 bis 2010. Dieser Entwicklung soll mit der Einbeziehung des Landnutzungssektors entgegengesteuert werden. Allerdings führt die Zielerweiterung um die Landnutzung und den Wald nach unseren Berechnungen auch zu einer höheren Emissionsreduktion. Circa 2,5 Prozentpunkte der Zielerhöhung müsste man rechnerisch eigentlich vom neuen 55-Prozent-Ziel abziehen, wenn man es mit dem bisherigen 40-Prozent-Ziel vergleichen möchte.

Die bisherigen Umsetzungsinstrumente in der EU müssen im Nachgang ebenfalls entsprechend verschärft werden: der Emissionshandel, die Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz, CO2-Standards für Fahrzeuge oder die gemeinsame EU-Agrarpolitik. Hier lässt die Kommission noch vieles offen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung.

Auf Deutschland käme ein deutlich höherer Beitrag zum EU-Ziel zu, und es müssten nach unserer Schätzung rund 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis 2030 zusätzlich eingespart werden. Der Kohleausstieg müsste beschleunigt und der Anteil der erneuerbaren Energien nicht nur auf 65 Prozent, sondern auf rund 70 bis 75 Prozent erhöht werden. Machbar ist das durchaus, aber dafür muss bei den »Sorgenkindern«, also insbesondere den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft, sehr viel mehr als bisher getan werden. In der Landwirtschaft enthält das derzeitige Maßnahmenprogramm der Bundesregierung so wenig Substanz, dass bereits das bestehende Ziel für 2030 um circa die Hälfte verfehlt werden wird. Olaf Bandt vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland hat kürzlich in dieser Kolumne den Reformstau in der Landwirtschaftspolitik treffend beschrieben. Eine Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, die den Klimaschutz klar in den Fokus stellt, könnte ganz neue Anreize schaffen.

Mit gesamteuropäischem Ehrgeiz versucht die Kommission, die Untätigkeit vieler einzelner Mitgliedstaaten zu überwinden. Das wird jedoch nur dann gelingen, wenn auch die Einzelstaaten endlich in den Handlungsmodus wechseln und wenn die europäische Klimagesetzgebung wirklich Biss hat, das heißt: verbindliche Zielpfade für jedes einzelne Jahr bis 2030 und wirksame Sanktionsmechanismen. Die Effort-Sharing-Verordnung (sie schreibt den einzelnen Mitgliedstaaten verbindliche Jahresziele für die Reduzierung der Emissionen vor, d. Red.) sieht jährliche Emissionsbudgets sowie nationale Minderungsziele für die Sektoren Verkehr, Gebäude, Abfall und Landwirtschaft vor. Wenn die Staaten ihre Emissionsziele nicht einhalten, müssen sie jedes Jahr »Emissionserlaubnisse« von anderen Ländern zukaufen, was durch das knappe Angebot künftig sehr teuer sein wird. Dieses System schafft hohe Anreize zum Handeln.

Bei der Energieeffizienz, den Vorschriften zu erneuerbaren Energien bei Gebäuden und in vielen anderen Bereichen gibt es jedoch viele unverbindliche Formulierungen in der EU-Gesetzgebung, die endlich in verbindliche Bestimmungen verwandelt werden müssen. Für eine schnelle Umsetzung der Ziele müssen sowohl die EU als auch die Bundesregierung noch sehr viel mehr tun als bisher.

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