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Der rollende Hotspot
Nach acht positiven Coronafällen steigen zwei Teams vor der zehnten Etappe aus dem Giro d’Italia aus
Auch der Giro d’Italia wird von der Pandemie eingeholt. In den letzten Tagen haben sich mindestens neun Personen mit dem Coronavirus infiziert. Bereits am Freitag wurde Simon Yates positiv getestet. Die Organisatoren haben schnell reagiert: Der britische Radprofi wurde nach ersten Symptomen zunächst einem Schnelltest unterzogen. Das positive Resultat wurde dann durch einen PCR-Test bestätigt. »Daraufhin haben wir alle anderen Teammitglieder jeweils dreimal getestet. Alle diese Tests waren negativ«, bilanzierte Renndirektor Mauro Vegni stolz.
Vier Tage später hat sich die Situation dramatisch verschärft. »Bei der Durchsetzung des Gesundheitsprotokolls des Giro d’Italia, das gemäß der Regeln des Weltverbandes und unter Beachtung der Maßnahmen des italienischen Gesundheitsministeriums erarbeitet worden ist, wurden am 11. und 12. Oktober 571 PCR-Tests bei Fahrern und Betreuern vorgenommen. Dabei gab es insgesamt acht positive Fälle, zwei Fahrer und sechs Betreuer«, verlautbarten die Giro-Organisatoren.
Gleich vier Mitarbeiter von Yates’ Rennstall wiesen nach den am Ruhetag obligatorischen Tests positive Ergebnisse auf. Alle vier sind Betreuer. Das zeigt aber: Die Hygieneblase ist nicht dicht. Das australische Team Mitchelton-Scott wurde selbst zu einem Infektionsherd. Folgerichtig zog es sich am Dienstag komplett von der Italienrundfahrt zurück. »Wir erhielten die Nachricht von den positiven Tests bereits am Montagabend. Aus Verantwortung für unsere Fahrer und Betreuer, das gesamte Peloton und die Organisatoren haben wir die Entscheidung getroffen, den Giro zu verlassen«, teilte Brent Copeland, Manager des Rennstalls, mit.
Andere betroffene Teams reagierten zunächst nicht so drastisch. Bei Sunweb wurde nur der infizierte Profi Michael Matthews rausgenommen. »Ich bin enttäuscht, das Rennen auf diese Art verlassen zu müssen. Jetzt beginne ich meine Isolation und beobachte die Dinge aufmerksam. Ich hoffe, schnell zurückzukommen«, teilte Matthews per Twitter mit. Seine Teamkollegen traten derweil zum Start der zehnten Etappe an. Kapitän Wilco Kelderman ist Gesamtzweiter und hat Aussichten auf einen Podiumsplatz - wenn der Giro überhaupt bis Mailand kommt.
Jumbo-Visma hatte zuerst ebenfalls nur den infizierten Fahrer Steven Kruijswijk abgezogen. Der Kapitän des niederländischen Teams beim Giro hatte als Elfter 1:24 Minuten Rückstand auf den Gesamtführenden Joao Almeida. Kurz vor dem Start am Dienstag in Lanciano kündigte das Team dann den kompletten Rückzug an. Positive Fälle hatten auch die Rennställe Ineos Grenadiers und AG2R zu verzeichnen. Bei den Briten wie den Franzosen war jeweils ein Betreuer betroffen, der dann auch isoliert wurde.
Über die Dynamik der Infektion schwieg sich der Veranstalter aber aus. Realistisch ist zumindest, dass sich die insgesamt fünf positiven Fälle bei Mitchelton Scott auf eine Quelle, Adam Yates, zurückführen lassen. Er wurde noch am Freitag isoliert. Angesichts der Inkubationszeit ist aber anzunehmen, dass er das Virus bereits zuvor in sich trug und so die anderen angesteckt haben könnte. Von ihm oder über Mitglieder seines Teams könnte das Virus dann zu den anderen Fahrern und Betreuern gelangt sein.
Hier zeigt sich das Konstruktionsproblem der sogenannten Hygieneblasen. So lange sie nach außen dicht bleiben, ist alles gut. Dringt das Virus aber erst einmal ein, kann es sich dort auch leicht verbreiten. Die Radprofis fahren schließlich mehrere Stunden pro Tag dicht an dicht im Fahrerfeld. Da steckt ein jeder in der Atemwolke des nächsten. Problematisch ist auch, dass nicht jeder Infizierte Symptome aufweist. Bei Yates war dies der Fall. Er wurde getestet. Andere Fahrer, die möglicherweise auch infiziert sind, aber keine Symptome aufweisen, werden bestenfalls durch die obligatorischen Tests vor dem Rennen und an den Ruhetagen entdeckt. In der Zeit dazwischen gibt es keine Tests, wenn keine Symptome vorliegen. Sinnvoll wäre daher, die Testfrequenz zu erhöhen.
Aktuell stehen die Rennstalls und die Veranstalter vor der gewichtigen Frage: Weiterfahren, obgleich das Risiko weiterer Ansteckungen da ist? Oder aus Gesundheitsgründen den Giro beenden? Mit Durchhalteparolen wartete zumindest schon Renato Di Rocco auf. »Ich glaube nicht, dass der Giro d’Italia abgebrochen wird. Die Situation ist unter Kontrolle. Es ist richtig, das Rennen fortzusetzen, das aber mit erhöhter Aufmerksamkeit«, zitierte die Tageszeitung »Libero« den Präsidenten des italienischen Radsportverbandes. Die nächsten Tage - mindestens so lang wie die Inkubationszeit des Virus - spielen eine entscheidende Rolle.
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