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»Hey, ich bin Leonard, ich nehme dich jetzt mit in mein Leben«
Der Filmstudent Leonard Grobien podcasted und bespielt einen eigenen Youtube-Kanal. Darin zeigt er: Er ist nicht so anders, wie manche glauben
Im Innenhof der internationalen Filmhochschule (ifS) in Köln-Mülheim führt ein schmaler geteerter Pfad über das alte Kopfsteinpflaster. Als Leonard Grobien vor etwa eineinhalb Jahren sein Studium an der Hochschule aufnahm, gab es diesen noch nicht. Er selbst hat sich für den Weg eingesetzt, damit er im Rollstuhl besser über das Gelände kommt. In dem großen, alten Industriekomplex gibt es viele Stufen und langsame, häufig defekte Fahrstühle. Für Grobien ist die Uni trotzdem barrierefrei, denn er kommt überall hin, auch wenn seine Kommiliton*innen ihn mal die Treppen hochtragen müssen.
Sie sind gerade von einer zweiwöchigen Reise aus Dresden zurückgekehrt. Was haben Sie dort gemacht?
Leonard Grobien wurde mit der Glasknochenkrankheit geboren. Im medizinischen Sinne sei er krank, so fühle er sich aber nicht, sagt er. Witze über Behinderung findet er, je nach Situation, Kontext und Intention, nicht nur okay, sondern notwendig. Insgesamt werde das Thema gesellschaftlich zu sehr mit Samthandschuhen angegangen. Das trage dazu bei, Barrieren zu manifestieren, anstatt sie abzubauen. Darüber redet er auf Youtube (@typitus) und im Podcast Ameleo. Im Interview erzählt er, warum es für ihn trotz Rolli keine Barrieren oder Grenzen gibt.
Ich hatte meinen zweiten bezahlten Job. Das Hygiene-Museum hat mich für ein Videoprojekt als Teil einer Ausstellung über Sexualität engagiert. Ich habe vor der Kamera Interviews mit Paaren geführt, die recht divers gecastet wurden. Unter anderem war ein homosexuelles Paar dabei, zwei Menschen mit Behinderung und eine Dreierbeziehung.
Und Sie als Interviewer, damit es noch diverser ist?
In der Anfrage hatten sie es so formuliert, dass ihnen gefällt, wie ich Lockerheit in ernste Themen bringe. Ich habe später aus Interesse noch mal nachgehakt, ob die Entscheidung für mich auch was mit dem »inklusiven Bild« zu tun hat, welches ich ja zwangsläufig vor der Kamera vermittle. Heraus kam, dass das schon eine Rolle gespielt hat.
Hat Sie das im Nachhinein gestört?
Das klingt jetzt so, als ob ich sehr von mir selbst überzeugt bin, aber ich weiß: Sie hätten nicht gefragt, wenn ich schlechte Interviews führen würde. Meine Behinderung war nicht das erste Kriterium, sondern das, was ich vor der Kamera veranstalte. Das ist ein gutes Zusammenspiel von beidem. Mir ist es wichtig, die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung zu erhöhen.
Wie schlimm steht es Ihrer Meinung nach um diese Sichtbarkeit in den Medien?
Da besteht definitiv eine starke Unterrepräsentation. Und auch die Geschichten über Menschen mit Behinderungen sind immer gleich, sehr Klischee und Happyend vorbelastet. Eigentlich gibt es fast nur »Ziemlich beste Freunde« in verschiedenen Versionen. Der Behinderte ist anfangs ernst und verbittert, das wird dann von einem Nicht-Behinderten aufgelöst. Insgesamt stört mich in Filmen die extreme Vorsicht und die Angst, dass dem behinderten Menschen etwas nicht politisch Korrektes widerfahren könnte oder gesagt wird. Das ist totaler Bullshit.
Warum? Weil es nicht die Realität abbildet?
Genau. Und das überträgt sich auf das echte Leben. Wenn nur dieses eine mediale Bild vermittelt wird, führt das dazu, dass sich Menschen, die jemandem mit einer Behinderung gegenüber sitzen, total angespannt und verkrampft verhalten. Und wenn du Angst hast, was Falsches zu sagen und nicht lachen kannst, wenn jemand einen Witz über sich selbst beziehungsweise über seine Behinderung macht, dann macht das alles echt schlimm und voller Fettnäpfchen. Und diese Fettnäpfchen existieren nur, weil du als Gegenüber sie dahin setzt. Weil du sie in deiner Illusion erschaffst. Wenn du locker, entspannt, offen und tolerant bist, dann passiert so was nicht. Ich wiederhole immer wieder, dass sich da was ändern muss, und dass sich etwas geändert hat, werde ich erst glauben, wenn ich es in meinen eigenen Filmen sehe.
Sie haben bereits ein paar Kurzfilme gemacht und bei Youtube veröffentlicht. Einer davon trägt den Titel »Glasknochen«. Was ist Ihr nächstes großes Ziel?
Ich will einen eigenen Film ins Kino bringen und schreibe schon am Drehbuch, in dem ich sehr autobiografisch meine eigene Geschichte erzähle. Also eine längere Version von »Glasknochen«. Meine Behinderung will ich im Film so gut es geht weginszenieren. Die Kamera soll die meiste Zeit auf den Menschen oberhalb des Rollstuhls gerichtet sein. Nur in Szenen, wo es tatsächlich auf die Behinderung ankommt, würde man sie auch ansprechen. Denn wahrscheinlich wäre ich ohne die Behinderung nicht der Mensch, der Charakter, der ich jetzt bin. Wahrscheinlich hätte ich gewisse Fähigkeiten nicht, die ich durch diese Behinderung bekommen habe. Nach dem Film will ich nie wieder von mir selbst reden, sondern mich auf andere Themen fokussieren wie Naturschutz, Diversität und Gleichberechtigung.
Was fasziniert Sie am Medium Film?
Für mich ist es das Medium, das die größte Kraft hat. Fotografie, Musik, Drama - es vereint einfach alle Künste. Sozusagen die Superpower unter den Medien. Ins Kino gehen ist einfach das ultimative Erlebnis, eine Geschichte vermittelt zu bekommen. Ich glaube, damit kann man Menschen am stärksten berühren.
Wie stehen die Chancen für Menschen mit Behinderung, beim Film Karriere zu machen, und wie barrierefrei schätzen Sie die Branche ein?
Die Branche ist extrem anpassungsfähig und flexibel. Es ist nie alles planbar, es kommen immer Probleme vor Ort auf, die direkt gelöst werden müssen. Jedes Set ist anders und unterschiedlich barrierefrei. Wenn wir am Strand drehen, im Wasser oder auf einem Berg, dann brauche ich natürlich Hilfe bei jedem Meter. Aber da gibt es eigentlich keine Grenzen. Wenn da eine Kamera hinkommt oder ein Dolly, also ein Wagen für Kamerafahrten, dann kommt da auch ein Rolli hin, vor allem, wenn der Regisseur drinsitzt.
Die größten Barrieren bestehen meiner Meinung nach immer noch in den Köpfen. Zum einen in den Köpfen der Betroffenen, die sich selbst Sachen nicht zutrauen und nicht mutig genug sind, Dinge auszuprobieren. Zum anderen in den Köpfen anderer Leute, die Menschen mit Behinderungen anders behandeln. Unterm Strich kann man aber festhalten: Die Branche ist für jeden hart. Wer sich einen Namen machen will, muss sich durchkämpfen. Eine Behinderung macht es nicht unbedingt leichter. Ich glaube, ich nutze meine aber ganz gut für mich und habe Gelegenheiten ergriffen, die sich dadurch erst ergeben haben.
Zum Beispiel Ihre Tätigkeit als Host beim mittlerweile eingestellten ZDF-funk-Format »100PercentMe«. Ist die Redaktion über Ihren Youtube-Kanal auf Sie aufmerksam geworden?
Mein Kanal hatte damals nur 200 Abonnenten und war eher so eine private Veranstaltung. Ich saß durch eine Verkettung verschiedener Zufälle im Testpublikum von »100percentMe«. Danach wurde ich kontaktiert und für Videos angefragt. Zunächst als Protagonist, später war ich dann mehr in so einer Presenter-Rolle.
Warum wurde das Format Ende 2019 nach etwa einem Jahr eingestellt?
Die einzelnen Clips hatten recht gute Klickzahlen, zum Teil sechsstellig. Aber der Kanal hatte insgesamt nicht genügend Abonnenten. Das Aus kam relativ überraschend, denn wir hatten über Kommentare und direkte Nachrichten super viel positives Feedback bekommen. Ich finde es sehr schade, nicht nur, weil mein Job dann halt weg war. Ich hätte so ein Inklusionsprojekt nicht nach den üblichen Maßstäben bewertet. Gerade als öffentlich-rechtlicher Sender hätte funk sagen können: Die Finanzen sind gesichert, macht euch darum keine Sorgen. Kümmert euch einfach um gute, wichtige und unterhaltsame Aufklärung.
Was genau war die Idee hinter dem Format?
Es sollte ein Youtube-Kanal über, aber nicht ausschließlich für Menschen mit Behinderung sein. Das hat auch funktioniert, denn wir hatten ein ziemlich gemischtes Publikum. Ziel war, auf coole und humorvolle Art zu vermitteln, wie das Leben läuft. Also es ging nicht darum, mich nur zu begleiten. Eher so: Hey, ich bin Leonard und nehme dich jetzt mit in mein Leben. Ich trink übriges auch Alkohol, ich geh feiern, ich benutz Tinder, ich führe ein Leben wie ihr. Es gibt höchstens eine Handvoll Unterschiede. Das ist meiner Meinung nach auch die einzig wahre Message: Ich will den Menschen zeigen, dass ich nicht so anders bin. Es gibt Leute, die denken: Bei dem ist alles anders. Der redet vielleicht auch anders. Und denen soll das die Berührungsangst nehmen.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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