Mr. Vizepräsident, jetzt rede ich

Kamala Harris´ Spruch ging nach der US-Wahlkampf-Debatte viral

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war das Topthema nach dem Fernseh-Duell der US-Vizepräsidentschaftskandidat*innen am Mittwochabend. »Herr Vizepräsident, jetzt rede ich« – Kamala Harris’ einfache Bitte, ausreden zu dürfen. Nichts wurde in den sozialen Netzwerken so intensiv besprochen, wie dieser Moment. Sicherlich, vom Rivalen unterbrochen zu werden, ist Teil der politischen Debatten, besonders in der Kultur der USA seit Trump. Auch Harris unterbrach den amtierenden US-Vizepräsidenten Mike Pence neun Mal. Ihr wurde aber fast doppelt so oft, ganze 16 Mal, von Pence ins Wort gefallen. Und sie wehrte sich, »ich spreche«. Einige US-Medien bescheinigten ihr sogar, mit diesem Satz die Debatte gewonnen zu haben.

Dass dieser Spruch mittlerweile Trend auf Twitter geworden ist, liegt vor allem daran, dass sich sehr viele Frauen mit Harris’ Situation identifizieren konnten. Rein statistisch werden besonders Frauen oft unterbrochen. Beispielsweise zeigte eine Studie der George Washington Universität aus dem Jahr 2014, dass in den USA Männer dem Gegenüber zu 33 Prozent öfter ins Wort fallen, wenn es eine Frau ist. Dafür gibt es sogar einen englischen Begriff: Manterrupting, was beschreibt, wenn eine Frau bei einer Konversation von einem Mann unterbrochen wird.

Natürlich kann das ins Wort fallen nicht nur mit dem Aspekt Geschlecht erklärt werden. Aber gelernte Geschlechterstereotypen und damit verbundene Hierarchien in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft wirken sich gewiss auf die Kommunikationsmuster aus. Anderen Menschen vermehrt vehement ins Wort zu fallen, ist eine Demonstration von Dominanz und Macht. Jemand nicht aussprechen zu lassen, zeigt in den extremsten Fällen Desinteresse oder Missbilligung der anderen Meinung. Pence wollte mit seinem Verhalten Kontrolle über das Gespräch erlangen und Überlegenheit suggerieren.

Von der Debatte inspiriert, tauschten sich hinterher viele Zuschauerinnen online über ihre Erfahrungen aus. »Das ist für jede Frau, die schon mal bei einem Meeting unterbrochen wurde«, schrieb eine Nutzerin auf Twitter. Viele Frauen zeigten sich ermutigt, wie die Demokratin sich dagegen sträubte, dass ein alter, weißer Mann über ihre Redezeit hinüber walzt. »Wir sollten jungen Mädchen beibringen, zu sagen: ich spreche«, schrieb eine andere Userin. Kamala Harris’ Spruch ist nicht nur jetzt schon Trend in den sozialen Netzwerken und frisches Meme-Material: »I’m speaking« hat auch großes Potenzial, der neuste Aufdruck auf feministischen T-Shirts zu werden.

Die Demokratin scheint einen Nerv getroffen zu haben. Sie wehrte sich, sie verteidigte ihren Raum und ließ sich nicht von Pence beeindrucken. Vermehrt machte sie den Vizepräsidenten auf sein Verhalten aufmerksam: »Wenn Sie mich ausreden lassen, können wir eine Unterhaltung führen.« Trotz allem schaffte sie es, ihrem Kontrahenten stets ruhig und selbstsicher zu entgegnen. Wurde die Senatorin unterbrochen, lächelte sie bestimmt und forderte ihre Redezeit ein. Letztendlich bekam Pence drei Minuten mehr Redezeit.

Insgesamt wirkte der gegenseitige Umgang von Harris’ und Pence wesentlich ziviler und respektvoller im Vergleich zu der chaotischen Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden vor einigen Tagen. Auch Biden wurde unterbrochen, doch seine Reaktion ist ein starker Kontrast: Als Präsident Trump ihm mehrmals aggressiv ins Wort fiel, schnauzte er zurück: »Will you shut up, man« – also: »Kannst du mal die Klappe halten, Mann.«

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