- Politik
- Transgender Day of Remembrance
»Sicher leben können wir auch hier nicht«
Gabriel_Nox Koenig vom Bundesverband Trans* über Transfeindlichkeit und das neue Selbstbestimmungsgesetz
Heute ist Gedenktag für Transpersonen. Worum geht es dabei?
Wir erinnern heute an trans, nicht-binäre und gender-nichtkonforme Personen, die aufgrund von Transfeindlichkeit ermordet wurden. Initiiert wurde der Tag am 20. November 1999 von Gwendolyn Ann Smith, weil die Polizei im Fall der ein Jahr zuvor ermordeten trans Frau Rita Hester – wie so oft – nicht wirklich ermittelt hatte.
Und wie vieler Transpersonen wird in diesem Jahr gedacht?
Die Menschenrechtsorganisation Transgender Europe (TGEU) hat in den 192 teilnehmenden Ländern insgesamt 350 Morde erfasst. Die überwiegende Mehrheit waren Transfrauen oder transfeminine Personen, die Schwarz, indigen oder of Colour waren. Viele der Getöteten hatten eine Migrationsgeschichte, viele waren Sexarbeiter*innen. Transfeindlichkeit, Rassismus und Sexarbeiter*innen-Feindlichkeit zeigen sich in Statistiken immer wieder als eine der tödlichsten Mischungen. Im Durchschnitt waren die Getöteten zum Zeitpunkt ihres Todes 31 Jahre alt, die jüngste Person war 15.
350 Personen. Das sind ganz schön viele …
Ja. Dabei hat die Zahl ihre Tücken: Viele Leute werden nämlich gar nicht mitgezählt. Etwa weil sie ihren Personenstand noch nicht geändert haben. Dann wird gar nicht bekannt, dass das eine Transperson war. In Deutschland wurde laut der Statistik im vergangenen Jahr keine Transperson ermordet. Und dennoch: Sicher leben können wir auch hier nicht. Deshalb trauern wir heute auch um Personen, die durch weniger greifbare Gewalt ihr Leben verloren haben, zum Beispiel durch Diskriminierung in Familie, Freund*innenkreis, im öffentlichen Raum, auf der Arbeit oder im Gesundheitswesen.
Wie sieht die Diskriminierung konkret aus?
Bei vielen stimmen zum Beispiel das Foto und der Name auf der Krankenkassenkarte nicht mehr mit dem Aussehen überein. Es gibt immer wieder Leute, denen Krankenkassenbetrug vorgeworfen wird. Viele Transpersonen leben mit Ausweisdokumenten, die nicht zu ihnen passen, weil die Änderungsverfahren in Deutschland so kompliziert und teuer sind.
Warum?
Das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG), das seit 1981 besteht, sieht ein Verfahren vor dem Amtsgericht vor, das sechs bis zwanzig Monate dauert und für das zwei sogenannte Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen: Transpersonen müssen also ihre Geschlechtsidentität beweisen, was von außen nicht nachweisbar ist. Dafür müssen sie sich pathologisieren, also ihre Transgeschlechtlichkeit als Krankheit bewerten lassen. Das ist oft ein sehr demütigender Prozess. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen viele Paragrafen des TSG für verfassungswidrig erklärt: Etwa, dass sich Transpersonen für eine Personenstandsänderung bis 2008 scheiden und bis 2011 sterilisieren lassen mussten. Inzwischen können Transpersonen zwar eigene Kinder bekommen. Weil Transmänner aber als Mütter und Transfrauen als Väter unter ihren alten Vornamen eingetragen werden, können sie mit den Geburtsurkunden ihrer Kinder, letztlich nicht beweisen, dass sie die Eltern sind.
Und was macht die Politik?
Die Grünen haben im Juni einen Antrag für ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz eingebracht, dass das TSG ersetzen und Personenstands- und Vornamensänderung bürokratiearm und hürdenlos per Selbsterklärung ermöglichen soll. Ein paar Tage später reichte auch die FDP einen ähnlichen Entwurf ein. Beides wurde zusammen mit einem Antrag der Linken auf Entschädigung für zwangssterilisierte Personen im Bundestag diskutiert. Anfang November gab es dazu auch eine Anhörung im Innenausschuss.
Es passiert also langsam etwas. Wie ist die Situation während der Corona-Pandemie?
Viele Transpersonen sind unter ihrer Qualifikation angestellt, prekär beschäftigt oder selbstständig und deshalb stärker von einem Lockdown betroffen. Wird über die Maßnahmen diskutiert, werden häufig auch bestimmte Annahmen darüber getroffen, wie Menschen leben. Zu queeren Lebensentwürfen passt das nicht immer. Was bedeutet es beispielsweise für Leute, die polyamor sind, also mehr als eine Liebesbeziehung haben, oder in einem Geflecht aus Wahlfamilie leben, wenn sich nur ein Haushalt treffen darf? Oft geht es in den Diskussionen auch darum, was lebensnotwendig ist und worauf man für eine Weile verzichten kann. Viele Dinge, die für Queers wichtig sind, werden dann als Luxus abgetan.
Wie meinen Sie das?
Bars, Kneipen und Partys sind für queere Personen auch Schutz- und Rückzugsräume: Oft sind das nämlich die einzigen Orte, an denen sie sie selbst sein können. Das ist als Entlastung von Alltagsdiskriminierung wichtig, besonders wenn man in einem homo- oder transfeindlichen Umfeld lebt. Daneben werden gerade viele Operationen verschoben, auch von Transpersonen. Es stimmt, dass diese OPs planbar sind, aber das heißt nicht, dass sie nicht lebensnotwendig sind. Mit dem derzeitigen Verfahren haben sie mehrere Jahre Vorlauf. Hinzu kommt, dass jetzt auch der Schutzraum Selbsthilfegruppe wegfällt.
Apropos Schutzraum. Oft wird behauptet, dass Transrechte Frauenrechte gefährden.
Transpersonen sind häufig noch massiver von Diskriminierung und Gewalt betroffen als Cisfrauen. Das heißt natürlich nicht, dass Cisfrauen gleichberechtigt sind oder keine Diskriminierung oder Gewalt mehr erfahren. Der Transbewegung geht es lediglich darum zu sagen: Hier ist noch eine Gruppe, die Unterstützung braucht. Hier ist noch eine Gruppe, die Rechte und Schutzräume braucht. Es ging nie darum, verschiedene Personengruppen gegeneinander auszuspielen. Das ist ein riesiges Missverständnis und eine Diskussion, die gerade von rechter Seite immer wieder instrumentalisiert wird, um Transpersonen Rechte zu verweigern. Und außerdem: Kein Cismann, der übergriffig sein will, braucht dafür ein Frauenkleid oder eine Personenstandsänderung. Er kann das in unserer patriarchalen Gesellschaft auch einfach so tun. Diese Bedrohung auf eine marginalisierte Gruppe zu imaginieren ist absurd.
Und was hoffen Sie für die Zukunft?
Dass das Narrativ über Transpersonen nicht mehr nur auf Leid, Gewalt und Diskriminierung fokussiert. Eltern wollen nicht, dass ihr Kind queer wird, weil sie sich Sorgen machen. Was dabei aber nicht vorkommt, ist, dass wir auch glückliche Leben führen – eben unter marginalisierten Bedingungen. Die logische Schlussfolgerung wäre doch eigentlich, diese Welt so zu verändern, dass sich Eltern keine Sorgen mehr um ihre LSBTI-Kinder machen müssen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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