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Schulbank für Pilzsüchtige
Es gibt gute Gründe, nach Hornberg zu reisen. Einer ist die Pilzlehrschau.
Ein überdimensionierter Fliegenpilz aus Holz prangt außen am Gebäude. Drinnen herrscht in der ehemaligen Hornberger Gewerbeschule Klassenzimmeratmosphäre. Die rund zwölf Anwesenden sind dem Schulalter allerdings deutlich entwachsen und finden sich allesamt freiwillig ein. Da ist Ludwig, ein junger Biologe aus Freiburg, Gabriele, eine Heilpraktikerin vom Niederrhein, und Hubert, ein Werkzeugmacher aus Rottweil. Auch Bruno aus der Schweiz, der in einem Gefängnis unterrichtet, hat den Weg in die Schwarzwälder Pilzlehrschau gefunden.
Alter und Berufe können kaum unterschiedlicher sein, doch eins eint sie alle: Sie fasziniert die Welt der Pilze, der Fungi, die neben Pflanzen (Flora) und Tieren (Fauna) ein eigenständiges Lebensreich bildet. Fast alle haben bereits Kurse besucht und/oder sind in einem Pilzverein aktiv. Diese Institution hier existiert bereits seit 1962 und bietet Seminare für Einsteiger und Fortgeschrittene, in der Theorie stets mit Praxis wechselt. Das Schöne an dieser Schule: Hier lässt sich Bewegung an der frischen Luft in der Bilderbuchlandschaft des Schwarzwalds mit Weiterbildung verbinden. Die Wälder rund um Hornberg und das Gutachtal sind nicht nur pilzreich, sondern - viel entscheidender - auch pilzartenreich. Wer mag, hängt noch ein paar Tage ans Pilzseminar dran und geht wandern.
Die erste Exkursion steht an. Hochmotiviert und heiß auf Pilze strömen alle in den umliegenden Wald aus Fichten und Kiefern. Kaum einer hat sich vorher gekannt, aber schnell bilden sich kleine Suchgemeinschaften. Erstaunlich: Eben standen die Männer und Frauen noch in roten, blauen und grünen Regenjacken gut sichtbar auf dem Feldweg, sie alle hat der Wald binnen einer Minute verschluckt. Es sei erwähnt, dass es für Menschen mit eher gering ausgebildetem Orientierungssinn nützlich sein kann, sich jemandem anzuschließen, der das Auto garantiert wieder findet.
Hubert Schaub aus Rottweil hat seinen Wanderstock aus Schweden mitgebracht: »Damit geht’s querfeldein leichter.« Der 63-Jährige sammelt bereits seit seiner Kindheit Pilze und weiß: Nicht immer gleicht das Gelände einem Märchenwald, in dem man Rotkäppchen-gleich mit Körbchen über ebenes, bemoostes Gelände flaniert und die Pilze gut sichtbar auf einen warten. Häufig müssen Pilzsammler über Totholz kraxeln oder sich durch Brombeerhecken kämpfen. Eine einzelne Ranke genügt als Stolperfalle. Das Pilzglück lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Erst kreuzt ein rötlicher Steinpilz den Weg einer Finderin: ein Kiefernsteinpilz, vermutet sie. Dann folgen einige Täublinge. Die Gattung der Russula enthält einige wohlschmeckende Arten wie den Frauentäubling, aber auch sehr bittere und daher ungenießbare Arten. Da diese Gattung aber keine tödlich-giftigen Arten enthält, besteht hier kein Risiko außer einem scharfen Bitzeln auf der Zunge. Für Gabriele Blesing aus Rees sind sie die Entdeckung: »So viele verschiedene Täublinge habe ich bei mir noch nie gesehen.« Auch ihre allererste Krause Glucke landet im Körbchen.
Die Flockenstieligen Hexenröhrlinge bleiben jedoch stehen, denn obwohl sie herausragende Speisepilze sind, kennen die meisten Seminarteilnehmer diese Art schon. Bei den drei- bis fünftägigen Seminaren geht es nicht darum, möglichst viele Speisepilze für die eigene Pfanne aus dem Wald zu karren. Zum einen darf jeder in Baden-Württemberg nur ein Kilo pro Person und Tag sammeln. Zum anderen soll jeder einzelne während der Exkursion lediglich einige wenige Exemplare einer ihm unbekannten Art sammeln, möglichst in verschiedenen Altersstadien, um diese später im Klassenzimmer anhand eines Bestimmungsschlüssels korrekt zu identifizieren.
Größe und Farbe eines Fruchtkörpers, also dem Teil des Pilzes, der überirdisch wächst, gelten dabei eher als unsichere Merkmale. Viel aussagekräftiger sind dagegen Geruch, Sporenpulver- sowie Milchfarbe, Aufbau und Biegsamkeit der Lamellen und Poren, Beschaffenheit der Stielbasis und ob sich der Stiel eines Lamellenpilzes spröde wie Käse brechen lässt oder bei dem Versuch wie ein Strohhalm auffasert. Gerade für Einsteiger ist die Frage Spröd- oder Faserblättler ein wichtiges Merkmal, um zum Beispiel den tödlich-giftigen Grünen Knollenblätterpilz von einem vermeintlich ähnlichen Täubling mit grünlichem Hut zu unterscheiden. Letztendlich kommen die meisten Pilzschüler doch, um sich Speisepilz-technisch fit fürs heimische Revier zu machen und ihr Repertoire abseits von Steinpilzen und Pfifferlingen zu erweitern.
Letztgenannte Arten setzt übrigens auch die Hornberger Gastronomie bei der Zubereitung ihrer hervorragenden badischen Küche ein. Einige Wirte sammeln mit spezieller Genehmigung sogar selbst. Und dies führt zum zweiten Grund nach Hornberg zu reisen: Kaum woanders isst man so gut wie in der badischen 4300-Einwohner-Gemeinde. Als da wären beispielsweise Rehnüsschen auf gebratenen Steinpilzen mit Kürbisgnocchi im Adler, die Pilzrahmsuppe und das Rumpsteak mit hausgemachter Kräuterbutter im Tannhäuser, die Kalbsleber mit Spätzle in der Rose, die selbstgezüchtete Forelle mit Mandelbutter im Gasthof Lauble und die Steinpilzravioli mit grünem Pesto im Turm, welcher zwar nur wenige Meter vom Landgasthof Lauble entfernt liegt, sich aber faktisch schon in Lauterbach und damit in Schwaben befindet. Sympathisch ist auch, wie Hornberger Hoteliers und Gastronomen miteinander umgehen. »Es gibt keine besseren Bratkartoffeln als die im Lamm«, lobt etwa Rose-Wirtin Marleen die Konkurrenz. Ja, man halte schon zusammen, erzählt die 30-Jährige. Wenn der eine ausgebucht ist, schicke er die Gäste eben drei Häuser weiter und umgekehrt - Pilze servieren sie fast alle.
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