Verantwortung für Mitte-links

Susanne Hennig-Wellsow appelliert an die Linke, nicht nur die eigenen Haltelinien im Blick zu haben

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 7 Min.

Thüringen und Hessen sind Nachbarn, auch in der Linken gibt es gute Verbindungen - ist die Doppelkandidatur Hennig-Wellsow und Wissler Ergebnis dieses Verhältnisses?

Nee, das würde ja bedeuten, dass nur Thüringen und Hessen gut miteinander klarkommen in der Bundespartei.

Zur Person

Susanne Hennig-Wellsow ist eine der beiden bisher bekannten Kandidatinnen für den künftigen Parteivorsitz der Linken. Gemeinsam mit der hessischen Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler will sie im November auf einem Parteitag in Erfurt gewählt werden, wenn Corona es zulässt.

Hennig-Wellsow ist Landesvorsitzende in Thüringen und seit 2014 auch Fraktionsvorsitzende im Erfurter Landtag. Die 42-Jährige, die 2004 über das Jugendticket der PDS in den Landtag kam, gilt als Pragmatikerin und steht seit sechs Jahren an führender Position der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen.

Es gibt ja auch keine anderen Kandidaturen bisher.

Das hat dann eher mit der Entscheidung von Personen zu tun, nicht mit den Landesverbänden. Klar, wir machen Wahlkämpfe zusammen, Fraktionsvorsitzendenkonferenzen, laden uns zu Parteitagen ein. Das hat sicher einen positiven Einfluss auf unsere Kandidaturen. Aber es ist nicht die Ursache.

Janine Wissler und Sie gehören zu unterschiedlichen Teilen, Strömungen, Traditionen der Partei - wie man mag. Ist das eher ein Vorteil, oder ein potenzielles Problem?

Also ich gehöre keiner Strömung an, sondern ich bin Mitglied der Partei Die Linke.

Verschiedene Einbindungen gibt es schon. Wahrscheinlich wären Sie nie Mitglied von Marx 21 geworden wie Janine Wissler.

Ich kriege häufig die Frage gestellt, wer von uns beiden eigentlich radikaler sei. Die halte ich für Blödsinn. Dass wir einen jeweils eigenen Hintergrund haben, steht unserer politischen Zusammenarbeit nicht im Weg. Den werden wir sowieso alle gemeinsam gehen müssen, nicht nur die Führungsspitze.

Sie begründen Ihre Kandidatur damit, bundespolitisch wegweisende Entscheidungen stünden an. Für die richtige Richtung wollen Sie dabei sorgen. Was heißt das?

Schon wie wir die Coronazeit überstehen, ist eine offene Entscheidung. Ob die Politik in Deutschland Bestehendes retten oder Neues schaffen wird. Erst recht gilt das nach der Merkel-Ära. Keiner weiß, wie es weitergeht. Das ist die Richtungsentscheidung, von der ich spreche. Mit größerem Selbstbewusstsein muss die Linke hier ihre Verantwortung erkennen. Wir brauchen ein progressives Bündnis links neben der CDU. Voraussetzung ist natürlich eine arithmetische Mehrheit hierfür. Denn die Gefahr ist groß, dass die Konservativen bald ihre auch coronabedingte Zurückhaltung aufgeben. Dass Ausgaben und Investitionen für die öffentliche Hand zusammengestrichen, Mittel für Gesundheitswesen, Wohnen, Arbeitsplätze gekürzt werden sollen. Die Gegenkraft, die das verhindern muss, sind wir.

Sind die Grünen und die SPD verlässlicher Teil einer solchen Gegenkraft?

Die Linke liegt im Moment bundesweit zwischen sechs und acht Prozent. Wir können die politische Richtung in der Bundesrepublik kaum allein bestimmen. Am Ende entscheiden es die Wählerinnen und Wähler, und die Linke wird ein solches Bündnis nur eingehen, wenn es ein fortschrittliches Bündnis ist. Dieses muss sich zu einem sozialökologischen Umbau bekennen, zu Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, zum Umbau des Gesundheitswesens, dem Einstieg in eine soziale Grundsicherung, die auch wirkliche Existenzsicherung bedeutet.

Die Linke wäre nach bisheriger Lage kleinster Partner in einem solchen Dreierbündnis, will aber die Richtung vorgeben?

Hier in Thüringen führe ich seit sechs Jahren ein Bündnis auf Fraktions- und Parteiebene, in dem die Linke nahe 30 Prozent liegt und die beiden anderen Parteien zwischen sechs und neun Prozent. Das offene Geheimnis solcher Bündnisse ist, dass alle aufeinander angewiesen sind. Ohne die anderen geht es für keinen der Partner. Eine solche Regierung kann nur auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Jeder ist gleichrangig, weil es ohne den anderen keine Mehrheit gibt. Das erlaubt auch den Kleineren, Forderungen umzusetzen.

Ein bekannter Sozialdemokrat hat es mal so formuliert: Opposition ist Mist. Ist dem zuzustimmen?

Ich würde es anders formulieren: Regieren macht mehr Spaß und ist wesentlich wirkungsvoller.

Was halten Sie von roten Haltelinien, an denen das Programm der Linken ja eine Regierungsbeteiligung misst?

Wir haben für die Bundestagswahl 2021 noch keine roten Haltelinien beschlossen.

Die sind im Programm der Partei Die Linke formuliert.

Entscheidend wird das Wahlprogramm sein, und das ist noch nicht beschlossen. Vorfestlegungen sind gut für Verhandlungen, um die eigenen Ziele zu definieren und die Spielräume in den Verhandlungen. Wichtig ist es, auf eine Verantwortung im Bund vorbereitet zu sein. Das bedeutet, dass man weiß, bis wohin man gehen kann und auch, bis wohin die andere Seite gehen kann. Vor allem heißt es, die gemeinsamen Ziele und Punkte aller Partner zu kennen. Also, rote Haltelinien helfen die eigene Position zu bestimmen, aber sie dürfen nicht verhindern, dass man sich überhaupt gemeinsam an einen Tisch setzt.

Wie dicht beieinander sind Ihre und die Positionen Janine Wisslers, was das Ziel einer Mitte-links-Regierung angeht?

Ich glaube, wir sind da nicht so weit auseinander. Wir kommen beide aus Bewegungen, haben Erfahrungen in Oppositionsfraktionen und auch mit Regierungsverhandlungen. Die eine ist bis zur Sondierung gekommen in Hessen, die andere führt jetzt in Thüringen eine Regierung.

Nach den schlechten Ergebnissen der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl wurden die Differenzen in der Bundespolitik als Ursache kritisiert. Die einen fordern nun, mit einer Stimme zu sprechen, die anderen, die Linke als plurales Projekt weiterzuentwickeln. Was ist denn richtig?

Da sehe ich kein Richtig und kein Falsch. Es ist immer gut, mit einer Stimme zu sprechen. Inhaltliche oder auch persönliche Konflikte sollten wir miteinander klären und nicht über die Öffentlichkeit. Die Stärke der Linken ist gerade ihre Pluralität. Es wäre falsch, darin ein Problem zu sehen. Über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, inwieweit wir trotzdem Einigkeit nach außen ausstrahlen. Das sagt auch meine Thüringer Erfahrung. Wir haben hier jeden Tag strittige Fragen und Konflikte zu klären. Nicht jede Lösung muss jedem gefallen. Entscheidend ist, sie vertraulich miteinander zu besprechen und umzusetzen. Das ist die Einigkeit, die wir brauchen, um gemeinsam unsere größeren Ziele zu erreichen.

Welche Rolle spielen für Sie die Strömungen und Zusammenschlüsse der Linken?

Sie sind wichtig für die Partei, aber sie sind nicht die Partei. In der Linken sind 20 Prozent der Mitglieder in Zusammenschlüssen und Gruppierungen organisiert, 80 Prozent sind es nicht. Natürlich ist es Teil der politischen Arbeit der Vorsitzenden, die Strömungen einzubinden.

Sie haben bisher auch in Thüringen alle Hände voll zu tun. Welche Posten werden Sie räumen? Oder wollen Sie Landes- und Fraktionsvorsitzende bleiben, wenn Sie Bundesvorsitzende werden sollten?

Vorausgesetzt, ich werde gewählt, und dazu muss ja erst noch ein Parteitag stattfinden, werde ich den Landesvorsitz in Thüringen so schnell wie möglich ablegen wie auch den Fraktionsvorsitz. Wie schnell, das wird auch von der politischen Entwicklung in Thüringen abhängen.

Der Termin der Landtagswahl im kommenden Jahr könnte die Planungen durcheinanderwerfen?

Der 25. April 2021 als Wahltermin ist bisher die politische Entscheidung von vier Partnern im Thüringer Landtag - der Regierungsfraktionen und der CDU. Er ist noch keine juristische und damit feststehende Entscheidung, weil wir dafür bis zum 15. Februar das Parlament auflösen müssen. 70 Prozent der Thüringer*innen wollen einen möglichst nahen Wahltermin. Und wir brauchen auch dringend klare Verhältnisse im Thüringer Parlament, weil im Dezember der mit der CDU vereinbarte Stabilitätsmechanismus ausläuft. Dann beginnt wieder das freie Spiel der Kräfte, wie wir es bei der Kungelei mehrerer Fraktionen mit der AfD im Februar erlebt haben.

Das Verhältnis zwischen Parteiführung und Bundestagsfraktionsspitze ist seit Jahren gespannt. Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit vor?

Na, gut.

Sollte die Parteiführung in die Entscheidungen der Bundestagsfraktion besser einbezogen werden?

Die Partei stellt die Mandate der Abgeordneten im Bundestag. Jeder Bundestagsabgeordnete hat sein Mandat, weil die Partei Die Linke existiert und weil die Mitglieder der Partei entsprechenden Wahlkampf machen. Aus meiner Sicht gilt immer das Primat der Partei, auch gegenüber der Fraktion. Deswegen setze ich auf Zusammenarbeit, auf Gespräche, auf institutionalisierte Treffen und bin der festen Überzeugung, dass die Partei da noch einen größeren Stellenwert einnehmen muss.

Der neuen Parteispitze wird ja bald die Aufgabe zufallen, einen Vorschlag für die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl zu machen. Ein heißes Eisen, das Sie vielleicht lieber loswürden?

Nee, warum sollte ich mich vor Entscheidungen drücken?!

Haben Sie etwa schon eine Idee?

Ideen habe ich immer. Aber das ist ja nichts, was schon am ersten Tag entschieden werden muss.

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