- Berlin
- »Legalisierung jetzt«
Raus aus der Unsichtbarkeit
Zehntausende Migranten leben in Berlin ohne Dokumente und ohne Rechte
»Wir sind unsichtbar, niemand weiß von uns. Sichtbar ist nur die Arbeit, die unsere Hände verrichten«, sagt Anna. Sie ist Sprecherin einer Gruppe von Frauen aus Afrika, dem Iran und Lateinamerika, die hinter Berliner Gardinen Wohnungen putzen, Teller waschen und Kinder großziehen - ohne Dokumente, ohne Krankenversicherung oder rechtlichen Schutz. Schätzungsweise 60 000 bis 100 000 migrantische Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung leben in in der Hauptstadt. Ihre Kinder gehen nicht in die Schule, sie besuchen nie den Arzt und meiden Orte, an denen jemand nach dem Ausweis fragen könnte.
Für die illegalisierten Frauen rund um Anna bedeutet das auch: Keine Beschwerden, wenn ihr Lohn auf fünf Euro die Stunde sinkt, keine Anzeige gegen die Männer, die ihnen Wohnraum nur gegen sexuelle Leistungen vermieten. Und vor allem: Keine Demonstrationen, keine Kampagnen und keine politischen Forderungen gegen ihre würdelose Situation. Denn wer aus der Unsichtbarkeit auftaucht, wird abgeschoben.
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Damit soll nun Schluss sein. Gemeinsam mit etlichen weiteren migrantischen Selbstorganisationen hat Anna das Netzwerk »Legalisierung Jetzt!« gegründet, das mit einem Offenen Brief und einer Kampagne auf die Situation undokumentierter Personen aufmerksam machen will. Endlich sollen politische und rechtliche Lösungen für eine dauerhafte Legalisierung öffentlich diskutiert werden. »Wir planen in den nächsten Wochen viele kreative Formen des Protests und Widerstands«, sagt Llanquiray, die neben Anna sitzt. Unter dem Motto »Close the Gap« wollen sie auch die deutsche Zivilgesellschaft auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen - und die Lücke zu den Kämpfen anderer Organisationen schließen.
»Es geht nur gemeinsam. Auch die Leute, die bereits in der dritten oder vierten Generation in Deutschland leben und längst einen Pass haben, erleben Diskriminierung und protestieren dagegen - mit denen müssen wir uns zusammenschließen«, sagt David, der mit seiner Organisation »Culture of Deportation« auf die historischen Kontinuitäten der Illegalisierung und des Abschiebesystems in Deutschland aufmerksam macht. Schon 1919 forderten 18 Afrikaner in einer Berliner Petition die Selbstständigkeit und Gleichberechtigung der Menschen aus den deutschen Kolonien, erzählt er.
Diese Forderung nach der Legalisierung von Migranten sei bis heute nicht erfüllt. Im Gegenteil herrschten in den, so David, »deutschen Flüchtlingslagern« Bedingungen, die an Kolonialzeiten erinnern. »Im Lager sind wir acht Männer in acht Betten, und jedes Bett hat eine Nummer.« Wenn die Polizisten für die Abschiebungen kämen, sei es bloß diese Nummer, die entscheide. »Schon der in Deutschland so berühmte Robert Koch hat in seinen Forschungsstätten in Ostafrika die Kolonisierten mit Nummern versehen, weil sie für ihn alle gleich aussahen«, sagt David. Es sei eben dieser Rassismus, der den Umgang mit Migranten aus dem globalen Süden in Deutschland seit Generationen präge.
Zu der Strategie des neuen Netzwerks gehöre auch, sich aus dieser gesellschaftlichen Position herauszukämpfen. »Es geht uns nicht um irgendeine Caritas oder finanzielle Unterstützung«, sagt Llanquiray. »Wir wollen einfach Rechte haben.« Die Unterscheidungen zwischen guten und schlechten, qualifizierten und unqualifizierten, legalen und illegalen Migranten wollen sie nicht mehr mitmachen. Schließlich gelte die Würde und Freiheit des Menschen nach dem Grundgesetz nicht nur für jene mit Papieren. Das sage sie auch klar und deutlich den Berliner Politikern, deren Aufgabe es sei, für alle Menschen zu sorgen, die in dieser Stadt leben - auch für die Zehntausenden, die für sie höchstens eine Nummer sind.
Eine der Forderungen des Netzwerkes ist daher auch, dass in einem angestrebten Legalisierungsverfahren die migrantischen Personen als Subjekte mit Rechten eine zentrale Rolle spielen und der Zugang zu diesen Rechten garantiert wird. In einem solchen Legalisierungsverfahren müsse der Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes, der besagt, dass Angestellte im öffentlichen Dienst die Information über einen illegalisierten Status weiterleiten müssen, abgeschafft werden.
Auch wenn sich das Netzwerk in Berlin zusammenfindet, ist es international vernetzt. Mit Organisationen in Barcelona und Madrid stehe man in engem Austausch, erzählt Llanquiray. Auch dort haben sich illegalisierte Migranten vereint - und in Spanien eine riesige Kampagne losgetreten. »Das war sehr inspirierend«, sagt Llanquiray. »Aber auch von uns werden die Leute bald hören.«
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