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Trumps unterschätzte Chancen
Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl ist auch am Mittwochmorgen weiter unklar
Es wird knapp. Donald Trump hat derzeit überraschend realistische Chancen, noch einmal die Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Sein Herausforderer Joe Biden lag in allen Umfragen vorne, auf nationaler Ebene sowieso, aber auch in den wichtigen »Swing-States«. Einmal mehr stellte sich heraus: die Umfragen lagen falsch, haben Trumps Chancen zumindest deutlich unterschätzt.
Die erste gute Nachricht für Trump kam früh am Abend amerikanischer Ortszeit: Florida ging als erster Swing-State klar an den Präsidenten. Umfragen hatten eigentlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt, doch das Ergebnis war eindeutig. Entscheidend waren die Stimmen von Latinos, die in Florida traditionell konservativer sind als im Rest des Landes. Doch auch in anderen wichtigen Bundesstaaten legte Trump unter Latinos zu.
Das Biden-Lager hatte neben Florida Hoffnungen auf North Carolina und Georgia gelegt: Sollte Biden dort gewinnen, wäre ihm das Präsidentschaftsamt fast sicher gewesen. Die Umfragen waren äußerst knapp, nun scheint jedoch Trump in beiden Bundesstaaten vorne zu liegen. Damit bleibt es spannend.
+++ US-Wahl: Es bleibt ein knappes Rennen +++
Der Newsblog zur US-Wahl 2020: Auszählung könnte bis zum Freitag dauern
Die einzige positive Überraschung für Biden war bisher Arizona, wo die Demokraten überraschend stark abschnitten und wohl gewinnen werden. Jetzt kommt alles auf die »Blue Wall« an: Eine Handvoll Bundesstaaten im Mittleren Westen, die traditionell an die Demokraten gehen, 2016 aber überraschend von Trump gewonnen wurden. In Michigan und Wisconsin lag Biden in den Umfragen deutlich vor Trump. Nicht so klar war es in den angrenzenden Staaten Ohio und Pennsylvania. Ohio gilt als »Wetterfahne:« noch nie hat ein Republikaner die Präsidentschaftswahl gewonnen, ohne in Ohio zu gewinnen. Derzeit sieht es so aus, als würde Trump den Bundesstaat gewinnen. Noch wichtiger für den Wahlausgang ist womöglich Pennsylvania. Obama hatte dort zweimal gewonnen, doch 2016 ging der Staat sehr knapp an Donald Trump. Dieses Jahr war Bidens Vorsprung in den Umfragen dort vergleichbar knapp.
In den letzten Tagen vor der Wahl tourten Biden und Trump unermüdlich durch diese Bundesstaaten im Mittleren Westen. Gerade in diesen entscheidenden Bundesstaaten wird es am längsten dauern, zu einem finalen Wahlergebnis zu kommen – besonders in Pennsylvania. Das liegt an der präzendenzlosen Zahl der Frühwähler. Fast 100 Millionen Stimmen wurden schon vor der Wahl abgegeben, viele von ihnen per Briefwahl.
Genau hieran entzündeten sich Sorgen, dass Trump doch noch versuchen könnte, die Wahl zu manipulieren. Tendenziell neigen Demokraten eher zur Briefwahl. Da in einigen Bundesstaaten diese Briefwahlstimmen erst später ausgezählt werden, könnte am Wahlabend zunächst ein für Trump eher positives Ergebnis vorliegen, das im Laufe der folgenden Stunden oder sogar Tagen deutlich zugunsten Bidens revidiert werden müsste.
Laut der Nachrichtenseite Axios habe Trump geplant, sich in der Wahlnacht zum Sieger zu erklären, wenn er vorübergehend vorne liege. Trump selbst sprach davon, es sei »eine schreckliche Sache«, wenn in den Tagen nach der Wahl immer noch weiter Stimmen gezählt werden. Wahlrechtlich ist die Sache freilich eindeutig: Selbstverständlich muss jede legitim eingegangene Stimme gezählt werden, egal wie lange das dauern sollte. In jedem Bundesstaat sind die Regeln anders, in Pennsylvania zum Beispiel können noch bis zu drei Tage nach der Wahl eingetroffene Briefwahlstimmen gezählt werden.
Trump erwähnte explizit Pennsylvania als Staat, in dem er die Auszählung der Stimmen anfechten würde. Hier muss Trump unbedingt gewinnen, sonst hat er kaum Chancen auf einen Wahlsieg. Ausgerechnet in Pennsylvania fängt man aber mit der Auszählung der Briefstimmen erst an, wenn die Wahllokale schließen – es wird also sehr lang dauern, bis ein finales Ergebnis vorliegt, möglicherweise Tage. Trump könnte am Wahlabend vorne liegen, und erst Tage später könnte Biden als eigentlicher Sieger feststehen. Diese Diskrepanz könnte Trump nutzen, um die Auszählung vorzeitig zu stoppen und sich zum Sieger zu erklären. Sobald die Wahllokale in den Swing-States schließen, »schicken wir unsere Anwälte rein,« kündigte Trump direkt vor der Wahl an.
Neben der Präsidentschaftswahl fanden auch einige Wahlen um Parlamentssitze statt. Dabei haben die Demokraten ihre Mehrheit im Kongress, dem Unterhaus, verteidigt. Doch im Senat, dem Oberhaus, haben die Republikaner derzeit gute Chancen, ihre Mehrheit zu bewahren. Das würde die Möglichkeiten eines Präsidenten Biden, eine progressive Agenda durchzusetzen, deutlich einschränken. Und wie auch immer die Wahl ausgeht, eins steht jetzt schon fest: nach vier Jahren haben sich die Amerikaner nicht eindeutig gegen Trump gewendet.
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