Alle zusammen gegen Imran Khan

Nachwuchspolitikerin Sania Ashiq über die neue demokratische Bewegung in Pakistan

  • Shams Ul Haq
  • Lesedauer: 6 Min.

Wie haben Sie es als Frau in dem konservativ-patriarchischen Land Pakistan geschafft, aktiv in die Politik einzusteigen?
Weder meine Familie noch ich haben einen Bezug zur Politik gehabt. Ich hatte anfangs überhaupt kein Interesse an der Politik. Allerdings habe ich mich während meines Studiums im Jahre 2012 entschlossen, für unsere Partei, PML-N (Pakistan Muslim League N) und Maryam Nawaz (Vizepräsidentin PML-N) zu arbeiten. Die vielen Gespräche mit Frau Nawaz und ihre Erfahrungen in der pakistanischen Politik haben mich bewogen, meine frühere Abneigung abzulegen und mich viel stärker in der Politik zu engagieren. Seitdem wir Frau Nawaz in leitender Position haben, sind immer mehr Frauen aufgestanden und engagieren sich aktiv in der Politik. Das gefällt natürlich nicht jedem.

Der Vorsitzende Ihrer Partei PML-N ist der frühere Premierminister Nawaz Sharif. Die jetzige Regierung von Imran Khan wirft ihm Korruption vor. Deshalb befindet er sich im Exil in England und möchte nicht mehr zurückkommen. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Unserem Parteivorsitzenden Nawaz Sharif wurden bisher nur haltlose Vorwürfe gemacht. Die Personen dahinter haben bis heute nie belastbare Beweise geliefert. Auch die Staatsanwaltschaft ist nicht dazu in der Lage, dem langjährigen Politiker Sharif nachzuweisen, dass er korrupt war oder dass er Gelder hinterzogen hat. Es ist eine funktionierende - aber sehr fragwürdige - Methode vom jetzigen Premierminister Herrn Imran Khan, einen verdienten Menschen zu diskreditieren, indem man ihm vorwirft, er habe dem eigenen Volk und Land geschadet.

Sania Ashiq
Der letzte Premierminister der PML-N, Nawaz Sharif, regierte von 2013 bis 2017. Er wurde wegen Korruption und Geldwäsche seines Amtes enthoben und ein Jahr darauf verurteilt. Sharif und der derzeitige Premierminister Imran Khan verbindet eine lange und erbitterte politische Feindschaft. Nach der Korruptionsaffäre Sharifs bekundete die PML-N, der Sania Ashiq angehört mehrfach, sich ändern zu wollen. Seit mehreren Wochen organisiert sie Massenproteste gegen die Regierung Khans und seine Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf. Das Interview mit Sania Ashiq führte für »nd« per Telefon Investigativjournalist Shams Ul Haq.

Sie haben sich mit zehn anderen Oppositionsparteien geeinigt und eine neue Demokratische Bewegung Pakistan (PDM) ins Leben gerufen. Was hat die PDM gegen die aktuelle Regierung von Premierminister Khan und seine Regierung vor?
Seit 2018 ist Imran Khan Premierminister dieses riesigen Landes. Wenn Sie jetzt auf die Straße gehen und die Bevölkerung befragen, so erhalten Sie schnell den Eindruck, dass eine überwältigende Mehrheit der Menschen mit der jetzigen Regierung unzufrieden ist. Khan scheint alle Sympathien seit 2018 verspielt zu haben. Alle oppositionellen Parteien haben ihm genug Zeit gegeben, etwas Nachhaltiges für das Land zu tun.

Handlung tut not: Die Gesundheitsversorgung ist mangelhaft, die Preise für Grundnahrungsmittel oder auch Energie steigen unaufhörlich. Die Menschen können die gestiegenen Kosten nicht mehr bezahlen. Deshalb gehen sie vereint auf die Straße und demonstrieren gegen eine sich stetig verschlechternde Lage. Wir elf oppositionellen Parteien gehen nicht für unsere Eigeninteressen auf die Straße, sondern für die Interessen aller Menschen. Und die Menschen unterschiedlichster Interessen haben sich mit uns von der PML-N und weiteren zehn Parteien zusammengetan zur PDM. Unser Ziel: Wir verbünden uns, um gemeinsam gegen die Regierung von Khan auf die Straße zu gehen. Dass immer mehr Frauen in der Politik ebenfalls aktiv mitziehen, ist dabei nur ein weiterer Aspekt. Gemeinsam haben wir Oppositionsparteien auf einer Konferenz beschlossen, uns zu verbünden. Nach dem Motto: »Gemeinsam sind wir stärker!« Denn es ist für die Menschen im Lande nicht mehr verständlich, wie mit ihnen seit Regierungsübernahme von Khan umgegangen wird. Deswegen gibt es nun diese Allparteien-Aktionen und Oppositionsführer, mit denen wir gemeinsam auf die Straße gehen.

Sie haben in verschiedenen großen Städten angefangen, Demonstrationen zu organisieren. Bereits in drei Ballungszentren in Pakistan haben Sie unter großer Anteilnahme der Bevölkerung demonstriert. Und sie werden offenbar immer mehr. Wohin soll die Bewegung führen?
Wir haben bis jetzt in Gujranwala, Karachi, und Quetta zu Kundgebungen aufgerufen. Es sind unerwartet Hunderttausende Menschen unseren Appellen gefolgt. Das macht der jetzigen Regierung Angst und das merkt man an hektischen Maßnahmen der Regierung. So kam ich nach der Kundgebung in Karachi, erst spät in der Nacht in mein Hotel, um dort zu übernachten. Am nächsten Morgen um fünf Uhr wurde der Ehemann von unserer Vizepräsidentin Maryam Nawaz (die die Demo geleitet hat, d. Red.) in seinem Hotelzimmer verhaftet. Die Festnahme ist ein klares Signal dafür, dass Imran Khan Angst bekommen hat. Angst vor einer Bevölkerungsmehrheit, die er nicht mehr auf seiner Seite weiß.

Es ist aber auch ein klares Signal an ihn gewesen, dass er nicht mehr weiter machen kann, wie bisher. Deshalb lässt er nun oppositionelle Politiker ohne Grund verhaften. Nur weil sie von ihrem Recht auf Meinungsäußerung gebrauch gemacht haben. Der Aktionismus der Regierung ist grotesk: In Quetta haben sie alle Fernsehleitungen abgestellt, damit über diese Demonstration nicht mehr berichtet werden kann. Sie haben die Funkmasten der Umgebung ausschalten lassen, damit die Teilnehmer nicht telefonieren und nicht weitere Leute mobilisieren konnten. Selbst in den Hotels der Umgebung wurde die Internetverbindung unterbrochen. Aus Angst, die Leute würden der immer mächtigeren Stimme der Oppositionsparteien folgen.

Wie ist Ihre Meinung als junge, aber immer bekannter werdende Politikerin, dass sich das pakistanische Militär in die Politik einmischt?
Ich habe als junge Politikerin dazu nichts zu sagen. Das pakistanische Grundgesetz sagt, dass das Militär in der Politik nichts zu suchen hat.

Gegen Corona hat der Staat doch viel unternommen. Deshalb hat es Pakistan nicht so schlimm wie Indien oder Brasilien getroffen. Mindestens ein positives Lob können Sie doch dem jetzigen Premierminister geben, dass er das Coronavirus einigermaßen im Griff hat, oder?
Ich glaube nicht, dass die Regierung tatsächlich Corona erfolgreich unter Kontrolle hat. Ich selber war an Corona erkrankt und ich kämpfe noch bis jetzt mit den Folgen. Der Staat gibt keine Unterstützung für Betroffene und Erkrankte. Es gibt Regeln, die von internationalen Organisationen aufgestellt worden sind. Daran hat sich Pakistan gehalten. Aber der Staat hat nichts dazu beigetragen, Corona zu bekämpfen. Doch die Bevölkerung hat sich an die Coronaregeln gehalten.

Herr Khan ist seit 2018 an der Macht. Hat er nicht einen einzigen positiven Aspekt gebracht?
Ich kann nur sagen, dass die Regierung unter Premierminister Khan nach Ansicht weiter Teile des Volkes keinerlei positive Arbeit oder Leistung für das darbende Volk gebracht hat. Selbst die früher vorhandenen Subventionen und sozialen Leistungen wurden gestoppt. Schauen Sie auf sein Wahlversprechen: Imran Khan hat in seinem Wahlkampf versprochen, dass er 50 000 Häuser für die Armen und Obdachlose wird bauen wollen. Nicht eins ist bisher fertig erstellt worden. Er hat seine Wahlkampfversprechen gebrochen. Khan und seine Regierungspartei haben vor der Wahl neue Arbeitsplätze versprochen. Auch das haben sie nicht eingehalten. Das Volk kann seine Stromrechnungen, Benzin, Gas, Brot und selbst einfachste Grundbedürfnisse nicht mehr bezahlen. Dabei sind das elementare Grundvoraussetzungen zum Leben für eine Familie in Pakistan. Selbst das bekommt der jetzige Staat nicht hin.

Was ist der Wunsch aller Oppositionsparteien gegenüber ihrem jetzigen Premierminister?
Wir möchten, dass Herr Khan seine Sachen packt und nach Hause zurückgeht. Und wir wollen, dass er sofort seinen Rücktritt unterschreibt.

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