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Linke will Investitionen prüfen
Besonders teure Projekte wie die ICC-Sanierung sollen angesichts der Coronakrise aufgeschoben werden
Die Coronakrise wirft alle Berliner Finanzplanungen über den Haufen. Zwar sind die aktuellen Finanzlöcher notdürftig gestopft worden, die durch die aktuellen Mindereinnahmen entstehen und durch die Mehrbedarfe für beispielsweise Soforthilfen. Aber niemand von den Haushaltspolitikern im Abgeordnetenhaus hat bislang einkalkuliert, was durch den neuen Lockdown an zusätzlichem Finanzbedarf aufkommen könnte - wie auch, die Maßnahmen treten ja erst an diesem Montag in Kraft. Dennoch zeichnet sich bereits jetzt ab dem Jahr 2022 für Berlin ein noch größeres Finanzproblem ab. »Irgendwann wird es eine finanzielle Grenze geben für den Bund und die Länder«, hatte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) vor Kurzem im Interview mit dieser Zeitung gesagt.
Klar ist, die fetten Jahre mit satten Haushaltsüberschüssen, wie es sie zwischen 2012 und 2019 gab, sind angesichts der massiven Auswirkungen der Corona-Pandemie vorbei. Fakt ist ebenfalls, bald dürften die wirtschaftlichen Folgen, die die Krise erzeugt hat, richtig sichtbar werden: Schließlich können Bundeshilfen wie das Kurzarbeitergeld nicht endlos laufen und auch das Aussetzen von Insolvenzen dürfte demnächst vorbei sein. Für diesen Fall müsste Berlin eigentlich bereits jetzt vorsorgen, denn das Schuldenmachen an der Schuldenbremse vorbei ist daran gekoppelt, dass die Kredite mit Corona oder eben deren Folgen zusammenhängen müssen. Soll heißen: Das Abgeordnetenhaus als Haushaltsgeber und die bis 2021 gewählte Mitte-links-Koalition müssen eine finanzpolitische Strategie entwickeln.
Mit Bangen blicken die Politikerinnen und Politiker der rot-rot-grünen Senatskoalition in Berlin auf die nächste Steuerschätzung des Bundes, die für Mitte dieses Monats erwartet wird. Danach dürfte klarer sein, wie stark die Einnahmeausfälle gegenüber früheren Prognosen ausfallen werden. Bislang wurden dem Land Berlin regionalisierten Ergebnissen zufolge im laufenden Jahr drei Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen erwartet. Um die Mindereinnahmen und Mehrausgaben für Corona-Soforthilfen zu kompensieren, hat Rot-Rot-Grün deshalb bereits Anfang Juni einen ersten Nachtragshaushalt verabschiedet. Demnach macht das Land Berlin bis zu sechs Milliarden Euro neue Schulden. Nun soll noch in diesem Jahr ein zweiter Nachtragshaushalt verabschiedet werden, um weitere coronabedingte Aufgaben zu finanzieren.
Ursprünglich hatte der Doppelhaushalt des Landes Berlin ein Haushaltsvolumen von rund 31 Milliarden Euro für 2020 und mehr als 32 Milliarden Euro für 2021. mkr
»Wir müssen in irgendeiner Form Geld schon jetzt bereitstellen, damit wir dann keine harten Einbrüche im Jahr 2022 und 2023 haben«, erklärt Steffen Zillich, der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. »Wenn es um coronabedingte Folgen geht, verstößt die finanzielle Vorsorge nicht gegen die Schuldenbremse«, betont Zillich. Der Linkspartei-Abgeordnete ist auch der Haushalsexperte seiner Fraktion, er sitzt im wichtigen Hauptausschuss, in dem im Abgeordnetenhaus über die Finanzen entschieden wird. Nach jetzigem Stand will die rot-rot-grüne Koalition Anfang kommender Woche über ihre finanzpolitischen Planungen in den Koalitionsrunden debattieren. Danach, am 19. November, so lautet die bisherige Planung, soll im Plenum des Abgeordnetenhauses dann ein neuer Nachtragshaushalt (siehe Kasten), bereits der zweite in diesem Jahr, beschlossen werden. Auch andere Bundesländer wie Hessen und Sachsen haben bereits vorgesorgt, um sich für die Zukunft Investitionsspielräume zu sichern. Vor dieser Herausforderung steht nun auch Berlin.
Wobei über den grundsätzlichen keynesianistischen Kurs zwischen SPD, Linken und Grünen weitgehend Einigkeit herrscht. »Es ist richtig, in der Krise nicht zu sparen, sondern zu investieren«, sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh in der Sondersitzung des Landesparlaments am Sonntag. Man werde der Verantwortung gerecht und coronabedingt mehr investieren. Der SPD-Fraktionschef stellt ein »Hilfs- und Sozialprogramm« in Aussicht, wie es die Stadt noch nicht gesehen habe.
Aber geht das alles auf einmal, immer neue Soforthilfen, mehr Investitionen, das Aufrechterhalten der geplanten Sanierungsvorhaben und die Wahrung der sozialen Unterstützungen? In der Linksfraktion gibt es angesichts der massiven Einnahmeausfälle daran Zweifel. »Von den Investitionen, die in der Planung stehen, wird nicht alles umzusetzen zu sein«, prognostiziert Zillich. Die Linksfraktion fordert deshalb, alle Investitionen, die geplant sind, noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Als Beispiele für möglicherweise aufzuschiebende Sanierungen nennt der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion die anstehende Sanierung des ehemaligen Flughafengebäudes in Tempelhof. Aber auch die Sanierung des wegen einer Asbestbelastung geschlossenen ICC müsse womöglich wegfallen. Zillich: »Was ist da jetzt prioritär?« Überhaupt werde man sich anschauen müssen, wie es um die Investitionsbedarfe bei der Messe Berlin angesichts der krisenbedingten Veränderungen des Messegeschäfts in Zukunft bestellt sei.
Damit Berlin aber nicht wieder auf Verschleiß gefahren wird und die dringend nötigen Sanierungen weitergehen, hat die Linke einen Vorschlag zu unterbreiten. »Wir brauchen für das Thema Investitionen neue Konzepte, dafür ist zu prüfen, ob die Beteiligungsunternehmen des Landes Berlin nicht noch stärker in die Investitionsplanungen einbezogen werden können«, sagt Zillich.
Wie der jüngst von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) vorgestellte Beteiligungsbericht zu den Landesbeteiligungen Berlin ergab, wirtschaften die kommunalen Unternehmen sehr erfolgreich: Im vergangenen Jahr erzielten sie einen Überschuss von insgesamt 598 Millionen Euro. Und das, obwohl sie die Investitionsausgaben zuletzt auf 5,5 Milliarden Euro deutlich steigerten. »Die öffentlichen Unternehmen investieren wirkungsvoll in die Daseinsvorsorge in Berlin«, so Kollatz. Auf diese Erfolgsgeschichte will die Linke weiter aufsetzen.
Nun spielt die Coronakrise selbstverständlich auch kommunalen Unternehmen zum Teil übel mit. Mehrbedarfe, das zeichnet sich bereits ab, wird es bei den Krankenhäusern von Vivantes und bei der Charité geben. Die BVG und der BER waren bereits im vergangenen Jahr in den roten Zahlen. Die Linksfraktion denkt deshalb auch darüber nach, ein Sondervermögen zu schaffen, um defizitäre Landesbeteiligungen besser zu finanzieren. Das könnte beispielsweise beim an diesem Wochenende eröffneten BER laut Zillich folgendermaßen aussehen: »Es geht nicht um eine Privatisierung, sondern darum, die Zuschussbedarfe des Flughafens auszulagern, um den Betrieb so lange aufrechtzuerhalten, bis der Flughafen Geld verdient.« Für ein Sondervermögen können Kredite am Haushalt vorbei aufgenommen werden, um die laufenden Haushalte zu schützen. Die Linksfraktion fordert darüber hinaus neue Soforthilfen und die nochmalige Überprüfung des »Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds«. In diesem Topf lagern noch Gelder, die zwar an Investitionen gebunden, die aber noch nicht abgeflossen sind.
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