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Gleichstellung ausgebremst
Verfassungsgericht in Potsdam erklärt Paritätsgesetz für verfassungswidrig
Es war fast ein mutiger Schritt im Kampf um Gleichberechtigung: Anfang 2019 hatte die damalige Koalition aus SPD und Linkspartei in Zusammenarbeit mit den Grünen als erste Landesregierung überhaupt ein Gesetz beschlossen, nach dem Parteien ihre Landeslisten für Landtagswahlen nur noch paritätisch besetzen dürfen. Mit dem sogenannten Reißverschlussprinzip, der abwechselnden Besetzung der Listenplätze, sollen gleiche Chancen für Frauen und Männer auf ein Mandat sichergestellt werden.
Am 1. Juli dieses Jahres trat das Gesetz in Kraft. Zur Anwendung kam es bisher nicht - dies sollte erstmals bei der Landtagswahl 2024 geschehen. Das entsprechende Gesetz hat Verfassungsgericht des Landes Brandenburg am Freitag gekippt. Die vorgeschriebene Parität habe unzulässigen Einfluss auf die Chancen der Parteien bei der Wahl, heißt es in dem Urteil. Durch das Paritätsgesetz entziehe der Gesetzgeber dem demokratischen Willensbildungsprozess einen wesentlichen Teil, indem er auf die Zusammensetzung der Listen Einfluss nehme.
Für Kathrin Dannenberg, Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag ist das »eine Niederlage, aber kein K. o.«. Zwar respektiere man das Urteil, die gleichberechtigte Besetzung der Parlamente mit Frauen und Männern ergebe sich für die Linke aber nach wie vor aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes. »Wir bleiben dabei: Die Stimme der Brandenburgerinnen muss im Landtag ein größeres Gewicht bekommen. Parität schadet nicht der Demokratie, sondern stärkt sie.«
Auch die Landesvorsitzende der Linken, Anja Mayer, erklärte: »Das Urteil ist ein bitteres Signal für den Kampf um die Gleichstellung. Nach Auffassung des Gerichts soll ausgerechnet die Ebene der politischen Entscheidungsträger*innen von Regelungen ausgenommen werden, die Gleichstellung auch gesetzlich sichern.« Die Sprecherin für Frauen- und Gleichstellungspolitik der SPD-Fraktion, Elske Hildebrandt, sprach davon, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen und Prozessen auch weiterhin erklärtes Ziel der SPD in Brandenburg sei.
Freuen konnte sich die extrem Rechte: Die Landesverbände von NPD und AfD hatten die nun verhandelten Klagen gegen das Paritätsgesetz eingereicht. Sie sahen die Freiheit der Wahl sowie die Organisationsfreiheit der Parteien gravierend beeinträchtigt. Die Kläger argumentierten, das Gesetz verstoße gegen die Freiheit der Parteien, ihre Kandidaten nach eigenen Grundsätzen auszuwählen. Zudem diskriminiere es Männer und verstoße gegen das Grundgesetz und die Landesverfassung. Die NPD kritisierte, sie habe wegen ihres geringen Frauenanteils kaum Chancen, die Vorgaben zu erfüllen. Ähnlich mag es der AfD gegangen sein. Mit 22 Prozent haben die Rechtspopulisten den geringsten Frauenanteil im Landtag. Grüne und Linke hingegen setzen bereits jetzt eine Quotierung von 50 Prozent um - ganz ohne Gesetz. Von den insgesamt 88 Abgeordneten aller Fraktionen sind ein Drittel Frauen.
Auch die Jungen Liberalen begrüßten die Entscheidung des Gerichts. Dass das rot-rot-grüne Bündnis ausgerechnet NPD und AfD die Chance gegeben habe, sich als verfassungstreue Musterdemokraten zu inszenieren, sei skandalös, so deren Landesvorsitzender Matti Karstedt. Man wolle nun an »verfassungskonformen Lösungen« arbeiten.
Entscheidung wie in Thüringen
Mit ihrem Urteil haben die Verfassungsrichter*innen in Potsdam genauso entschieden wie zuvor die Kolleg*innen in Thüringen. Im Juli hatte das Verfassungsgericht in Weimar bereits das von Rot-Rot-Grün reformierte Landeswahlgesetz als verfassungswidrig erklärt. Es beeinträchtige »das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl« sowie das »Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit«. Beide Rechte gelten auch für »wahlvorbereitende Akte« wie etwa die Aufstellung von Listenkandidaten, hieß es in dem Urteil. Es wurde mit sechs zu drei Stimmen beschlossen. Die einzigen beiden Richterinnen in diesem Fall sowie ein Richter gaben Sondervoten ab, in denen sie die Verfassungskonformität des Gesetzes erklärten.
So entschieden Renate Licht und Jens Petermann, dass die »tatsächlich existierende strukturelle Diskriminierung von Frauen in der Politik« verkannt werde. Mittlerweile wurde Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Es soll die Entscheidung aus Weimar prüfen. Zudem hatten die Fraktionen von Linke und Grünen erklärt, sich einen neuen Anlauf für ein Paritätsgesetz durchaus vorstellen zu können. Die Sondervoten hätten die juristischen Spielräume aufgezeigt, erklärte die Linke-Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow nach dem Urteil.
Ähnliches kündigte die Vorsitzende der Brandenburger Linken, Katharina Slanina, an: »Das Gericht hat in seinem Urteil bereits erste Hinweise auf notwendige Änderungen in der Landesverfassung gegeben.« Man gehe zudem davon aus, dass auch die Parteien der Regierungskoalition an einem zügigen Neuanlauf interessiert seien, und stehe für entsprechende Gespräche zur Verfügung, so Slanina. Fraktionsvorsitzende Dannenberg sagte: »Gerade jetzt sehen wir uns darin bestärkt, dass im Rahmen einer Verfassungsreform auch dieser Bereich geprüft werden muss.«
Bundesweite Initiativen
Trotz rechtlicher Bedenken gibt es auch in anderen Bundesländern und auf Bundesebene Initiativen für Paritätsgesetze. Wie eine Aufstellung des Deutschen Frauenrates zeigt, wurden bereits im Mai 2019 außer in Baden-Württemberg, Hessen und im Saarland in allen Bundesländern entsprechende Forderungen eingebracht. Die Berliner Linksfraktion etwa legte im März 2019 einen Entwurf vor. Vor gut einem Monat bestätigte eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung die Verfassungskonformität des Vorhabens. Die Autorin der Studie, Silke Ruth Laskowski, kommt zu dem Schluss: »Eine paritätische Änderung des Berliner Wahlgesetzes ist im Rahmen der geltenden Verfassung von Berlin und des Grundgesetzes in verfassungskonformer Weise möglich und zudem geboten!« Wann der Gesetzesentwurf zur Abstimmung ins Abgeordnetenhaus kommt, ist bisher unklar.
Im Gespräch mit »nd.DerTag« erklärte die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes (DJB) Maria Wersig, dass es neben einer Quotierung auch andere Möglichkeiten gebe, gegen die Unterrepräsentierung von Frauen vorzugehen. »Man könnte im Parteiengesetz Gleichstellungskonzepte verankern«, sagte sie am Mittwoch. »Oder die Parteienfinanzierung erweitern, die die Ergebnisse dieser Bemühungen honoriert.«
Aus Sicht des DJB waren sowohl das Thüringer als auch das Brandenburger Paritätsgesetz verfassungsgemäß. Nach dem Potsdamer Urteil zeigte sich Wersig dennoch zuversichtlich: »Das Verfassungsgericht Brandenburg hat heute die Chance verpasst, den vom Parlament gesetzten Meilenstein für Demokratie und Gleichberechtigung zu zementieren. Die Debatte geht trotzdem weiter«, erklärte sie über den Kurznachrichtendienst Twitter. »Auf ein Neues«, sagte auch die Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke nach dem Urteil.
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