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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Krieg in den Köpfen

Ulrike Almut Sandig beschreibt in »Monster wie wir« die Baseballschlägerjahre in »Ostelbien«

  • Michael Bittner
  • Lesedauer: 4 Min.

In den vergangenen Jahren sind die 90er Jahre in der ostdeutschen Provinz zu einem der wichtigsten literarischen Stoffe geworden. Sie stehen für eine Zeit, in der Aufbruchstimmung, aber auch Orientierungslosigkeit die jungen Leute in den damals noch neuen Bundesländern umtrieben und sich zugleich rechter Terror fast ungehindert austoben konnte.

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Ulrike Almut Sandig: Monster wie wir. Schöffling, 240 S., geb., 22 €.

Weit besser als soziologische Studien scheinen Romane dazu geeignet, diese merkwürdige Epoche verständlich zu machen: Hart und realistisch erzählte Manja Präkels davon in »Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß«, dröge und spröde Lukas Rietzschel in »Mit der Faust in die Welt schlagen«, halb satirisch in »Oder Florida« der Journalist Christian Bangel, der für die 90er auch das Schlagwort »Baseballschlägerjahre« in Umlauf brachte.

Zum Einsatz kommt ein Baseballschläger auch in »Monster wie wir«, dem Debütroman der bislang vor allem für ihre Lyrik bekannten Schriftstellerin Ulrike Almut Sandig. Die in Großenhain in Sachsen geborene Autorin kennt sich aus mit dem »Nirgendwo einer ostdeutschen Pampa«, in dem ihr Roman größtenteils spielt. Wer ebenfalls das zweifelhafte Glück hatte, in »Ostelbien« aufzuwachsen, wird sich in ihrer Erzählung sofort heimisch fühlen. Alle anderen dürften sich dank Sandigs Kunst, Menschen und Orte lebendig zu machen, in dieser Welt schnell zurechtfinden. Ihre von der Poesie geschulte Sprache ist klangvoll und bildhaft, dabei aber nie kitschig säuselnd, stattdessen oft sogar hart.

Ruth wächst gemeinsam mit ihrem Bruder Fly in einem Pfarrhaus auf. Die Ehe zwischen dem gefühlsarmen Pfarrer und seiner Frau ist lieblos und reich an Streit, als Christen leiden die Familienangehörigen unter Schikanen der Staatsmacht. Das Unglück der Familie scheint dennoch weniger Schuld der DDR als Erbe der preußisch-protestantischen Autoritätstradition. Es ist eine Gegend, in der es schon immer »Sitte« war, dass der Vater »schwieg«. Eine befriedigende Lösung für Konflikte gibt es in dieser Atmosphäre der Lieb- und Sprachlosigkeit nicht: »Alles beginnt damit, eine Ohrfeige für das natürliche Ende eines Gesprächs zu halten.« Da bleibt auch Ruth nichts übrig, als sich in ein Schneckenhaus zurückzuziehen: »Wäre Nichtsanmerkenlassen eine Olympiadisziplin gewesen, ich hätte unsere Republik vertreten können.« Wie besessen stürzt sich Ruth in das Geigenspiel, um später als international gefeierte Musikerin der Provinz zu entkommen.

Ihr bester Freund in Kindertagen ist Viktor, Sohn eines Unteroffiziers der NVA und einer Ukrainerin. Als vermeintlicher »Russe« ein Außenseiter, findet er im Pfarrhaus eine Art Ersatzfamilie und in Ruth eine Seelenverwandte. Beide teilen das Schicksal, nicht nur Opfer von Gewalt, sondern auch von sexuellen Übergriffen durch Erwachsene zu sein. Viktor wählt jedoch nicht den Weg des Rückzugs, sondern trainiert seinen Körper und sucht Anschluss in einer Neonazi-Clique: »Wer dich fürchtet, kann dich nicht ficken.« Durch Selbstabhärtung gewinnt er auf seine Art die »Fähigkeit«, »den Schalter umzulegen und rein gar nichts zu empfinden«. Nach Jahren der Trennung wird er Ruth ausgerechnet bei einem Überfall auf einen Klub von »Zecken« wiedersehen, den Baseballschläger in der Hand. Aus dem unglücklichen Jungen ist ein monströser Muskelmann geworden, dessen Brutalität selbst seinem Nazi-Anführer unheimlich wird.

Erst ein Auslandsaufenthalt bei einer Gastfamilie in Südfrankreich wird in Viktors Leben etwas ändern. Die Erfahrung der Fremde rüttelt am Selbstverständnis des nationalistischen Riesenkindes; mit einer jungen Ukrainerin erlebt Viktor das Glück körperlicher Lust. Aber er wird im fremden Haus auch erneut mit der Gewalt von sexuellen Übergriffen konfrontiert und steht vor der Herausforderung, einem Opfer beizustehen. Vielleicht in dem Glauben, ein Roman brauche so etwas wie einen Showdown, hat Sandig in diesen Kapiteln leider einige Schockeffekte und Unwahrscheinlichkeiten gehäuft, die ihrem Buch schaden. Ihre sonst so subtile wie intensive Erzählung verliert dadurch an Glaubwürdigkeit.

Eine »richtig gute Geschichte«, so erfahren wir schon zu Beginn des Romans von Ruth, »hat weder Anfang noch Ende, sondern taumelt durch die blinde Finsternis, um mit musikalischer Präzision wieder dahin zu gelangen, wo alles begann.« Und so macht sich auch Ruth am Ende der Erzählung noch einmal auf die Suche nach dem Dorf ihrer Kindheit. So etwas wie Heimat ist dabei allerdings nicht mehr zu finden. Und auch ihre Beziehungen als Erwachsene bleiben belastet vom »kranken Krieg in unseren Hinterköpfen, der schon unseren Eltern die Worte im Mund umgedreht hatte«. Ulrike Almut Sandig hat einen Debütoman geschrieben, der mehr als lesenswert ist, auch wenn noch nicht alles darin ganz rundläuft. Weitere Romane werden hoffentlich folgen. In die Stimme dieser Erzählerin kann man sich nur verlieben.

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