Tagsüber auf Streife, abends beim Pizza-Austragen
Wegen hoher Mieten nehmen manche Polizisten Zweitjobs an. Die Gewerkschaft fordert einheitliche Gehälter und eine Großstadtzulage
Im November 2019 schaffte es ein Hamburger Bereitschaftspolizist in die »Bild«. Grund: Der Beamte hatte eine Zweitjob angenommen. Sein Gehalt von 2400 brutto im Monat reichte angesichts der hohen Mieten in der Hansestadt nicht aus. Er pendelte aus dem Umland ein und verdiente sich regelmäßig mit dem Aufbau von Hüpfburgen auf Kinderfesten oder anderen Veranstaltungen etwas dazu. Die Pressestelle der Hamburger Polizei erlaubt indes nur die Veröffentlichung unter anonymisiertem Namen.
Vor allem in Groß- und Universitätsstädten steigen die Wohnkosten deutlich schneller als die Gehälter, auch sonst liegen die Lebenshaltungskosten höher als in der Provinz. Obwohl die Besoldung Ländersache ist, berücksichtigt sie das teils gravierende Kaufkraftgefälle nur unzureichend. Anders als etwa im überteuerten München, wo immerhin 120 Euro oben drauf kommen, gibt es im Stadtstaat Hamburg keinen Zuschlag, der die zusätzlichen Belastungen ansatzweise ausgleichen könnte. »Das ist für viele unserer Kollegen nicht mehr zu stemmen«, sagt Horst Niens, der örtliche Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Die Polizist*innen in Berlin gehören zu den am schlechtesten Bezahlten. Bei 2300 brutto liegt ihr Einstiegsgehalt, vor allem wegen der in den letzten Jahren explodierten Mieten ist das wenig. Es sei »ein Armutszeugnis, dass Polizeibeamte einen Nebenjob brauchen, um sich mal einen Familienurlaub zu ermöglichen«, kritisiert Benjamin Jendro von der GdP Berlin. Der Gewerkschafter plädiert für eine bundesweit einheitliche Besoldung und eine »Ballungsraumzulage« nachdenken. Es wirkt absurd, dass der Dienst in vergleichsweise beschaulichen Regionen wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern besser honoriert wird als in der Hauptstadt mit ihren fast täglichen Demonstrationen und anderen Sondereinsätzen. Für Ärger sorgt auch, dass die ebenfalls im Regierungsviertel eingesetzten Kolleg*innen der Bundespolizei für die gleiche Arbeit bis zu 500 Euro pro Monat mehr bekommen. Da ist es keine Überraschung, dass manche versuchen, in andere Bundesländer zu wechseln.
In Bayern hat inzwischen jede*r siebte Polizist*in einen Zusatzjob; mehr als 6000 schuften nach Dienstschluss weiter. Tagsüber auf Streife, tragen sie abends oder am Wochenende Pizzen aus, assistieren beim Training im Fitnesscenter oder kassieren im Supermarkt. Doch nicht jede Tätigkeit ist erlaubt, in jedem Fall muss sie genehmigt werden. Da die polizeiliche Arbeit eine hoheitliche Aufgabe ist, gilt die private Sicherheitsbranche als Tabuzone. Außerdem darf die Zweitbeschäftigung nicht mehr als 20 Prozent der eigentlichen Arbeitszeit in Anspruch nehmen.
Gerade in München haben Polizist*innen seit Jahrzehnten Probleme, eine halbwegs preiswerte Unterkunft zu finden. Viele wohnen daher im (ebenfalls nicht ganz billigen) Umlands. Einige fahren sogar Hunderte von Kilometern zur Arbeit oder finden sich ab mit dem Pendeln am Wochenende - montags bis freitags kommen sie bei Freunden, in Wohngemeinschaften oder Polizeiheimen unter.
Die Belastungen hängen stets von der individuellen Besoldung und Lebenssituation ab. Arbeitet die Lebenspartnerin, verdient sie vielleicht sogar ganz gut? Sind Kinder mitzuversorgen? Gibt es zusätzliche Ausgaben durch Krankheiten oder die Pflege von nahen Angehörigen? Müssen Kredite, etwa für das Eigenheim bedient werden?
»Die wenigsten gehen aus Spaß einer Nebentätigkeit nach, vor allem angesichts der bereits angehäuften Überstunden«, betont Klaus Adelt. Der bayerische SPD-Innenpolitiker beobachtet den Trend zur Zusatzarbeit nicht nur bei der Polizei. In anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes wie der Steuerverwaltung oder im Justizvollzug sei die Lage ähnlich: »Wir brauchen überall mehr Personal, das besser bezahlt wird.«
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