Bürokratie und Vision
Landesrechnungshof übt Kritik an Friedrichshain-Kreuzberger Vorkaufspraxis
Formal lenkt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg im Streit um die Ausübung von Vorkaufsrechten mit dem Landesrechnungshof ein. Die Umsetzung der Empfehlungen der Behörde sei bereits nach Eingang des Entwurfs zum Prüfbericht mit einem Bezirksamtsbeschluss im September eingeleitet worden. »Zukünftig wird das Bezirksamtskollegium final entscheiden, ob ein Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll«, teilt der Bezirk am Montagnachmittag mit.
Kurz zuvor hat Karin Klingen, Präsidentin des Landesrechnungshofs, bei einer Pressekonferenz im Roten Rathaus den Bericht 2020 ihrer Behörde vorgestellt. Zehn Seiten des Papiers widmen sich dem Thema »Unzureichende Prüfung vor Ausübung der Vorkaufsrechte«. Dabei geht es um die Vorkaufsgenossenschaft »Diese eG«. Im vergangenen Jahr haben die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg das Vorkaufsrecht für mehrere Häuser zugunsten der »Diese eG« ausgeübt. Geprüft hatte der Rechnungshof allerdings nur die Vorgänge in Friedrichshain-Kreuzberg unter Ägide des Baustadtrats Florian Schmidt (Grüne).
In sechs Fällen sei die finanzielle Leistungsfähigkeit der »Diese eG« nicht ausreichend geprüft worden, in fünf Fällen davon sei ein Finanzierungsbaustein nicht gesichert gewesen, fasst Präsidentin Klingen zusammen. »Die Anforderungen an die Bonitätsprüfung dürften nicht überspannt werden«, entgegnete Friedrichshain-Kreuzberg in seiner Stellungnahme im Bericht, da ansonsten die Ausübung des Vorkaufsrechts »unmöglich sei«. Tatsächlich muss innerhalb von nur zwei Monaten alles für den Kauf geregelt sein - äußerst wenig Zeit, wenn man bedenkt, was alles bis dahin geklärt werden muss. »Man arbeitet in einem extrem engen Zeitrahmen, um das Eigenkapital einzusammeln«, nennt Elena Poeschl, Vorständin der »Diese eG«, ein Beispiel.
Der Rechnungshof weist solche praktischen Probleme zurück, er geht weiterhin davon aus, dass der Bezirk ein finanzielles Risiko von über 27 Millionen Euro eingegangen ist. Eine Sichtweise, der Stadtrat Schmidt nach wie vor widerspricht: »Für das Land Berlin bestand grundsätzlich kein außerordentliches finanzielles Risiko, weil die Häuser unter dem Verkehrswert erworben wurden und notfalls ein Weiterverkauf hätte durchgeführt werden können.«
Tatsächlicher finanzieller Schaden entstand durch die Hängepartie um Zuschüsse des Senats für den Erwerb sowie Förderdarlehen durch die landeseigene Investitionsbank Berlin. Nach Auskunft von Schmidt sind bisher 160 000 Euro fällig geworden, weitere 110 000 Euro könnten noch dazukommen, was er bedauere. »Hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Kosten vor allem aus den nicht vom Bezirksamt verantworteten Verzögerungen resultieren, wie beispielsweise durch dadurch entstandene höhere Anwalts- und Notarkosten.«
Damit streift er den politischen Streit vor allem innerhalb der Hauptstadt-SPD. Während von der Berliner Finanzverwaltung unter Führung von Senator Matthias Kollatz (SPD) von Anfang an positive Signale für diese Form der Vorkäufe gegeben wurden und sogar Zusagen von Fördermitteln unter Voraussetzung der Zustimmung des Hauptausschusses im Abgeordnetenhaus in Aussicht gestellt worden sind, stellte sich der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Torsten Schneider, auf die Hinterbeine. »Sollte einer der schon vorhandenen Fälle eine staatliche Förderung bekommen, dann werde ich über den Senat kommen wie ein Panzerfahrer«, hatte Schneider bei der entsprechenden Ausschusssitzung im August 2019 angekündigt.
Bei der »Diese eG« herrscht wenig Verständnis für die Interpretation des Landesrechnungshofs. Sie hat insgesamt 140 Wohnungen dem Zugriff gefürchteter Investoren wie Fortis entzogen. »Es war ein Präzedenzfall. Wir wussten, dass wir in Finanzierungsfragen flexibel agieren müssen. Das ist mir Risiken verbunden«, sagt Vorständin Elena Poeschl zu »nd«. Die »Diese eG« hatte dem Landesrechnungshof eine 13-seitige Stellungnahme zu den Sachverhalten geschickt, aus der im Behördenbericht allerdings überhaupt nichts auftaucht.
Die Opposition schäumt. »In einem selbstherrlichen Alleingang wurden Steuergelder der Berliner weitgehend ungeprüft für eine klientelorientierte Wohnungspolitik missbraucht, und das offenbar ohne jede Absicherung«, sagt CDU-Fraktionschef Burkard Dregger.
»Entscheidend ist, dass das Vorkaufsrecht zugunsten von Genossenschaften seit 2019 zur Aufrechterhaltung des Milieuschutzes maßgeblich beiträgt«, erklärt Baustadtrat Florian Schmidt. Inzwischen sei in fünf Berliner Bezirken elf Mal das Vorkaufsrecht zugunsten von Genossenschaften für zusammen 386 Wohnungen ausgeübt worden.
Ob der Landesrechnungshof Politik macht oder tatsächlich unvoreingenommen das Handeln von Senats- oder Bezirksverwaltungen prüft, ist durchaus diskussionswürdig. Denn der Aufklärungswille scheint nicht über das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hinauszureichen, schließlich waren ein weiterer Bezirk und drei Senatsverwaltungen involviert. »Wir haben uns auf den Moment der Ausübung der Vorkaufsrechte konzentriert«, begründet das Klingen.
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