Im Räderwerk des modernen Fußballs

»Wir werden ewig leben« - Für sein neues Buch über Unions erste Bundesligasaison begleitete Christoph Biermann den Verein und dessen Menschen ein Jahr hautnah.

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Der »11 Freunde«-Autor und Fußballflüsterer Christoph Biermann hat sich auf eine journalistische Reise begeben, die ihn elf Monate an der Seite des 1. FC Union durch die 1. Bundesliga führte. Die Berliner waren als Aufsteiger ein vielversprechender Kandidat für das Retourticket in die 2. Liga, sprangen aber dem schnellen Bundesligatod von der Schippe und sonnen sich justament im zweiten Jahr auf dem Gipfel des deutschen Fußballolymp.

Die Premierensaison des großen Außenseiters und die damit verbundenen neuen Bedingungen machten die Geschichte erzählerisch interessant für Biermann. Sein Dopingmittel war der Erkenntnishunger - er wollte es wissen. Dafür musste er Zeit und Geduld mitbringen. Denn elf Monate im Räderwerk des modernen Fußballs muss man erst mal durchstehen. Schließlich war er umgeben von einer Schar junger Männer - eine Frau kommt auch vor, Susi, das Mädchen für alles -, deren Hauptbeschäftigung nicht der intellektuelle Diskurs, sondern die schnöde Fußballspielerei ist.

Biermann meistert alle Hürden souverän, singt ein Partylied zum richtigen Zeitpunkt und hält sich mit weit offenen Augen und Ohren im Hintergrund. Er hört zu, wenn auf der Ersatzbank traumatisierte Profis zürnen, der Präsident seinen Union-Traum formuliert, der Stratege sich mit einem Parteisekretär vergleicht, ein Torwart zur persönlichen Motivation unsichtbare Feinde bekämpft. Er turnt mit dem Vereinsarchivar durch die Historie und philosophiert mit dem nigerianischen Stürmer Anthony Ujah über den Sinn des Lebens. Mir wuchsen bei der Lektüre einige Menschen der Union-Familie ans Herz, weil Biermann es schafft, sie so menschlich zu zeigen, wie sie sind. Seine Empathie trägt die Erzählung.

Der Antrieb der Spieler, für Union auf dem Rasen zu arbeiten, ist sehr unterschiedlich. Auch wenn sie öffentlich auf die Farben schwören, sind für viele Klubangestellte gelebte Fankultur, Mitbestimmung im Verein und ein solidarisches Miteinander im Piranhabecken Bundesliga irritierend. Grausig ist die Beschränktheit einiger Profis. Bei den meisten ist der Wille, die Welt zu verändern und politisch zu wirken, nicht besonders ausgeprägt. Sie sind dankbar für das viele Geld, das sie verdienen dürfen. Immerhin unterstützen einige Fußballer soziale Stiftungen. Das lässt zumindest ihren schrecklichen Musikgeschmack (Mainstream Deutschrap, Helene Fischer, Tote Hosen) in den Hintergrund treten. Auf keinen Fall sind alle Fußballer Deppen - 70 Prozent womöglich schon.

Biermanns beeindruckende Langzeitstudie erzählt intensiv davon, wie eine moderne Fußballmannschaft funktioniert, die sich über den Zusammenhalt erklärt. Die besondere Form des Miteinanders ist für ihn das wichtigste Geheimnis des Erfolgs. Er schafft starke Bilder, wir spüren die Fokussierung im Spielertunnel, die Langeweile im Trainingslager, die Leere im Kopf nach dem Spiel, den alles vergessen lassenden Taumel des Sieges.

Und was bleibt für Biermann? »… am meisten geändert hat sich mein Blick auf das Arbeitsleben von Fußballprofis, all das, was ich in dem Kapitel, wie langweilig das Profileben ist, geschrieben habe. Als Publikum sehen wir immer nur den äußeren Teil, die Ektase des Spieltags, das Alltägliche. Die Anstrengungen, die dahinführen, bekommen wir nicht mit. Tägliches Training, Konkurrenzkampf, Verletzungen, irrer Stress. Das erlebt man beim Besuch des Trainingsplatzes …« Biermann hat ein unbedingt lesenswertes Buch über das Innenleben eines Klubs geschrieben, der ein wenig die Klassengesellschaft Bundesliga durcheinanderwirbelt.

Christoph Biermann: Wir werden ewig leben: Mein unglaubliches Jahr mit dem 1. FC Union Berlin. Kiepenheuer & Witsch, 416 S., br., 18 €.

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