Abgedreht: Der DEFA-Film und die Zeitenwende

Sechs wiederentdeckte Filme berichten von einer bewegten Gesellschaft

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 7 Min.

Rund um den 30. Jahrestag des »Einigungsvertrages« werden die Fernsehkanäle geflutet mit Filmen, die das spezielle deutsch-deutsche Verhältnis wenn nicht zum Thema, so doch wenigstens als Kulisse für mehr oder minder überzeugende Dramen haben. Finstre Kellerruinen, Honeckerbilder auf grauem Beton, einsam tuckert ein Trabi am Horizont. Dazwischen Menschen, die heldenhaft leidend, hinterhältig-stasiistisch oder einfach nur hundertfünfzigprozentig gucken. Alles klar und »Goodbye Lenin«?

Filmproduktion in der DDR war immer auch eine politische Aufgabe. Die geforderte künstlerische Auseinandersetzung mit der Gegenwart, was die Historie als Folie gegenwärtiger Stoffe einschloss, führte nicht selten zu Konflikten mit der Nomenklatura, Ablehnung und Zensur. Um manche Filme wurde jahrelang gerungen (dass das Procedere der gegenwärtigen Filmförderung auch kein Spaß ist und eher Mittelmaß bevorzugt, steht auf einem anderen Blatt). Mit Reinhild Steingrövers Studie »Spätvorstellung. Die chancenlose Generation der DEFA« lässt sich gut nachverfolgen, wie brisante Stoffe und innovative Ansätze erst gebremst und dann aus dem Kinogeschäft nach dem 3. Oktober gekegelt wurden. Nur ansatzweise gelang es, den spezifisch ostdeutschen Film ans Publikum zu bringen, wie 1993 Peter Welz’ »Burning Life«, als Abklatsch von »Thelma und Louise« missverstanden und abgetan, mit den Ausnahmetalenten Anna Thalbach und Maria Schrader (die kürzlich für ihre Leistungen geehrt wurde) oder etwa Andreas Dresen. Ironischerweise schaffte es der »Wessi« Detlev Buck, mit »Wir können auch anders« eine spezifische DEFA-Erzählweise aufzugreifen. Mehr über diese Art von cineastischer Wirklichkeitsaneignung lässt sich bei Klaus-Dieter Felsmann »Inszenierte Realität. DEFA-Spielfilme als Quelle zeitgeschichtlicher Deutung« nachlesen. Interessant wäre dann noch eine Studie über die Fehlleistungen bei der filmischen Deutung des Ostens im gesamtdeutschen Kino. Pünktlich zum dreißigsten Jahrestag nun erschien die dreiteilige DVD-Reihe »Wendejugend«, die sechs dieser »chancenlosen« DEFA-Filme dem Vergessen entreißt.

»Verbotene Liebe« hört sich nach Fernsehserienkitsch an, ist jedoch im Gegenteil ein unglaublich stimmig erzähltes und vor allem gefilmtes Drama vom Dorf. Aus der kleinen eigensinnigen Barbara, die sich vom älteren Nachbarsjungen Georg aus verschiedenen misslichen Lagen retten lässt, wird eine Dreizehnjährige, die ihr Begehren entdeckt und auf Georg richtet, der anfänglich nur zögerlich ihre Liebe erwidert. Als die verfeindeten Eltern die Beziehung entdecken, erstattet Barbaras Vater Anzeige. Da ist Barbara zwar schon 14 und Georg auf der Erweiterten Oberschule, doch der Skandal ist perfekt. In der Schule wird die Normverfehlung gegeißelt, im Dorf zerreißt man sich die Mäuler und die Dorfjugend will auf eigene Weise die Moral wiederherstellen, indem sie sich anschickt, im Rudel Barbara zu vergewaltigen und nur im letzten Moment davon abgehalten wird. Einzig Barbaras Lehrerin hält zu ihr. Ein starkes Bild, wie sie mit ihr spricht, während diese ihre Puppe und damit ihre Kindheit begräbt. Doch die Stimmung kippt, und die Schüler fordern lautstark »Freiheit für Georg«. Und wieder ist es die Lehrerin, die erst mitruft und dann ihnen ihre Konformität und Feigheit vorwirft. Vor Gericht könnte die Sache glimpflich ausgehen, würden Barbara und Georg den Kontakt zueinander abbrechen. Diesen Verrat aneinander werden sie nicht begehen.

»Banale Tage« von Peter Welz ist ein schräger wie ernster Film, den ich mir wegen des amüsanten Audiokommentars gleich zweimal hintereinander angesehen habe. Die Geschichte von Thomas und Michael, der eine Lehrling, der andere Abiturient, spielt gegen Ende der 1970er Jahre. Der Film wurde 1989 konzipiert und bewilligt, gedreht allerdings erst ab März 1990, als das Ende der DDR de facto besiegelt war. Also bildet diese Zwischenzeit eine zweite Ebene der Erzählung von Auf- und Ausbruch aus einem banalen, müden Alltag. Thomas schiebt den Werkstattblues, zofft und versteht sich doch mit dem Ausbilder, einer Meister Falk-Figur, die von der Stagnation ausgelaugt ist. Michael liest mit Thomas die falschen Gedichte - eines Verfemten, was ihn vor die Schulleiterin bringt. Mitsamt seiner Westtüte. Der Gedichtband stammt aus der Bibliothek seines Vaters, der Dramaturg an der Volksbühne ist und sich die Verzweiflung über seine Arbeit wegsäuft. Jimi Hendrix und Che Guevara an der Wand schauen ihm zu. Die Jungen entdecken, was man in dem Alter entdecken muss: den Sex, den Schnaps, die Rebellion, Ideale, den Verrat der Erwachsenen und den eigenen täglichen Verrat. Es wird auf Schienen gesessen, Wohnraum besetzt und die Junge Gemeinde gelb gestrichen. Und irgendwas stimmt immer nicht. Ein anspielungsreicher Film mit Hang zum Slapstick, schöner Stoff für lange Tresengespräche. Und saugut besetzt, bis in die Nebenrollen: Jörg Panknin als Lehrmeister, Ronald M. Schernikau als Theaterschauspieler, Hanno Harnisch (damals Pressesprecher der PDS) als Gevatter Hein mit Hut, ein Rainer-Eppelmann-Double als Pfarrer Eppelmann und als Kulturminister. Und über allem schwebt der Geist von Frank Castorf.

Die Oberen in der DDR verschlossen wie ihre westlichen Brüder im Amte die Augen vor den verheerenden Umweltzerstörungen. »Biologie!« beschreibt den einsamen Kampf der Zehntklässlerin Ulla gegen die Naturfrevel eines mächtigen Mannes, der sich sein privates Reich, seinen »kleinen kapitalistischen Lebensabend« - eine Datsche mit Forellenzucht im Naturschutzgebiet schafft. Keiner außer noch dem Biologielehrer wagt dem Schwarzbauer, dem Generaldirektor eines großen Betriebes in die Parade zu fahren. Großartig dazu die süffisante Funktionärsgattin, die den Rechtsbruch als lässige Sünde verdienter Genossen abtut. »Sollen wir einfach zusehen, wie unter dem Siegel der Verschwiegenheit alles in die Binsen geht?« fragt Ulla ihre Eltern, die sich korrumpieren lassen. Die Liebe funkt dazwischen, die den Sohn des Mächtigen mit der Rebellin zusammenführt, der mit ihr zusammen gegen den Vater kämpft. Am Ende wird nichts gut, Ulla ist zu radikal für die Gemeinschaft der Kleinbürger, die sich ihrer Eigenverantwortung entledigt haben. Sage keiner, das Thema wäre von gestern. Das System mag sich geändert haben, die Beschwichtigungen, falschen Argumente und scheinökonomischen Ausflüchte sind geblieben.

Rolf Losansky geht mit »Abschiedsdisco« noch einen Schritt weiter. Hier sind schon alle Messen gesungen, die Natur versinkt im großen schwarzen Loch des näherrückenden Tagebaus. Der fünfzehnjährige Henning muss den Unfalltod seiner Freundin Silke verwinden. Die banalen Probleme seiner Freunde öden ihn an, die Annäherungsversuche von Dixie wehrt er ab. Gesichte suchen ihn heim. Sein Vater leitet die Umsiedlung der Dörfer in der Lausitz, die dem Tagebau weichen müssen. Henning macht sich auf nach Wussina, um den Urgroßvater zu besuchen, den einstigen Dorfschullehrer und Kantor. Unterwegs begegnet er einem heiligen Narren, gespielt von Fritz Marquardt, der Tiere rettet und von der Apokalypse spricht. Das Dorf ist verlassen, eine schwarze Katze entweicht fauchend, geisterhaft lugt eine alte Frau durch eine Scheibe. Der Alte ist nicht mehr in seinem Hause, aber alles an seinem Platz. Wieder befallen Henning Traumgesichte, und der Film entwickelt sich zu einem kleinen Bruder von Tarkowskis »Stalker«: ein Ort, an dem Wünsche und Träume wahr werden, und sei es in der Form eines Alptraums, in ihm Sucher und Verlorene ohne Erlösung. Ein pragmatischer Plünderer - kann man alles noch gebrauchen - samt nichtsnutzigem Sohn taucht auf und schickt ihn auf der Flucht vor einer Polizeistreife in einen unterirdischen Gang, der in einer Sackgasse endet, die tote Silke betritt den Raum, schließlich hängt ihm die naive Dixie am Bein, für die der Ort nur Kulisse ihrer Annäherung an Henning ist. Eine einsame DJane lässt im leeren Discokeller die Kugeln leuchten, wartet auf den, der sie erkennt. Henning kann sie nicht retten. Der Urgroßvater erscheint, um die Alte mitzunehmen, die vom Grab ihres Mannes nicht lassen kann. Henning wird nicht mit ihm sprechen, nur mit seinem Vater, der übereifrig seine Arbeit als Exekutor verrichtet und mit dieser hadert, gar die Gedankenlosigkeit der Jugend verflucht. Der heilige Narr indes in seinem Häuschen am Rande der Sperrzone hält stand und gibt den Jugendlichen Werkzeug in die Hand. Die Kritik empfand 1990 das Spiel des Henningdarstellers als zu hölzern, aber bitte: ein Fünfzehnjähriger im Ausnahmezustand muss eckig, unbeholfen, stumm sein. Auch daraus entwickelt sich der Sog, das Tarkowskihafte, der Zwang zur Reflexion. Kleinere Schwächen der Dialoge kann man diesem großen Film verzeihen.

»Vorspiel« von 1987 und »Tanz auf der Kippe« von 1990/91 sind konventioneller, wenn auch nicht uninteressanter. Vorspiel behandelt den Verlust trotz aller Anstrengungen, der der Einstieg in das Erwachsenenleben ist, Überschwang, der gegen die Wand fährt. Aber dann geschieht aus dem Übersehenen - hier der Übersehenen - das Wunder und ein neuer Anfang. »Tanz auf der Kippe« erinnert viel an den Verbotsfilm »Jadup und Boel«, an Hass und Gewalt, die den Außenseitern entgegenschlagen. Gerat geht seinen eigenen Weg und arbeitet auf einer Müllkippe. Er verliebt sich in seine Lehrerin Claudia, die ihn versteht, ihn aber abwehrt, bis sie doch vor seinem Bauwagen an der Kippe steht. An den Metallschiebereien, in die auch Claudias Mann involviert ist, will er sich nicht beteiligen, vielmehr den alten Gasometer retten. Und stellt sich seinen Kollegen entgegen. Dafür muss er teuer bezahlen. Als er verprügelt am Boden liegt, wird sein Gesicht in Kalklauge gedrückt. Drastisch und ausdrucksstark ist der Film und nachdrücklich empfohlen.

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