»Lukaschenkos Rache« an der IT-Branche

Alexandra Dikan über den Wandel des strategischen Sektors von Belarus zu einem politischen Faktor

  • Ekaterina Venkina
  • Lesedauer: 4 Min.

Bis vor Kurzem wurde Belarus als das Silicon Valley Osteuropas bezeichnet. Der Machthaber Alexander Lukaschenko prahlte, er habe »ein Paradies« für IT-Leute geschaffen. Richtig so?

Schwer zu sagen, inwieweit es wirklich »ein Paradies« war. Im Großen und Ganzen waren die Arbeitsbedingungen dort bis vor Kurzem jedoch recht gut. Die Vereinfachung des Steuersystems hat den Sektor aus dem Schatten geholt. Die Unternehmen haben begonnen, Nettolöhne zu zahlen. Zahlungen unter der Hand, wie sie vor fünf bis zehn Jahren florierten, waren verschwunden.

Alexandra Dikan
ist Gründerin und ehemalige Direktorin des Zentrums für die Förderung der Frauenrechte (»Ihre Rechte«) und Ehefrau des inhaftierten IT-Managers von PandaDoc, Wiktor Kuwschinow. PandaDoc ist ein US-amerikanisches Softwareunternehmen mit Sitz in San Francisco. Es wurde von dem gebürtigen Minsker Mikita Mikado gegründet. Über das Verhältnis des IT-Sektors in Belarus zum umstrittenen Präsidenten Alexander Lukaschenko sprach mit Dikan für »nd« Ekaterina Venkina.

Gab es andere Faktoren, die zu den positiven Entwicklungen beigetragen haben?

Viele junge Menschen haben festgestellt, dass diese Branche frei ist und nicht unter Lukaschenkos Kontrolle. Eigentlich wusste er nicht, wie er es privatisieren sollte, und so begann es sich von selbst zu entwickeln. Lukaschenko griff nicht viel ein, weil er nicht wirklich verstand, wie der IT-Sektor funktioniert. Außerdem kamen einige Gesetze hinzu, die zur Entwicklung des Unternehmergeistes beitrugen.

Mit dem Ausbruch der Proteste Anfang August kam es zu einer wichtigen Entwicklung: Mikita Mikado, der in Kalifornien lebende IT-Mogul aus Minsk, kündigte an, dass er rücktrittswillige belarussische Polizisten finanziell unterstützen werde. Warum hat er plötzlich die Rolle eines politischen Aktivisten übernommen?

Dazu sollte der Gründer von PandaDoc (ein US-amerikanisches Softwareunternehmen, d. Red.) sich lieber selbst äußern. Viele Menschen mit belarussischen Wurzeln haben im Ausland große Solidarität mit den Demonstranten gezeigt. Dies ist ein natürlicher Wunsch von Menschen, die etwas erreicht haben, ihre Grundbedürfnisse befriedigt haben und jetzt etwas Nützliches für die Gesellschaft tun wollen. Jeder, der gegen das Regime ist, hat versucht zu handeln. Mikita beschloss, auf diese Weise seinen Beitrag zu leisten.

Kurz darauf wurden vier Top-Manager der Minsker Filiale von PandaDoc, darunter Ihr Ehemann Wiktor Kuwschinow, in U-Haft genommen. Glauben Sie nicht, dass diese Initiative von Mikado sie - zumindest indirekt - in Gefahr gebracht hat?

Bis zu einem gewissen Grad haben wir das Risiko gespürt. Was uns damals jedoch nicht ganz klar war: wie rachsüchtig diese Leute sind, die an der Macht sind. Mein Ehemann ist nicht wegen Mikita, sondern wegen des Regimes in Haft gelandet. Die Entwicklungen rund um die Strafverfolgungsbeamten sind in Belarus ein sehr sensibles Thema. Wir dachten, wir müssten das Land vielleicht für eine Weile verlassen (Alexandra Dikan und ihr Sohn befinden sich seit September in Kiew, d. Red.). Wir haben aber nicht damit gerechnet, dass das Strafverfahren bereits am 2. September eröffnet wird. Wir schienen bei den Machthabern einen Nerv getroffen zu haben.

Alle vier Top-Manager wurden wegen Betrugs »in besonders großem Umfang oder durch eine organisierte Gruppe« angeklagt. Was bedeutet das ganz konkret?

Ihnen wird vorgeworfen, die alte Büroausstattung fälschlicherweise abgeschrieben zu haben und angeblich rund 40 000 US-Dollar (33 874 Euro) an Steuern nicht bezahlt zu haben. Das ist doch absurd. Mehr dazu kann ich aber nicht sagen. Ich kenne die Einzelheiten nicht, da die Anwälte eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterzeichnet haben.

Sie wurden nicht eingehend informiert. Warum sind Sie dann der Meinung, Ihr Mann sei unschuldig?

Mein Mann ist Produktdirektor. Er hat mit den buchhalterischen, administrativen Aufgaben des Unternehmens absolut nichts zu tun. Er entwickelt die Apps, arbeitet mit Produktmanagern, mit Programmierern. Sein Fall ist politisch motiviert. Es geht um Rache, und zwar auf Lukaschenkos Befehl: Mikitas Geschäft und seine Mitarbeiter waren betroffen. Die belarussische Menschenrechtorganisation »Wjasna« betrachtet sie übrigens alle als politische Gefangene.

Drei der vier Verdächtigen wurden inzwischen im Oktober unter Auflagen freigelassen, Ihr Mann jedoch nicht. Warum nicht?

In solchen Fällen muss jemand »als Geisel« in Haft bleiben. Das sind die Methoden der belarussischen Sicherheitsdienste. Inzwischen haben sie ihr Ziel erreicht: Mikita hat seine Initiative aufgegeben.

Wie sehen Sie die Zukunft der Proteste? Könnte die IT-Branche doch das Zünglein an der Waage werden?

Nein, das glaube ich nicht. Der Sektor ist klein. Die entscheidende Rolle muss jedoch das belarussische Volk als Ganzes spielen.

Devisenbringer Informationstechnologie

2005 wurde in Belarus ein Hochtechnologiepark (HTP) eingerichtet, dessen Hauptziel darin bestand, zur Entwicklung im IT-Sektor beizutragen. Gleichzeitig wurde dort ein Sondersteuersystem eingeführt. In HTP ansässige Unternehmen waren von der Körperschaftsteuer befreit. Ihre Mitarbeiter zahlten eine Einkommenssteuer von neun Prozent statt 13 Prozent. Die Beiträge an den Sozialversicherungsfonds basierten auf dem nationalen Durchschnittsgehalt und nicht auf dem tatsächlichen Gehalt. 2019 überschritten die Exporte der Unternehmen in HTP 2 Milliarden US-Dollar (1 689 902 Euro). kate

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.