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Pantanal in Flammen
In Brasilien findet eine menschgemachte Naturkatastrophe statt. Es besteht die Gefahr irreversibler Schäden.
Die Trockenlegung und Vernichtung von Feuchtgebieten ist nichts Neues in der Menschheitsgeschichte. Lange als »Urbarmachung« von Sumpfgebieten gepriesen, zeigen sich inzwischen die Schattenseiten dieser Entwicklung. Zuletzt wurde in den 1980er Jahren die Oase Azraq, eines der größten Feuchtgebiete des nahen und mittleren Ostens Opfer dieser Praxis. Die jordanische Regierung hatte diesem einstigen Zugvogel- und Wasserbüffelparadies das Wasser abgegraben. Unachtsam gelegte Feuer fraßen sich daraufhin jahrelang durch die trockengelegten Torfschichten und vernichteten diese von saisonalen Überschwemmungen abhängige Seen- und Sumpflandschaft bis auf einen kümmerlichen Rest. Das gleiche droht nun dem Pantanal in Brasilien, einem Unesco-Schutzgebiet und Tierparadies ohnegleichen.
Seit zehn Monaten brennt es wie noch nie in diesem zwischen Paraguay, Bolivien und Brasilien aufgeteilten größten tropischen Feuchtgebiet der Erde. Das für die Umweltüberwachung per Satellit in Brasilien zuständige Weltraumforschungsinstitut INPE zählte bis zum 1. November bereits 21 200 Brandherde im Pantanal. Fast doppelt so viele wie 2005, dem bis dahin schlimmsten Feuerjahr in der Region. Die Flammen verschlangen dabei in diesem Jahr bereits eine Fläche von 4,1 Millionen Hektar, rund 30 Prozent des brasilianischen Pantanals, so die Zahlen des Labors für Umweltüberwachung der Bundesuniversität von Rio de Janeiro (Lasa-UFRJ).
Torffeuer brennen unterirdisch
Schon vor Wochen riefen die betroffenen Landesregierungen von Mato Grosso und Mato Grosso do Sul Katastrophenalarm aus. Doch weder die aus allen Landesteilen herbeigerufenen Feuerwehrleute noch Militär und freiwillige Helfer konnten bislang die Brände unter Kontrolle halten. Was noch schlimmer ist: Inzwischen hat auch der Boden in Teilen des von jahreszeitlich bedingten Überschwemmungen abhängigen Pantanals Feuer gefangen. Die durch mangelnden Regen und zu niedrige Wasserstände der Zuflüsse ausgetrockneten Torfschichten brennen wie Zunder. Diese sich unterirdisch weiter fressenden Feuer sind praktisch kaum zu löschen und setzen große Mengen an Kohlendioxid (CO2) frei.
Es reiche nicht, die sichtbaren Torfbrände zu löschen, erläutert einer der im Pantanal eingesetzten Feuerwehrmänner einem Fernsehteam. Das Feuer setze sich unterirdisch fort, bis es an einer anderen Stelle wieder die Oberfläche erreicht und dort die Vegetation in Brand setze.
Die für seine reichhaltige Tierwelt und große Jaguar-Population berühmte Pantanalebene erlebt eine der seit Jahrzehnten schlimmsten Dürren mit dem seit 47 Jahren niedrigsten Wasserstand seines Hauptzuflusses, des Río Paraguay. Doch die Naturtragödie im Westen Brasiliens ist hausgemacht.
Vier sich gegenseitig verstärkende Veränderungen in der Region haben nach Meinung von Wissenschaftlern die diesjährige Katastrophe ausgelöst: Zunehmende Rinderhaltung, Ausbreitung des Sojaanbaus, Wasserkraftwerke und Staudämme an den Zuflüssen sowie veränderte Regenfälle infolge des Klimawandels.
»Alle Brände während der Trockenzeit wurden von Menschenhand gelegt«, sagt Bráulio Dias, Professor für Ökologie an der Universität von Brasília. Klimaforscher Carlos Nobre von der Universität São Paulo sieht dies ebenso. »Die Feuer sind alle menschlichen Ursprungs. Gelegt von Landwirten und Viehzüchtern.«
Tatsächlich ist das Pantanal seit Jahren Schauplatz eines staatlich geförderten Strukturwandels ohne Rücksicht auf die natürliche Vegetation. »Die Änderungen in der Rinderhaltung im Pantanal sind die Hauptursache der Entwaldung der Region«, stellte im vergangenen Jahr Elton Antônio Silveira vom Umweltministerium des Bundesstaats Mato Grosso fest.
Seit mehr als 250 Jahren wird im Pantanal nachhaltige, extensive, die natürliche Vegetation nutzende Viehzucht betrieben. Dabei entstand aus der Kreuzung von elf alten Rinderrassen aus Portugal und Spanien das robuste, an die tropische Überschwemmungslandschaft angepasste Pantaneiro-Rind. Doch diese Form der Fleischproduktion gilt nicht mehr als zeitgemäß. Heutige Rinderrassen brauchen anderes Futter - die natürliche Vegetation muss weg!
Eine neue Generation von Agraringenieuren sowie Agrarkonzerne, die große Flächen aufkaufen, übernehmen traditionelle Rinderfarmen, fackeln die Naturflächen ab und ersetzen das Pantaneiro-Rind mit Zebu-Rindern, die auf afrikanische Grasmonokulturen optimiert sind. Laut dem Forschungsnetzwerk MapBiomos nahm die Fläche der Rinderweiden im brasilianischen Pantanal seit 1985 von rund 660 000 Hektar auf über 2,3 Millionen Hektar im vergangenen Jahr zu.
Weitere Ursache ist das Voranschreiten der Sojaplantagen, die inzwischen weite Gebiete am Rand des Pantanals übernommen haben. Von 2009 bis 2016 verdoppelte sich hier die Sojaanbaufläche von 300 000 auf rund 600 000 Hektar, so die Zahlen des Umweltinstituts SOS Pantanal, das die Soja-Expansion als die größte Bedrohung für das Feuchtgebiet ansieht. Der Sojaanbau - egal ob mit oder ohne genetisch veränderte Sorten - dränge nicht nur Rinderfarmer zur Abholzung neuer Flächen, sondern belaste auch die Gewässer mit Pestiziden und Dünger. Einen weiteren negativen Einfluss auf das Pantanal hat die Abholzung des Cerrado auf dem zentralbrasilianischen Hochplateau, wo die Wasserquellen liegen. Auch dort ist die Ausbreitung der Soja-Monokulturen die Ursache.
»Die Flüsse, die in das Pantanal münden, werden im Cerrado geboren«, erläutert der Geograf Marcos Reis Rosa. Durch Abholzung im Cerrado verliere der Boden seinen Schutz, was die Flüsse verschlammen und flacher werden lässt.
Die dritte Ursche der Misere sind Staudämme, die dem Feuchtgebiet zunehmend den Wasserhahn zudrehen. Laut Wasserressourcenplan der hydrografischen Region Río Paraguay sind bereits insgesamt 47 kleinere und größere Wasserkraftwerke im Wassereinzugsgebiet in Betrieb. Elf Kraftwerke sind im Bau und weitere rund 120 in der Projektphase.
Doch dies alles hängt letztlich vom Regen ab, und dieser vom Amazonasregenwald, dessen Abholzung vor allem in Südamazonien bereits drastische Folgen zeigt. »Die verringerten Waldflächen im Süden Amazoniens lassen weniger Wasser verdunsten«, erläutert Klimaforscher Carlos Nobre. »In den trockenen Monaten, hauptsächlich im Juli, August und September, ist die Temperatur im Süden des Amazonas heute bis zu drei Grad höher als in den 1980er Jahren.« Deshalb kommen aus Amazonien im Pantanal heißere und trockenere Luftströme aus Amazonien an. Die extreme Dürre von heute werde, so Nobre, das »neue Normal« sein.
Dürre als das »neue Normal«
Dabei scheint auch der globale Klimawandel ein Faktor zu sein. Eine Studie der Staatlichen Universität von Mato Grosso (Unemat) zeigt, dass das Wasservolumen des Río Paraguay Jahr für Jahr mehr und mehr abnimmt. Studienleiter Ernandes Oliveira Júnior hält das eine Folge der globalen Erwärmung.
Bereits 2015 warnte der Geograf Aguinaldo Silva von der staatlichen Universität von Mato Grosso do Sul (UFMS) in Corumbá vor den möglicherweise katastrophalen Folgen des Klimawandels für das Pantanal. Ein internationales Forscherteam unter seiner Leitung hatte über Jahre die Umweltveränderungen in dem Feuchtgebiet untersucht. »Wir können mit einiger Zuversicht sagen«, so Silva, »dass sich das globale Klima ändert und die Temperaturen wärmer werden. Dies kann dramatische Folgen für den Wasserkreislauf des Pantanals haben und die jährlichen Hochwasser des Río Paraguay verändern.«
Schließlich schwebt noch ein weiteres Damoklesschwert über der Region: Die Fortsetzung des Ausbaus des Río Paraguay, der »Schlagader« des Pantanals, zur Wasserstraße, um den Abtransport der Soja-Ernte durch große Frachtschiffe zu ermöglichen. Die geplanten Flussbegradigungen und das Ausbaggern des Flussbettes werde laut Umweltexperten den Wasserabfluss beschleunigen und damit die für das Feuchtgebiet überlebenswichtigen jahreszeitlichen Überschwemmungen nachteilig beeinflussen.
Wird dieser einseitig auf Fleisch- und Soja-Exporte ausgerichteten Entwicklung kein Einhalt geboten, droht dem Pantanal das gleiche traurige Schicksal wie der Oase Azraq - er wird trockengelegt.
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