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Sie folgen dem weißen Hasen in eine neue Welt
Die Gewalt der »Querdenken«-Bewegung hat sich bereits lange angekündigt
Die Corona-Pandemie wird beinahe durchgehend seit der Einführung der ersten härteren Maßnahmen von Protesten begleitet. Nach vielen verschiedenen Selbstbezeichnungen und Formen - »Hygiene-Demonstrationen« auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz, »Querdenken« aus Stuttgart oder »Demokratischer Widerstand« - hat man sich in den Medien mittlerweile auf »Corona-Leugner*innen« als Bezeichnung geeinigt, was das gesellschaftliche Phänomen erklären soll. Diese »Querdenkenden« sollen sich seit den großen Demonstrationen im August radikalisiert haben, schreibt der anerkannte Rechtsextremismusexperte Olaf Sundermeyer auf der Website des RBB. Auch in der Politik hat man dies inzwischen wahrgenommen: Folglich forderten Grünen-Politiker*innen jüngst in Berlin, Straftaten der Corona-Leugner*innen als politische Kriminalität einzuordnen.
Damit treffen sie einen Punkt: Tatsächlich sind die großen Demonstrationen der Bewegung nur noch ein Teil des Aktionsfeldes. Ihre Gegner*innen werden mittlerweile immer wieder bedroht. Beispielsweise ist Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nach scharfer Kritik an den Protesten in ihr Fadenkreuz geraten. Ihm wurde ein Grablicht vor seinen Wohnsitz gestellt, nachdem seine private Adresse in einer einschlägigen Chatgruppe veröffentlicht wurde. Hinzu kommen immer wieder Aktionen oder Flashmobs, bei denen Aktivist*innen zum Beispiel ohne Maske in Kaufhäuser gehen und dabei aggressiv auftreten. Es ließen sich noch zahlreiche weitere Aktionen aufzählen.
Dass es einen demokratiefeindlichen und auch gewaltbereiten Kern der Proteste gibt, sollte allerdings niemanden überraschen. Schon von Beginn an konnten Rechtsextremist*innen auf den Demonstrationen offen auftreten. Allein das Meer an Reichsfahnen vor dem Berliner Brandenburger Tor ist dafür Beweis genug. Die Rechten sind offensichtlich ein willkommener Teil der Bewegung. Dass sie auch Gewalt anwenden, ist nichts Neues.
Aber auch angeblich liebe Bürger*innen von nebenan sind nicht immer ungefährlich. Sie reihen sich ein in eine antimoderne Reaktion auf die gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich im Jahr 2020 vornehmlich an der Corona-Pandemie festmachen lassen. Dass man dabei oftmals nur schwer zwischen besorgten Bürger*innen, die von ihrem Anrecht auf Protest Gebrauch machen, und gewaltbereiten Neonazis, die den Protest vereinnahmen wollen, unterscheiden kann, zeigt die Vergangenheit. Protestforscher*innen ziehen jetzt schon Parallelen zwischen den Anti-Corona-Protesten und Pegida. Es handele sich um einen ähnlichen autoritären Gestus wie bei der rassistischen Bewegung, die sich Ende 2014 gegen eine angebliche Islamisierung gründete und in Reaktion auf die Migrationsbewegungen 2015 erstarkte. In ihrer Hochzeit waren auch bei Pegida-Veranstaltungen mehrere Zehntausend Menschen auf der Straße. Zugleich gab es eine Welle von rassistischen Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, die in der Pegida-Bewegung durchaus einen Resonanzraum fand. Von dieser aufgeheizten Stimmung profitierte letztlich auch die AfD, die einen Wahlsieg nach dem anderen einfuhr. Auch hier hat also eine Radikalisierung stattgefunden.
Warum sich Corona-Leugner*innen allerdings erst jetzt aktionistisch geben, kann man nur bedingt durch eine Analyse der Pegida-Bewegung erklären. Dies lässt sich eher auf andere Faktoren zurückführen: Gegenwärtig erfährt die Corona-Pandemie eine zweite Welle, infolge der es so viele Infektionen wie noch nie gibt, was die Besorgnis in der Bevölkerung maßgeblich erhöht.
Erst Ende Oktober hat das gewerkschaftseigene Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) Ergebnisse einer Studie zum Zusammenhang von Einkommenseinbußen durch die Corona-Pandemie und Befürchtungen von Verschwörungen veröffentlicht. Das Ergebnis verwunderte nicht: Die Empfänglichkeit für solche Mythen sei bei erlittenen Verdiensteinbußen um neun Prozent höher. Da nun wieder härtere Kontaktbeschränkungen greifen, ist zu befürchten, dass sich dieser Effekt noch erhöht. Zudem ziehen sich die Proteste nun auch schon einige Monate hin. Bei einigen könnte sich das Gefühl eingeschlichen haben, dass legale Methoden keinen Effekt haben. Dies entspräche einer gängigen Begründung für eine Radikalisierung.
Auf Basis der Studie des WSI könnten nun einige Linke für eine klassenkämpferische Strategie gegen die Corona-Leugner*innen plädieren. Das mag auch eine Grundlage haben, aber den Protestler*innen sollte dabei auf keiner Ebene recht gegeben werden. Ihre Ideologie ist eine dogmatische, es wird schwer sein, sie in einer Diskussion auf Augenhöhe zu widerlegen. Schließlich folgt ihr Prozess einer Radikalisierung oftmals durch antisemitische Verschwörungsmythen. Gerade das sogenannte QAnon-Narrativ setzt hier ideologische Maßstäbe. Danach folgt man wie im Kinderbuch »Alice im Wunderland« einem weißen Hasen in eine völlig neue Welt und erkennt nun erstmals die Verschwörungen in der alten. Die Rationalität bleibt dabei auf der Strecke. Mit Gewaltausbrüchen ist bei diesem Sinneswandel allerdings durchaus zu rechnen.
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