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Wer bietet weniger?

Die weltweite Rallye um niedrige Gewinnsteuern für Konzerne schien beendet. Dann startete US-Präsident Trump durch. Seine Politik hat auch in Deutschland Folgen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 5 Min.

Unternehmen mit einer gut ausgebauten digitalen Infrastruktur nutzen diese für ihre »aggressive Steuerplanung«. Dadurch können sie Gewinne konzernintern in Staaten mit niedrigen Steuersätzen verlagern und ihre Konzernsteuerquote senken. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Universität Mannheim.

Weltweit führt die fortschreitende Digitalisierung zu neuen Formen der Wertschöpfung - und neuen Modellen zur Steuervermeidung. Sie ermöglicht es international aufgestellten IT-Unternehmen wie Amazon, Schneider Electric oder SAP, ihre »Leistungen« und damit auch Steuerzahlungen in ein Land ihrer Wahl zu verschieben und unterm Strich weiter zu minimieren.

Um all dem einen Riegel vorzuschieben, hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Herbst 2019 Vorschläge für eine umfassende Reform der weltweiten Unternehmensbesteuerung vorgelegt. Eine weitere Empfehlung der Industriestaatenorganisation zielt auf alle Unternehmen, die Gewinne in Niedrigsteuerländer verlagern. Was bekanntermaßen auch deutsche Konzerne praktizieren.

Woher kommt das Geld für staatliche Aufgaben?

Um einen neuen Pfad einzuschlagen, sollen die G20-Staaten, die vier Fünftel der Weltwirtschaft umfassen, eine globale Mindeststeuer und ein sogenanntes Abzugsverbot für Gewinne einführen. Internet-Umsätze in Deutschland müssten dann in Deutschland versteuert werden, nicht etwa in der Niedrigsteuer-Wüste Irland.

Warum treiben das politische Berlin aber an diesem Punkt andere Sorgen um? Die Bundesregierung sorgt sich um »ihre« exportstarke Industrie, die bislang vor allem in Deutschland Steuern entrichtet - und nicht in den »Marktländern«, in denen die Produkte von Daimler, Siemens oder SAP gekauft werden. Die OECD-Pläne könnten also tiefe Löcher in den Steuersack der Bundesregierung reißen.

Dagegen haben Länder wie Spanien mittlerweile nationale Lösungen vorangetrieben. Diese stoßen naturgegeben auf nationale Grenzen und sind deshalb weniger engagiert als die OECD-Pläne, welche das Gewinnsteuersystem gewissermaßen vom Kopf auf die Füße stellen würden. Stattdessen soll eine bescheidene Abgabe auf Internet-Umsätze im jeweiligen Land erhoben werden.

Dabei schien die weltweite Steuerrallye, die den rasanten Aufstieg der Globalisierung seit den 1990er Jahren begleitet hat, beendet zu sein. Erst US-Präsident Donald Trump startete wieder durch: Im Jahr 2018 senkte Trump den landesweiten Unternehmensgewinnsteuersatz von 35 auf 21 Prozent. Trump versprach sich davon, so äußerte er, höhere Investitionen und neue Jobs. Kritiker sahen vor allem eine Begünstigung von Aktionären, von Reichen und Unternehmen.

International stieß Trump damit die harte Steuerkonkurrenz zwischen den Standorten der Weltwirtschaft wieder an. Eine Entwicklung, die mittlerweile auch Deutschland erreicht hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich für eine Steuerentlastung für Unternehmen ein. »Ich freue mich, dass Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine Unternehmenssteuerreform vorgeschlagen hat«, sagte sie schon im November 2019 auf dem Deutschen Arbeitgebertag in Berlin.

Seither steht das Thema auf der politischen Agenda der Unternehmensverbände wieder weit oben. Selbst in Corona-Zeiten verstummte, trotz üppigster Subventionen durch den Staat, die Forderung nach »steuerlicher Entlastung« nicht. Erst Anfang Oktober forderte der Präsident des Industrieverbandes BDI, Dieter Kempf, erneut eine Reform der Unternehmensteuern: »Nach mehr als zehn Jahren Stillstand darf sich die Bundesregierung hier nicht länger verweigern.«

Versprochen werden von den Befürwortern einer Steuersenkung auch hierzulande höhere Investitionen und neue Jobs. Kurzum, der Standort Deutschland würde durch eine niedrigere Besteuerung von Konzernen und Mittelstand attraktiver. Das muss man nicht so sehen. Die Steuerlast ist schließlich nur eine unter vielen Standortfaktoren.

Noch nie kassierten die Staaten so viele Steuerbillionen wie heute. Corona dürfte an diesem Trend wenig ändern, legt man den OECD-Bericht zu Steuerreformen »Tax Policy Reforms 2020« zugrunde. Danach stieg der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der wichtigsten Volkswirtschaften seit 1965 von durchschnittlich 24,9 auf 34,3 Prozent. Da das BIP heute weit größer ist als ehedem, ist die tatsächliche Steuersumme größer denn je.

Allerdings basieren die Steuereinnahmen vorrangig auf Einkommen- und Konsumsteuern, wie beispielsweise die sogenannte Mehrwertsteuer. Die Gewinn- und Vermögensteuern wurden dagegen im Trend heruntergefahren. Gleichzeitig wurde die Spanne zwischen Niedrig- und Hochsteuerländern eher größer. Das bedeutet, im Kern geht es heute um zwei Aspekte: Wer bringt diese Steuern auf? Und wo, in welchem Land, wird an den Fiskus gezahlt?

Plan gegen unfaire Gewinnverlagerungen

Mitglieder der G20 hatten bereits im Jahr 2012 auf die OECD eingewirkt, einen Plan zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken zu entwickeln. 2015 präsentierte die Organisation ihren ersten Aktionsplan gegen unfaire Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen, kurz Beps (»Base Erosion and Profit Shifting«). Der Plan schlägt ein gutes Dutzend Punkte vor, um nationale Steuerlücken zu schließen. Die jährlichen Steuerverluste dadurch werden von der OECD auf bis zu 200 Milliarden Euro geschätzt. Insgesamt 135 Staaten verpflichteten sich, einige oder alle genannten Reformen umzusetzen.

Das Bundesfinanzministerium spricht von einem »Meilenstein«. Zu den Reformen gehören: Substanzielle wirtschaftliche Aktivitätsnachweise für Unternehmen, die Gewinne in »Niedrigsteuerumgebungen« verlagern; die Beseitigung anderer schädigender Steuerpraktiken und die zügige Umsetzung des Beps-Plans sowie die Erhöhung der »Transparenz« durch ein weiteres OECD-Programm, in dem Informationen über Steuerzahler zwischen den Ländern ausgetauscht werden. Internationale Finanzbehörden begannen 2017, nach und nach umfangreichere Steuerdaten miteinander auszutauschen. Inzwischen umfasst die »Staatenaustauschliste« des Bundesfinanzministeriums 100 Länder.

Diese lange Liste ist nicht die Lösung aller Probleme in Sachen Steuervermeidung, aber ein wichtiger Fortschritt. Aus dem Aktionsplan der OECD wurde »eine globale Bewegung«, jubelt die Unternehmensberatung EY (früher Ernst & Young). Kritiker wie das Tax Justice Network, das allerdings seinerseits ein gewisses Interesse an der Erzählung über löchrige Steuersysteme hat, halten eine solch positive Einschätzung für weit überzogen.

Ob der Datenaustausch »nur« Frau Mustermann und andere Privatpersonen treffen wird oder letztlich auch Konzerne, scheint jedenfalls fraglich. Die OECD selber sieht sich, wie bei der Digitalsteuer, mitten in einem Prozess. Dieser Prozess ist ins Stocken geraten. Eigentlich wollte die Organisation bereits die Zustimmung von 135 Staaten für eine Digitalsteuer eingeholt haben. Das hat sie jedoch auch auf ihrem virtuellen Ministertreffen im Oktober verpasst. Frankreich hat angekündigt, eine eigene, nationale Steuer auf digitale Umsätze einzuführen, sollte bis Ende des Jahres keine Einigung erzielt werden. Deutschland verlässt sich bisher auf die OECD. Daran dürfte auch die Studie des ZEW nichts ändern, in der deutsche Multis eine prominente Rolle spielen.

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