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Traum von der »nuklearen Teilhabe«
Bei einer alljährlichen Nato-Übung trainiert auch die Bundeswehr für einen möglichen Atomkrieg
Bei dem regelmäßig im Herbst stattfindenden Manöver »Steadfast Noon« proben Nato-Kräfte derzeit den Einsatz von Atomwaffen. Die Übung gilt offiziell als »geheim«, aufgrund der beteiligten Waffensysteme und trainierten Kriegsszenarien. Das Netzwerk Friedenskooperative lehnt diese Übung entschieden ab. »Wer im Jahr 2020 Atomkriege übt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt«, sagt Marvin Mendyka von der Initiative. »Die Mehrheit der Staaten weltweit arbeitet am Inkrafttreten des UN-Atomwaffenverbotes, die Nato hingegen scheint offenbar weiterhin zu glauben, man könne Atomkriege gewinnen.«
Zum offenen Geheimnis der Nato gehört nicht nur, dass regelmäßig die Bestückung von Kampfflugzeugen mit den Atomwaffen des Typs B61 im Rahmen der Übungen kolportiert wird, sondern auch, dass der Luftwaffenstandort Nörvenich bei Köln als Ausweichort für den Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel gilt. Die Existenz von Atomwaffen in Büchel wird mittlerweile nicht mehr bestritten. Die gut 30 Jahre alten Atomwaffen vom Typ B61-3 und B61-4 sollen in den kommenden Jahren auf den Typ 61-12 modernisiert werden. Regierungspolitiker*innen sehen in der Beteiligung Deutschlands an der Rüstung einen Beitrag zur Abschreckung und wollen dadurch gegenüber Russland profitieren. Im Kriegsfall wollen die beteiligten Staaten zudem mitreden können. Sie verfügen zwar nicht über die notwendigen Codes, um die Bomben selbst einsetzen zu können, stellen aber Lagerort, Waffensystem und die notwendigen Flugzeuge, um diese dann gemeinsam mit US-Soldaten zum Einsatz bringen zu können. Eine Rolle, irgendwo zwischen »Atommacht« und »Helfershelfer«, die als »nukleare Teilhabe« bezeichnet wird.
Linke und Grüne fordern ein Ende dieses Ansatzes. Seitens der Grünen wird ein Abzug der Atomwaffen aus Deutschland und auch der Verzicht auf atomwaffenfähige Flugzeuge gefordert. Mittelstreckensysteme würden weder sicherheitspolitisch, noch militärstrategisch Sinn ergeben, da die Reichweite begrenzt ist und im Falle eines nuklearen Konfliktes wohl eher Langstreckensysteme zum Einsatz kämen. Der 2010 gemeinsam mit allen Fraktionen gefasste Beschluss »für eine Welt frei von Atomwaffen« sei Geschichte. Deutliche Worte findet auch die Linke-Politikerin Kathrin Vogler: »Diese kriegsähnlichen Zustände mitten in Deutschland sind ein Skandal. Als würden die Covid-Pandemie mit ihren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen und die globale Klimakrise nicht die Sicherheit jedes einzelnen Menschen und der Gattung Mensch auf eine Art und Weise bedrohen, die internationale Zusammenarbeit, Entspannung und Abrüstung geradezu zur Pflicht macht.«
Vogler hat den »Parlamentskreis Atomwaffenverbot« initiiert und fordert den Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag. »Deutschland sollte als erster Nato-Staat die Lagerung von Atomwaffen auf seinem Territorium verbieten und sich nicht länger an den Vorbereitungen zur Selbstvernichtung der Menschheit beteiligen«, so Vogler.
Nach der Aufkündigung des INF-Vertrages (Intermediate Ranges Nuklear Forces) hat die Gefahr eines Atomkrieges wieder zugenommen. Der Vertrag regelte die Abrüstung von Kurz- und Mittelstreckenatomwaffen und war bei einem Treffen am 1. Juni 1988 von den Atommächten USA und Russland in Moskau in Kraft gesetzt worden. Der auf unbeschränkte Dauer geltende Vertrag ist seit dem 2. August 2019 außer Kraft. Die USA hatten ihren Ausstieg bereits am 1. Februar 2019 verkündet und dies unter anderem mit dem in Produktion befindlichen russischen Marschflugkörper 9M729 begründet, der mit Atomwaffen bestückbar sei.
Die Bundesregierung dagegen habe sich in den vergangenen zwei Jahren für einen Erhalt des Vertrages eingesetzt, äußerte ein Sprecher des Außenministeriums am Mittwoch auf »nd«-Anfrage. Dies sei nicht gelungen. Aus Sicht der Bundesregierung sei eine Verlängerung des letzten verbliebenen Abrüstungsvertrags, dem New-Start-Abkommen, ein sehr wichtiges Ziel. »Alles, was dazu dient, nukleare Rüstung zu begrenzen und berechenbarer zu machen, hilft, die Gefahr zu reduzieren, dass es ungewollt zu einer nuklearen Eskalation kommt«, sagte der Sprecher. Der New-Start-Vertrag zur Begrenzung strategischer Atomwaffen läuft am 5. Februar 2021 aus. Derzeit gilt es als unwahrscheinlich, dass unter US-Präsident Donald Trump eine Einigung bei den Vertragsverhandlungen mit Russland erzielt werden kann.
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