- Politik
- Wien
Wie man aus Terror Kapital schlägt
Rechte Parteien wollen den Anschlag in Wien für ihre Propaganda nutzen.
Überall brennen Kerzen. Wenige Tage nach dem Terroranschlag in Wien ist die Straße vor der Hauptsynagoge in ein Meer aus Licht getaucht. Es ist eine kleine, steil ansteigende Gasse in einem der ältesten Teile der Innenstadt. Die Gegend ist ein beliebtes Ausgehviertel. Doch jetzt ist es still hier, Menschen gehen herum, trauern.
Nach dem Anschlag hat in Österreich nun die Debatte über Hintergründe und Verantwortliche begonnen. Im Rampenlicht steht vor allem das mutmaßliche Versagen des Inlandsgeheimdienstes, des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Slowakische Behörden hatten Österreich bereits im Juli informiert, dass der spätere Attentäter K. F. versucht hatte, in der Slowakei Munition für ein Kalaschnikow-Gewehr zu kaufen. Doch die Information blieb im BVT hängen und wurde weder an die Staatsanwaltschaft noch an die Deradikalisierungsstelle Derad weitergegeben, wo K. F. in Betreuung war. Der Dschihadist war bereits 2019 verurteilt worden, weil er versucht hatte, nach Syrien zu gelangen. Im Dezember 2019 wurde er dann mit der Auflage zur Teilnahme am Derad-Programm vorzeitig aus der Haft entlassen.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) verweist in diesen Tagen gerne auf seinen FPÖ-Amtsvorgänger Herbert Kickl. Der FPÖ-Ideologe saß in der schwarz-blauen Regierung zwischen Dezember 2017 und Mai 2019 auf diesem Posten. Doch das aktuelle Versagen fällt bereits in die Amtszeit Nehammers, und seine ÖVP kontrolliert das BVT, mit Ausnahme der kurzen Unterbrechung durch Kickl, bereits seit dem Jahr 2000. Auch unter der aktuellen schwarz-grünen Regierung beherrscht die ÖVP das Innenministerium.
Härtere Strafen, strengere Gesetze
Gleichzeitig versucht die Rechte, Kapital aus der Attacke zu schlagen. Da der spätere Attentäter vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, werden nun derartige Haftentlassungen in Frage gestellt. Nicht erwähnt wird dabei allerdings, dass K. F. bereits seit Juli in Freiheit ist. Und vorzeitige Haftentlassung zusammen mit Bewährungshilfe in der Regel die Rückfallquote eindeutig senkt.
Boulevardmedien berichten, dass die ÖVP nun die »Sicherungshaft« für sogenannte »Gefährder« auf die Agenda setzen möchte, also Gefängnis ohne konkrete Delikte. Der Punkt ist bereits im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen verankert, wobei Grünen-Chef Werner Kogler bei der Vorstellung betonte, dass eine solche Haft »verfassungskonform« sein müsse. Das allerdings ist eine wohl kaum mögliche Quadratur des Kreises. Auch die vermehrte Aberkennung von Staatsbürgerschaften wird nun verlangt. Das wollen nicht nur die Parteien der Rechten, sondern etwa auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Allerdings wurde der Attentäter K. F. in Österreich geboren und wuchs im Großraum Wien auf. Und falls es keine Doppelstaatsbürgerschaften gibt, wäre eine Aberkennung nur mittels ethnischem Ahnenpass möglich.
Boulevardmedien schießen sich einstweilen darauf ein, dass K. F. seit Juli Sozialhilfe bezogen hatte. Hier lief allerdings offenbar alles rechtlich völlig konform ab, der österreichische Staatsbürger hatte einen legitimen Rechtsanspruch.
Bei einer Sondersitzung des Nationalrats am Donnerstag nahm Ex-FPÖ-Innenminister Kickl ebenfalls die Sozialhilfeleistungen für K. F. aufs Korn. Der FPÖ-Abgeordnete Reinhard Bösch machte in erwartbarer FPÖ-Rhetorik »die unkontrollierte Zuwanderungspolitik« für das Attentat verantwortlich.
Am Donnerstagabend versuchte dann die neofaschistische »Identitäre Bewegung« einen Aufmarsch in der Wiener Innenstadt. Doch kaum 230 Rechte folgten dem Aufruf, ihre Parolen wurden am zentralen Stephansplatz von lautstarken antifaschistischen Sprechchören übertönt. Auch die geplante Route wurde von linken Aktivist*innen mit Blockaden verhindert. Schließlich marschierten die Rechten weniger als 200 Meter durch eine menschenleere Seitengasse, danach mussten sie ihre Demonstration wegen weiterer Blockaden endgültig abbrechen.
Linke Initiativen organisierten bereits am Mittwoch kurzfristig einen Schweigemarsch mit über 700 Teilnehmer*innen zum Ort des Terroranschlags. Die Spitze des Zuges bildeten Aktivist*Innen aus linken türkischen und kurdischen Organisationen. Von mehreren Redner*innen wurden die Übereinstimmungen zwischen Faschismus und Dschihadismus betont. Dschihadistischer Terrorismus, Antisemitismus, Rassismus und Faschismus, so Selma Schacht, eine der Organisator*innen des Schweigemarschs, seien gleichermaßen »Verfallserscheinungen eines Kapitalismus in permanenter Krise«. Für kommenden Montag ist eine Großdemonstration linker Organisationen angekündigt.
Auch an der Trauerstätte in der Wiener Seitenstettengasse finden sich immer wieder antifaschistische Bezüge. »Keinen Fußbreit den Faschisten« steht auf einem Zettel, der inmitten der Kerzen liegt. Kolleg*innen einer ermordeten Frau schreiben auf einer Tafel, dass sie eine Friedenskerze für die Hoffnung und die Solidarität anzünden. Nur wenige Meter weiter hängt ein Kranz vom »Bündnis antifaschistische Solidarität«. Davor steht eine kleine rote Fahne. Die drei Pfeile darauf stehen für den Kampf gegen Faschismus, Kapitalismus und reaktionäre Politik.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.