Amtlich bekanntgeworden...

Das Berliner Kammergericht muss im Fall »Vadim K.« allzu laute politische Ratschläge überhören

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor dem Berliner Kammergericht landen Fälle aller Art: Mal geht es um ein mutmaßlich illegales Ausschank-Areal vor einem »Späti«, mal um den Widerspruch eines AfD-Geschäftsführers gegen dessen Rausschmiss, auch der Ex-Pressesprecher des Eisbärenklubs will sich, so ist zu vermuten, mit Richterhilfe seine Entbehrlichkeit vergelten lassen. Noch immer verlangen der Diebstahl der riesigen Golfmünze aus dem Bode-Museum sowie die Vorgänge an der Berliner Ballettschule Aufmerksamkeit. Doch all das klingt banal gegenüber dem Fall, den der für Staatsschutzangelegenheiten zuständige 2. Senat am Mittwoch und an (zunächst) 24 weiteren Tagen verhandeln wird.

Vom Generalbundesanwalt angeklagt ist - so steht es im Verhandlungsplan - ein Vadim K., der sich Vadim S. nennt. Der 55-jährige russische Staatsbürger muss sich wegen mutmaßlichen Mordes sowie wegen Verstoßes gegen das deutsche Waffengesetz verantworten. Am 23. August 2019 soll er im Kleinen Tiergarten »den georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Abstammung Tornike K. mittels einer halbautomatischen Kurzwaffe« getötet haben.

Dass es sich bei dem Fall nicht um eine in Berlin durchaus übliche Abrechnung im Milieu der organisierten Kriminalität handelt, zeigt das gewaltige mediale Interesse. Mehrfach ergänzte die Gerichtspressestelle Akkreditierungsgrundsätze. In deren letzter Fassung sicherte man ARD und ZDF »jeweils ausdrücklich einen Platz im Sitzungssaal« zu. Diese Entscheidung geschehe wegen der »großen überregionalen Bedeutung« des Prozesses. Kein Zweifel, man will - was so sicher niemand bestätigen wird - im übergeordneten staatlichen Interesse sicherstellen, dass die Tat und deren Aufarbeitung international beachtet wird, denn: Der Täter soll, so die Anklage, »im Auftrag von staatlichen Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation gehandelt haben«. Hintergrund des Tötungsauftrags sei, so die oberste Anklagebehörde Deutschlands, »die mutmaßliche Gegnerschaft des Opfers zum russischen Zentralstaat sowie zu den Regierungen der Autonomen Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien sowie zu der Regierung Georgiens gewesen sein«.

So ein politischer Mord, noch dazu, wenn er im Auftrag Russlands in einem fremden Land ausgeführt wird, bietet medial viel Stoff. Juristisch allerdings verlangt der Vorwurf eine nüchterne Beweisführung. Ob die möglich ist, bleibt abzuwarten. Der kurz nach dem Mord in Tatortnähe festgenommene Angeklagte Vadim Krasikov - sein Name ist durch zahlreiche Medienberichte ebenso bekannt wie der des Opfers Tornike Khangoshvili - schweigt. Und so konnten die Ermittler nicht einmal herausfinden, ob er für die drei tödlichen Schüsse auf Khangoshvili bezahlt wurde. Oder ob er »das Motiv seiner Auftraggeber geteilt« hat, das Rache vermuten lässt. Es wird spannend sein, welches Motiv die Ankläger wie nachweisen und wie die Verhandlung die unübersehbare politische Implikation berücksichtigt.

Laut Bundesanwaltschaft soll der Beschuldigte am 17. August 2019 mit Hilfe eines von der russischen Einwanderungsbehörde auf den Namen Vadim Sokolov ausgestellten Passes als Tourist zunächst nach Paris gereist sein. Von dort gelangte er über Warschau nach Berlin. Zuerst hatte das Bellingcat-Netzwerk, über das so manche westliche Geheimdiensterkenntnis lanciert wird, behauptet, dass Sokolov in Wahrheit Krasikov heißt und im August 1965 in der damaligen kasachischen Sowjetrepublik geboren wurde. Er soll bei der Ermordung eines russischen Geschäftsmannes im Juni 2013 in Moskau beteiligt gewesen sein. Die lief nach einem ähnlichen Muster wie die Tötung Khangoshvilis ab: Ein Radfahrer näherte sich dem Opfer von hinten und schoss aus der Nähe. Die russische Polizei schrieb Krasikov bei Interpol zur Fahndung aus, ließ den Vorgang aber bereits ein Jahr später löschen.

Und das Opfer? Khangoshvili, so sagt die deutsche Anklage, habe sich seit Dezember 2016 als Asylbewerber in Deutschland aufgehalten. Der Versuch, sein Vorleben aufzuhellen, ist gleichfalls nicht einfach. Angeblich wurde er 1979 im Dorf Duisi, das liegt in Georgien, geboren. Nach der Schule ging er nach Tschetschenien. Er heiratete, wurde Vater von vier Kindern. 2001 schloss er sich einer Truppe an, die gegen die russische Vorherrschaft kämpfte, und stieg zu einem Anführer auf. Nach seiner Rückkehr in die Heimat kommandierte Khangoshvili eine georgische Anti-Terror-Militäreinheit in Südossetien.

Man kann vermuten, dass Russlands Sicherheitsbehörden nicht gut auf den Georgier zu sprechen waren. Präsident Wladimir Putin nannte den da bereits Toten am Rande eines Ukrainegipfels in Paris einen »Banditen« und einen »blutrünstigen und brutalen Menschen«. Doch das allein ist für eine ernsthafte Beweisführung für einen Mordauftrag aus dem Kreml zu dünn. Denn Putins Charakterisierung des Opfers trifft auch auf zahlreiche andere Tschetschenen zu, die sich wie Khangoshvili nach Deutschland geflüchtet haben. Allzu viele haben, das wissen Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz, auch hier einen Platz in der organisierten Kriminalität erobert, sind eingebettet in terroristische Strukturen und nutzen das Gastland als Ruheraum zwischen Einsätzen für die Dschihadisten des Islamischen Staates.

Von einem russischen Feldzug gegen sie kann dennoch keine Rede sein. Was also hebt Khangoshvili heraus? Der russische Inlandsgeheimdienst FSB behauptet, er sei 2010 an mehreren Bombenanschlägen in der Moskauer Metro beteiligt gewesen. Dabei kamen 40 Menschen ums Leben.

Auch wenn das stimmen sollte, rechtfertigt dies nach rechtsstaatlichen Grundsätzen keinen Mord. Dennoch steht die Frage: Was wussten deutsche Stellen von den Vorwürfen? Und falls ja, was unternahmen sie? Klar ist: Der Mord hat die Krise in den deutsch-russischen Beziehungen vertieft. Gleich nach der eigentümlich späten Übernahme der Ermittlungen durch Generalbundesanwalt Peter Frank wies das Auswärtige Amt am 4. Dezember zwei Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU aus, die in Moskaus Botschaft in Berlin als Diplomaten stationiert waren. Russland verwies im Gegenzug deutsche Botschaftsmitarbeiter des Landes.

Die Bundesregierung warf der russischen Regierung - wie auch im aktuellen Fall Nawalny - mehrfach vor, bei der Aufklärung nicht zu kooperieren. Deutsche Dienste, auch das Bundeskriminalamt, hätten mehrfach Erkenntnisanfragen und Ersuchen an Moskau gestellt, jedoch daraufhin keine ausreichende Rückmeldung erhalten, hieß es. Mag sein, dass man den kurzen Dienstweg zwischen Agenten suchte. Sicher ist jedoch, dass es nachweislich bis zum 6. Dezember keine offiziellen Anfragen von deutscher Seite bei den zuständigen Moskauer Stellen gab.

Die Richter des 2. Strafsenats am Berliner Kammergericht werden es nicht einfach haben, Licht ins Dunkel zu bringen und ein glaubwürdiges Urteil zu fällen. Es ist zu befürchten, dass sie sich - falls sie tatsächlich tiefer bohren - allzu oft mit »Beweisen« konfrontiert sehen werden, die mit dem für Geheimdienstoperationen gebräuchlichen Satz eingeleitet werden: »Amtlich bekanntgeworden ist, dass …«

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