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Sparen an den Ärmsten
Die Große Koalition gibt viel Geld aus. Aber nicht genug für die, die es besonders nötig haben.
Die Haushaltswochen des Bundestags sind in Teilen eine große Show. Die Kanzlerin und ihre Minister bekommen viel Redezeit, um sich im Parlament zu inszenieren und die eigene Krisenbewältigungspolitik überschwänglich zu loben. Den Anfang machte am Dienstag Finanzressortchef und Vizekanzler Olaf Scholz. Der Sozialdemokrat erinnerte in seiner Rede an die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009. Damals hatte die Bundesregierung - wie nun auch während der Coronapandemie - sich weiter verschuldet, um die Folgen abzufedern und das Wachstum wieder anzukurbeln. »Was uns nun durch diese Krise führt, ist eine starke Wirtschaft und ein guter Sozialstaat, der genug Kraft hat, um die Bürgerinnen und Bürger zu beschützen«, verkündete Scholz.
Obwohl vielen Keynesianern hierzulande angesichts der großen staatlichen Investitionen das Herz aufgeht, sind doch Zweifel an dem Satz von Scholz angebracht. Es ist klar, dass er Zuversicht verbreiten und den Bürgern vermitteln will, dass der Staat für sie da ist. Die Realität ist aber eine andere. Eine Umfrage der Auskunftei Creditreform ergab kürzlich, dass mehr als ein Viertel der Deutschen Zahlungsschwierigkeiten durch die Coronakrise fürchtet. 28 Prozent der Befragten waren demnach unsicher, ob sie in den kommenden zwölf Monaten alle finanziellen Verpflichtungen wie Miete, Kredite und Versicherungsbeiträge zahlen könnten. Als Ursachen wurden in erster Linie coronabedingte Kurzarbeit und Erwerbslosigkeit genannt.
Für letztere Gruppe hatte die schwarz-rote Bundesregierung zu Beginn von Pandemie und Wirtschaftskrise noch »Sozialschutzpakete« beschlossen. Der Zugang zu Hartz-IV-Leistungen wurde erleichtert. Zu diesem Zweck setzte die Regierung die Prüfung der Vermögensverhältnisse sowie die Prüfung der Angemessenheit der Wohnverhältnisse aus. Auch die Hartz-IV-Sanktionen wurden ausgesetzt, da aufgrund der überwiegenden Schließungen der Jobcenter für den Kundenverkehr zwischenzeitlich keine persönlichen Anhörungen mehr möglich waren. Außerdem bekommen alle Familien im Herbst einen Kinderbonus von 300 Euro. Allerdings ist diese Zulage für arme Familien nur ein Ausgleich dafür, dass das Kita- und Schulmittagessen während des Lockdowns weggefallen ist. Die Zahlung von Arbeitslosengeld I, das oft höher ist als die Grundsicherung, wurde für viele Menschen um drei Monate verlängert.
Doch diese Maßnahmen laufen aus. Hartz-IV-Bezieher werden inzwischen wieder durchleuchtet. Denn nach Auffassung der Bundesregierung ist es nach dem Lockdown für jeden wieder möglich, einen Job zu finden. Sie ignoriert, dass es bereits vor der Coronapandemie Krisentendenzen gab und beispielsweise in der Automobilindustrie und den Zulieferern ein größerer Stellenabbau droht.
Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sind keine großen Schritte bei der Bekämpfung von Armut mehr vorgesehen. Insgesamt plant Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) mit Ausgaben in Höhe von 163,98 Milliarden Euro. Der Etat ist traditionell der größte Einzelposten. Im Vergleich zu diesem Jahr will Heil sparen. Aus den Nachtragshaushalten für 2020 ergaben sich noch rund 170,68 Milliarden Euro für Heils Ministerium. Auffällig ist, dass der Entwurf 44,53 Milliarden Euro für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose vorsieht, nachdem in diesem Jahr insgesamt 48,95 Milliarden Euro gezahlt werden sollen. Mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage sind diese prognostizierten Ausgaben sehr optimistisch.
Deutlich mehr Geld müsste Heil in die Hand nehmen, wenn Hartz-IV-Sätze gezahlt werden würden, die für ein menschenwürdiges Leben reichen. Nach den Berechnungen der Linken und ihrer Vorsitzenden Katja Kipping sollten die Leistungen um 225 Euro steigen. Der Regelsatz würde demnach für einen alleinstehenden Erwachsenen 657,55 Euro im Monat betragen. Dagegen plant die Bundesregierung im kommenden Jahr lediglich eine Erhöhung um sieben Euro.
Die größte Summe in Heils Etat sind die Ausgaben für »Rentenversicherung und Grundsicherung im Alter sowie bei Erwerbsminderung«. Diese belaufen sich auf 114,58 Milliarden Euro. Trotzdem grassiert hierzulande nach wie vor die Altersarmut. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben 17,4 Prozent aller Frauen und 13,5 Prozent aller Männer über 64 unterhalb der Armutsschwelle und haben weniger als 1074 Euro zur Verfügung. Ursachen sind frühere Erwerbslosigkeit und niedrige Löhne. Auch die vielerorts steigenden Mieten machen den älteren Menschen das Leben schwer.
Die für kommendes Jahr geplante Grundrente wird unter anderem nach Berechnungen der Grünen nur wenige Menschen aus der Armut und der Grundsicherung holen. Und wer knapp darüber liegt, muss auch finanzielle Engpässe fürchten. Woher die 1,3 Milliarden Euro für die Grundrente kommen sollen, ist noch unklar. Sicher ist nur, dass sie aus Steuermitteln finanziert wird.
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