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Die Jugend kann die Wahl entscheiden
Junge Amerikaner sind so politisiert wie schon lange nicht mehr. Sie stimmen nicht für Joe Biden ab, sondern gegen Donald Trump
Auch wenn Joe Biden in den Vorwahlen nicht der Wunschkandidat junger progressiver Wähler*innen war, ist die Wahlbeteiligung dieses Jahr besonders aufgrund von jungen, meist linken Amerikaner*innen auf einem historischen Höchststand. Nach Angaben der »New York Times« wählten schon über 90 Millionen Amerikaner*innen durch Briefwahl oder vorzeitige Stimmabgabe. Mit dem Stand 23. Oktober stimmten bereits über fünf Millionen junger Amerikaner*innen zwischen 18 und 29 Jahren ab, mittlerweile dürften es deutlich mehr sein. Mehr als drei Millionen von ihnen gaben ihre Stimme in den umstrittenen »battleground states«, also Staaten, die sehr umkämpft sind, ab - eine Wahlbeteiligung, die laut Tufts University Massachussetts diejenige von 2016 weit in den Schatten stellt. Nach einhelliger Meinung von Politbeobachter*innen könnten junge Wähler*innen die Wahl entscheiden.
Junge Amerikaner*innen sind besonders von der wirtschaftlichen Krise betroffen. Sie kämpfen mit Arbeitslosigkeit, sind für ihre Jobs oft überqualifiziert und verdienen weniger als ihre Eltern in ihrem Alter. Von der letzten Rezession kaum erholt, sind sie mit höheren Lebenshaltungskosten bei gleichzeitig stagnierenden Löhnen konfrontiert. Das alles wird durch die Covid-19-Pandemie verschärft. Ihr derzeitiger wirtschaftlicher Tiefpunkt zeigt sich vor allem in der Rekordzahl von 52 Prozent der jungen Amerikaner*innen, die derzeit bei ihren Eltern leben: eine Anzahl, die höher ist als bei der Great Depression der 1930er Jahre.
Jede Woche analysieren Max Böhnel und Moritz Wichmann im Gespräch mit Oliver Kern den US-Wahlkampf. Am 2. November um 18 Uhr schauen "Max und Moritz" in einem Live-Podcast auf die letzten Umfragen und erläutern aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte.
Bezug nehmend auf diese und verbundene Themen richtete der frühere demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders in einem Video einen Appell an junge Wähler*innen: »Diese Wahl wird eure Zukunft entscheiden. Ihr könnt es euch nicht leisten, diese Wahl zu versäumen.«
Graswurzelorganisationen wie die »Justice Democrats« und das »Sunrise Movement« versuchen die Lücke zwischen Forderungen und Versprechungen in Wahlkämpfen und politischem Aktivismus zu schließen. Sie arbeiten an Themen, die junge Amerikanerinnen direkt betreffen und weisen ein jugendliches Führungsteam auf. Das Motto der »Justice Democrats« lautet: »Lasst uns die nächste Generation wählen.« Die Gruppe unterstützte die Kongressabgeordneten des berühmten »Squads«: Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Ayanna Pressley und Rashida Tlaib - junge Frauen, die sich erst bei den parteiinternen Vorwahlen gegen alteingesessene Demokraten durchsetzten und dann bei den Zwischenwahlen 2018 gegen die republikanische Konkurrenz.
Das »Sunrise Movement« bezeichnet sich als »eine Armee von jungen Menschen«, die den Klimawandel stoppen will. Klimapolitik spielt eine besondere Rolle für junge Aktivistinnen, für die ein »Green New Deal« eine der wichtigsten Forderungen an eine künftige Biden-Regierung darstellt. Die Organisation rühmt sich, entscheidend zum Wahlerfolg des Senators von Massachusetts, Ed Markey, beigetragen zu haben. Er konnte sich ihrer Unterstützung als Mitautor des Green New Deals erfreuen und verteidigte im September seinen Sitz gegenüber seinem Herausforderer Joe Kennedy III.
Winnie Wong, eine leitende Beraterin der Bernie Sanders Kampagne 2020, sieht junge Amerikaner*innen als neuen Machtblock. Sie spricht von aufregenden Zeiten, in denen sich junge Amerikaner*innen in Rekordzahlen zu Wahlen registrieren. Ihrer Meinung nach liegt die aktuelle hohe Wahlbeteiligung daran, dass eine Generation mit einem neuen Selbstverständnis und Zugang zur Politik jetzt wahlberechtigt ist: »Mehr als 40 Millionen ›Gen-Z‹-Amerikaner*innen können bei dieser Wahl mitbestimmen.«
Wong zeigt sich von den Bemühungen der Demokratischen Partei enttäuscht, diese neue Generation von Wählerinnen für sich zu gewinnen. Ihrer Analyse nach seien es progressive und externe liberale Gruppen, die ihre Botschaften an junge Wähler*innen bringen. Dazu kommt, dass junge Menschen nicht für Biden stimmen, sondern gegen Trump und damit nicht zwingend künftig Mitglieder oder Unterstützer der Demokratischen Partei werden. Das Versäumnis der Partei liegt darin, dass sie jungen Menschen nichts bieten: kein Schuldenschnitt von Studiengebühren und keine freizugängliche Krankenversicherung. Auch, wenn sie sich von Biden nichts versprechen, realisieren sie die Gefahr, durch Trump das Wenige zu verlieren, das sie noch haben, wie die Programme »social security«, »medicare« und »medicaid«.
Junge Wähler*innen werden auch Wongs Meinung nach die Wahl entscheiden. Besondere Sorgen bereitet ihr eine aktuelle interne Umfrage des »Latino Victory Funds« aus Florida. Die Zahlen zeigen, dass dort entgegen des landesweiten Trends die Wahlbeteiligung bei allen Wähler*innengruppen (lateinamerikanische, afroamerikanische und weiße Amerikaner*innen) wesentlich niedriger ist als 2016 - ein gefährlicher Umstand für Biden, da sein Erfolg von einer hohen Wahlbeteiligung abhängt. Wong hofft auf die Jungen: Eine hohe Wahlbeteiligung junger Menschen könnte das Ergebnis in Florida eindeutig machen und damit das Schreckensszenario, indem die Wahlauszählung von Trump infrage gestellt wird, vermeiden.
Falls Biden am Dienstag die Wahl gewinnen sollte, ruft Wong junge Amerikaner*innen dazu auf, an dem politischen Prozess verstärkt teilzuhaben. Sie glaubt, Biden kann von progressiven Gruppen nach links gerückt werden, aber befürchtet gleichzeitig, dass wenn auf Biden kein politischer Druck ausgeübt wird, junge Amerikaner*innen auf der Strecke bleiben.
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