- Wirtschaft und Umwelt
- Militarisierung Mexikos
Das Märchen vom unbestechlichen Militär
Der Lateinamerika-Forscher Falko Ernst über die Militarisierung Mexikos durch Präsident López Obrador
Die mexikanische Regierung plant, Häfen und Zoll in ziviler Verwaltung des Verkehrsministeriums in die Hände der Armee zu legen, um so Korruption und Schmuggel zu bekämpfen. Wie akut ist das Problem des Drogen- und Waffenschmuggels in Mexiko?
Die Situation ist latent akut. Es ist keine neue Notfallsituation, aber die Korruption und Kollusion zwischen privaten Abfertigern, die innerhalb der Häfen das Gros der Importe abwickeln, lokalen Behörden, aber auch Bundesbehörden, die federführend sind in den Häfen, ist latent. Es ist Fakt, dass dort viel Korruption herrscht. Anders würde der ganze Laden auch nicht so laufen. Insofern ist es an und für sich nichts Neues.
Der Soziologe Falko Ernst lebt in Mexiko-Stadt und arbeitet dort für die Nichtregierungsorganisation International Crisis Group (ICG). Der Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Erforschung der organisierten Kriminalität und Korruption in Mexiko und Lateinamerika. Mit ihm sprach Andreas Knobloch.
Warum gibt es so viel Polemik um das Vorhaben der Regierung?
Die Polemik erklärt sich dadurch, dass Präsident Andrés Manuel López Obrador während seines Wahlkampfes 2018 versprochen hatte, die fortschreitende Militarisierung der letzten 15 Jahre in Mexiko zurückzuschrauben und die Armee innerhalb kurzer Zeit komplett von der Straße zu holen. Bisher hat er genau das Gegenteil getan. Die Militarisierung schreitet weiter voran. Sie ist sogar stärker vorangeschritten als unter seinen beiden Vorgängern. Das heißt, es gibt mehr Militärs auf der Straße, und das Militär wird mit jedem Tag mächtiger gemacht. Der Militäretat steigt und der Armee werden immer mehr Funktionen »zugeschoben«, die Kontrolle über Häfen und Grenzen gehört mittlerweile dazu. Entsprechend kritisch wird das in der Öffentlichkeit reflektiert.
Präsident López Obrador spricht davon, die Häfen »zu säubern«. Was steckt dahinter?
Man muss dazusagen, dass das nicht unbedingt neu ist. Häfen wie der in Lázaro Cárdenas oder Veracruz sind schon länger unter der Kontrolle der Militärs. Der Grund des Ganzen ist: Man will die Häfen und Grenzen besser überwachen und somit der Kartelle, der organisierten Kriminalität, Herr werden. Denn die Häfen, durch die Drogen und andere Güter laufen, ermöglichen große Profite. Die Kontrolle darüber würde die Regierung einen Schritt näher an Lösung des ganzen Problems bringen. Allerdings glaube ich, es ist eine Illusion, diese Warenflüsse effektiv kontrollieren zu können. Wenn man sich Europa oder die USA anschaut, haben das auch gefestigte Regierungen bisher nicht geschafft. Ich habe selbst vor ein paar Jahren länger in Lázaro Cárdenas recherchiert. Das Volumen der Container, die diesen Hafen durchlaufen, lässt die Kontrolle von nicht mehr als zehn Prozent der Container zu, egal ob durch das Militär oder andere Behörden.
Ist es also vor allem Symbolpolitik von López Obrador?
Da wird weiterhin viel Macht, nicht nur politische, sondern auch Wirtschaftsmacht in den Händen der Streitkräfte konzentriert. Mittlerweile ist das mexikanische Verteidigungsministerium, abgesehen von den Häfen und den Grenzen, de facto schon das größte Bauunternehmen in Mexiko und der Trend wird weiter fortgeführt. Natürlich gibt es da dann relative Verluste für die Privatwirtschaft, die vorher ein größeres Stück des Kuchens abbekommen hat.
Welche konkreten Auswirkungen hat diese Militarisierung?
Da, wo die Streitkräfte de facto auch ein Wirtschaftsakteur werden und überhaupt in eine Vielfalt von Aktivitäten involviert sind, wird natürlich auch die Breitseite für Korruption größer. Die Begründung von López Obrador, die Streitkräfte seien weniger oder überhaupt nicht korrupt, ist ein Märchen. Auch in den Streitkräften gab es immer Korruption, illegale Tötungen, Leute wurden verschwunden. Zwar ist die Armee immer noch weniger korrupt und sauberer gewesen als beispielsweise die Bundespolizei. Aber seit Jahrzehnten ist es gang und gäbe, dass die Streitkräfte - zumindest auf regionaler Ebene - Hand in Hand mit Drogenbanden arbeiten.
López Obrador ist 2018 mit beispielloser gesellschaftlicher Unterstützung und dem Versprechen, Korruption zu bekämpfen und die Armee zurück in die Kasernen zu schicken, ins Amt gewählt worden. Im Mai hat er ein Dekret erlassen, das die Streitkräfte zur Unterstützung von Aufgaben der öffentlichen Sicherheit einsetzt. Zudem hat er Infrastrukturprojekte, wie den Bau des internationalen Flughafens Santa Lucía, in die Hände des Militärs gelegt. Warum setzt er so stark auf die Streitkräfte und militarisiert so viele Bereiche, auch über die Sicherheitspolitik hinaus?
Das hängt stark damit zusammen, dass er a) ein sehr ambitioniertes Projekt hat. Sein eigener Anspruch ist kein geringerer, als in die Geschichte einzugehen als ein großer Reformer, der Mexiko verändert hat. Damit steht er b) vor der Frage: Mit welchen Institutionen kann ich das bewerkstelligen? López Obradors Erfahrung ist dann eben auch gespeist aus seiner umstrittenen Wahlniederlage 2006, wo er immer noch der Meinung ist, dass ihm damals die Präsidentschaft geraubt wurde, dass die Korruption einfach so tief und so breit in den Institutionen verwurzelt ist, dass man durch diesen langwierigen demokratischen Reformprozess, der seit mindestens 20 Jahren läuft, aber keine Resultate bringt, die Transformation nicht bewerkstelligen kann. Im Kontrast dazu sieht er die Streitkräfte tendenziell als stringente und hierarchisch organisierte Institution, mit der die Chancen, diesen Wandel in kürzerer Zeit herbeizuführen, am größten sind - wenn man mit ihr genügend Macht und Ressourcen teilt, um einen Schlag gegen sich persönlich zu vermeiden.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.