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Albtraum
DER KHAN-REPORT: Sind die Unterlagen komplett?
Viele Menschen wie ich, also »Ausländer*innen« oder Geflüchtete, Asylsuchende, Geduldete, Arbeitssuchende, arme Menschen, von (ehemals) Sozialhilfe Abhängige - wir entwickeln eine Angst vor Behördengängen, die oft mit der ersten Begegnung auf dem Amt, mit unserer Sachbearbeiter*in (oder dem Sicherheitspersonal) machen, beginnt. Ich glaube, jeder Mensch, der schon einmal im Leben beim Jobcenter oder Sozialamt war, kennt dieses Gefühl: schwitzige Hände, Sprechen fällt schwer, das Herz rast. Zu groß ist die Angst vor Amtswillkür und Schikane, denen man immer wieder ausgesetzt ist.
Januar 2020. Noch kein Corona weit und breit (zumindest in Deutschland). Ich soll zum Standesamt. Hoffentlich ist meine Sachbearbeiterin, Frau Schmitt mit Doppel-t, nett. Ihr Schreiben klang sehr neutral und unpersönlich. Die obligatorische Grußformel durfte nicht fehlen. »Mit freundlichen Grüßen, Frau Schmitt. Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und bedarf keiner Unterschrift«.
Rückblick in die 90er Jahre in Hamburg. Mein Vater will, dass ich mich schick anziehe. Heute geht es ins Bieberhaus, so hieß die Ausländerbehörde am Hauptbahnhof nämlich. Meine Großeltern haben einen Termin bei der Ausländerbehörde. Meine Eltern müssen zur Arbeit und können sie nicht begleiten. Ich gehe noch zur Grundschule. So lerne ich früh, die Kommunikation zwischen Großeltern, Onkeln und Tanten, entfernten Verwandten und anderen Bekannten aus der Community und allen möglichen Behörden zu übernehmen. »Sehr geehrte Damen und Herren« ist der meistgeschriebene Satz meines Lebens. Auf einem Elternabend sagt meine Lehrerin meinen Eltern, dass ich ein Sprachtalent sei. Dass ich mit neun Jahren schon Briefverkehr mit Anwälten und Behörden hatte, erwähnen meine Eltern nicht.
Zurück nach 2020: Ohne Termin geht jetzt wegen Corona nichts mehr. Ich habe einen Termin mit Frau Schmitt vereinbart. Sie hakt eine Liste ab. Sie fragt nach dem Original eines PDF-Dokumentes, das ich extra für sie ausgedruckt habe. Ich erkläre ihr, dass es ein Online-Dokument ist. Sie steht auf, macht zwei Kopien, um mir das »Original« zurückzugeben. Dann fällt ihr Blick auf eine dreisprachige Urkunde. »Übersetzung?« fragt sie mich. Ich weise sie darauf hin, dass eine der Sprachen Deutsch ist. Sie macht vorsichtshalber zwei Kopien, um die Problematik mit ihrem Vorgesetzten zu klären.
So ein Besuch beim Amt muss gut vorbereitet sein: Wo ist das Schreiben mit der Einladung? Sind die Unterlagen komplett? Wer geht alles mit? Muss eine Änderung mitgeteilt werden?
Worauf man sich nie vorbereiten kann, ist die Schikane und Diskriminierung, die man als Frau, migrantische Person, geflüchteter, behinderter, queerer oder armer Mensch auf dem Amt erfährt. »Schikane von Amts wegen? So etwas gibt es nicht. Nicht in Deutschland. Wo denken Sie hin?«
Doch die Realität sieht anders aus. Sprachbarrieren sind das eine. Das andere ist die überhebliche und arrogante Art, auf die viele Angestellte in Behörden mit den Menschen sprechen, die ihnen gegenüber sitzen. Und Macht. Wenn Fragen nicht beantwortet werden, Anträge verschwinden, Unterlagen verlegt werden oder Menschen unter Druck gezwungen werden, Formulare zu unterschreiben, die sie nicht verstehen, dann geschieht dies, weil es einen Menschen gibt, der Macht über andere Menschen hat. Oft hängt viel zu viel von der Laune und Mitarbeit der zuständigen Sachbearbeiter*innen ab. Dabei geht es um lebensnotwendige Dinge, wie etwa Grundsicherung, den Zuschuss für eine Klassenfahrt, oder um die Frage, ob jemand abgeschoben werden soll. Denn deutsche Behördenstrukturen sind nicht nur diskriminierend, sie beschäftigen oft Menschen, die eine Autorität und Hierarchie befürwortende Grundhaltung in sich tragen. Erst mit Mitte 20, also viel zu spät, fand ich einen Begriff für das, was ich erlebt und gesehen, aber nie als System verstanden hatte: Institutioneller Rassismus. Bis heute weiß ich, dass darüber kaum eine öffentliche Debatte möglich ist.
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hat die Schikane auf dem Amt kaum abgenommen. Nach wie vor braucht es zivilgesellschaftliche Organisationen und Privatpersonen, die ehrenamtlich Menschen zu Behörden-, Amts- oder Gerichtsterminen begleiten.
Sehr geehrte Damen und Herren, ein Tipp: Etwas Kopfschmerzen und Stress erspart sich, wer früh genug den Satz »Da muss ich meinen Fachanwalt konsultieren« lernt.
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