- Kultur
- Weihnachtsterror
Eine einmalige Gelegenheit
Andreas Koristka über die Möglichkeit, den Weihnachtsterror zu verhindern
Nach der jüngsten historischen Ministerpräsidentenkonferenz meldete sich Jens Spahn im Deutschlandfunk mit den Worten: »Das entscheiden wir heute, ob Weihnachten in gewohnter Weise stattfinden kann.« Offensichtlich spielt Spahn mit dem Gedanken, das Fest auf ministeriellen Beschluss hin ausfallen zu lassen, weil so viele Leute unartig waren. Das ist sogar noch die mildeste Variante, denn laut Seuchenschutzgesetz könnte er auch die Rute einsetzen und danach alle Bürger ohne Nachtisch ins Bett schicken.
Aber wäre der Weihnachtsausfall eine angemessene Strafe? Im Gegenteil, wir dürfen frohlocken! Ein Weihnachten in nicht gewohnter Weise ist möglich! Wer das hört und nicht sofort in die nächste S-Bahn springt, um sich vom erstbesten Pendler ins Gesicht husten zu lassen, dürfte noch nie Weihnachten gefeiert haben. Selbst wer sich dem »Team Alltagsmaske« zugehörig fühlt, wird der Verlockung kaum widerstehen können, jetzt noch ein bisschen die Pandemie voranzutreiben.
Glückt dies, dürften nämlich als erstes die Weihnachtsmärkte verboten werden, auf denen die widerliche Plörre angeboten wird, die sie Glühwein nennen und die dort weggesoffen wird, als gäbe es kein Morgen und kein Karies mehr. Eine süße Jauche, die in Tassen gereicht wird, die nur notdürftig mit den Zungen der vorhergehenden Weihnachtsmarktbesucher gereinigt und danach kurz in einen Bottich getunkt wurden, in dem noch das Abwaschwasser vom Vorjahr stand.
Sind Weihnachtsmärkte schon verachtenswert genug, so wird ihre Schäbigkeit von Mittelalterweihnachtsmärkten noch übertroffen. Einer Institution, in der jede Errungenschaft der letzten 600 Jahre negiert und durch Schafsfelle ersetzt wird. Trinkhörner, Naturseife und Hautunreinheiten der Standbesitzer werden dort feilgeboten, als handele es sich um edle Schätze formvollendeter Eleganz und nicht um Müll, der dringend einer Sagrotanbehandlung unterzogen werden müsste. Wer darauf nicht verzichten kann, hat die Zivilisation nicht verdient!
Sind die Weihnachtsmärkte weg, dann sind die Firmenfeiern dran. Kein Bowlingabend, kein Ausflug zu der »super Tapasbar«, die Herr Müller neulich schon mit seiner Freundin getestet hat und wo man stundenlang nur winzige Häppchen serviert bekommt, damit man sich mal richtig gründlich mit denselben Arschgeigen unterhalten kann, mit denen man das ganze Jahr im Büro eingesperrt war und die man so abgrundtief hasst, dass es einen 15 Gläser Rotwein auf Firmenkosten nicht vergessen lassen.
Und die Familienfeiern erst! Angefangen beim Gejuckel durch diese elendige Republik, die nirgendwo trister darniederliegt als auf ihren Autobahnen und Bahnhöfen. Kein Umsteigen in Kassel, kein Zwischenstopp auf der Autobahnraststätte Börde Nord! Kein Sanifair-Bon, der einen sogar bei den banalsten Körperfunktionen daran erinnert, dass man persönlicher Gefangener der Marktwirtschaft ist. Es würde keine Geschenke geben, die man sich noch Jahre später nicht wegzuschmeißen traut, keine quengelnden Kinder, keine Schwiegereltern!
Dank Corona haben wir eine Chance. Aber alle müssen helfen! Wir müssen jetzt gesellschaftlich zusammenrücken, um diese Kraftanstrengung gemeinsam zu meistern. Jeder sollte sich fragen: Kann ich demnächst vielleicht ein paar Leute mehr treffen? Ist es mir nicht doch möglich, einen kleinen Bummel durch Geschäfte in Neukölln zu machen oder eine Coronaparty für Jugendliche zu schmeißen? Man kann Hygiene-Demos anmelden, einen Kurztrip nach Spanien unternehmen oder eine Hochzeit mit 250 Leuten in einem 50 Quadratmeter großen Festsaal feiern. Jetzt gilt es! Gemeinsam können wir Weihnachten verhindern!
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